Im Homeoffice arbeiten und gleichzeitig das Kind betreuen – für viele Mütter ist das seit Wochen Alltag (Symbolbild). Foto: dpa/Christian Beutler

Wenn Kinder wegen der Corona-Pandemie zuhause bleiben, sind es oft die Mütter, die widerstandslos die Rundumbetreuung übernehmen. Drei Frauen wollen das nicht länger hinnehmen – und zetteln eine Protestaktion an. Das kommt nicht bei allen gut an.

Stuttgart - Den bunten, mit Blumen bedruckten Briefumschlag hat Karin Hartmann an das Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf adressiert. „Von Mama“ steht im Absenderfeld auf der Rückseite. Und „Danke für die blumigen Grüße zum #Muttertag - hier kommt meine Rechnung!“, schreibt die alleinerziehende Mutter dreier Kinder dazu auf ihrem Instagram-Profil. Aber wofür?

Karin Hartmann bezeichnet sich selbst als Feministin. Gemeinsam mit Sonja Lehnert, mit der Hartmann den Blog „Mama Notes“ betreibt, und Rona Duwe vom Blog „Phönix Frauen“ hat sie eine Protestaktion ins Leben gerufen. Die Frauen fordern insbesondere Mütter auf, die seit Wochen tagtäglich ihre Kinder betreuen und mit ihnen lernen, dem Staat eine monatliche Rechnung für diese Leistungen zu stellen. Unter dem Hashtag „coronaelternrechnenab“ sollen die Schreiben geteilt und Situationen geschildert und werden.

Tatsächlich hat der Aufruf der Frauen einen Sturm der Entrüstung auf Twitter ausgelöst – auch wegen der Aktion selbst. So bezeichnet ein Nutzer den Hashtag zur Aktion als den „dümmsten“ des Jahres:

Viele Nutzer sind der Meinung, dass es zum Elterndasein dazu gehöre, sich um die eigenen Kinder zu kümmern.

Eine Nutzerin merkt an, wie verletzend diese Aktion für die Kinder sein könnte.

Auch der Journalist und Autor Rainer Meyer, der unter dem Pseudonym „Don Alphonso“ schreibt, meldet sich zu Wort. Er habe sich in den letzten Monaten viel um seine Mitmenschen gekümmert, würde dafür aber niemals eine Rechnung schreiben, kommentiert er.

Eine Lehrerin fühlt sich durch die Aktion darin bestätigt, wie nervenaufreibend ihre tägliche Arbeit mit Kindern und Jugendlichen sei.

Ein Nutzer kritisiert die Aktion insbesondere deshalb, weil der Staat durch Schul- und Kitaschließungen die Gesundheit der Kinder schütze.

Dass die Schließung von Schulen und Kitas wichtig war, um die Ansteckungskette zu unterbrechen, leugnen die Initiatorinnen der Protestbewegung nicht – im Gegenteil. Sonja Lehnert hätte sogar noch länger mit der schrittweisen Öffnung gewartet, sagt sie in ihrer Story auf Instagram. In ihrem Blog schreibt sie, dass es vielmehr darum gehe, bewusst zu machen, dass Eltern seit Wochen Unglaubliches leisteten. Sie arbeiteten im Homeoffice und betreuten zeitgleich ihre Kinder. Währenddessen habe die Politik versäumt, zukunftsfähige digitale Bildungsangebote zu entwickeln und Familien Mitspracherechte in der Krisenbewältigung einzuräumen.

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„Das Rechnungsstellen ist unsere Form von Protest, die wir in Zeiten von Corona von unserem Küchentisch aus führen können. Wir machen unseren Protest deutlich in den Blogs und auf Social Media“, schreibt Lehnert. Trotz zahlreicher kritischer Kommentare auf dem Kurznachrichtendienst Twitter erkennen viele Nutzer die symbolische Bedeutung der Aktion. Es gehe darum, den Wert der Care-Arbeit in Zahlen darzustellen, schreibt ein Nutzer:

Niemand rechne ernsthaft mit einer Auszahlung der aufgestellten Kosten:

Auch die Journalistin und Bloggerin Christine Finke findet klare Worte für die Kritiker der Aktion:

Die deutsche Bloggerin und Podcasterin Patricia Cammarata, die auch unter dem Pseudonym „dasnuf“ bekannt ist, nutzt die Diskussion um anzumerken, dass die Stundensätze im Care-Bereich vie zu niedrig sind:

Die Journalistin und Autorin Almut Schnerring, schreibt, dass es für solch eine Aktion höchste Zeit werde. Fein säuberlich listet sie auf, welche Aufgaben auf Eltern während der Corona-Pandemie zukommen:

Andere hinterfragen, wie es passieren könne, dass Eltern, die unbezahlte Care-Arbeit sichtbar machten, einen Shitstorm kassierten, während Großkonzerne Staatshilfen erhielten.

Das bemängeln auch die Vertreterinnen der Protestbewegung. Denn während Autokonzerne von Steuerzahlern durch die Krise getragen und Fußballspieler flächendeckend getestet würden, müssten Eltern, Kinder, Erzieher und Lehrer die Krise aus eigener Kraft bewältigen.

Ein Tweet des Bundesfamilienministeriums zum Muttertag am Sonntag hatte das Fass für die Frauen zum Überlaufen gebracht. Duwe beschreibt das darin veröffentlichte Foto folgendermaßen: „Eine junge, schicke Mutter tanzt mit ihrer Tochter durch die Küche. In blumigen Worten wird mir für meine Leistungen speziell in der Coronakrise gedankt.“

Inzwischen hat das Bundesfamilienministerium das Foto entfernt. Denn: Nicht nur die Frauen von „Corona-Eltern rechnen ab“ finden, dass der Post die politische Gleichgültigkeit gegenüber Müttern auf besonders zynische Weise demonstriere. Auch andere Twitter-Nutzer hielten sich mit dem kritischen Hinweis, dass das Bild derzeit nicht die Situation der meisten Mütter im Land abbilde, nicht zurück, so eine Sprecherin des Ministeriums. „Deshalb wurde das Foto durch einen anderen Hintergrund ersetzt, die Danke-Botschaft aber beibehalten und diese Veränderung im Thread mit maximaler Transparenz deutlich gemacht“, teilte sie auf Anfrage schriftlich mit.

Für die Initiatorinnen der Aktion und andere Kritiker ändert das nichts.