Ralf Vollmer hofft weiter mit den Blauen: „Der ganz große Druck ist raus – das ist vielleicht eine Chance.“ Foto: Baumann

Sein blaues Herz schlägt immer noch für seinen ehemaligen Verein. Die Kickers-Legende Ralf Vollmer ist restlos enttäuscht von der Mannschaft und leidet im Kampf gegen den Abstieg mit. Im Interview sagt der 55-Jährige, warum er noch einen kleinen Funken Hoffnung hat.

Stuttgart - Ralf Vollmer (55) spielte von 1983 bis 1994 für die Stuttgarter Kickers. Er war Publikumsliebling und Torjäger und erlebte die beiden Aufstiege in die Fußball-Bundesliga und das DFB-Pokalfinale als Spieler mit. Vom 18. Mai bis 30. Juni 1999 war er auch Trainer, von 1999 bis 2001 gehörte Vollmer dem Präsidium an. An ein Punktspiel in seiner Nachbarschaft Neckarsulm will er vor dem Heimspiel an diesem Samstag (14 Uhr/Gazistadion) gegen den SC Freiburg II gar nicht denken.

Herr Vollmer, wie beurteilen Sie die aktuelle Lage bei den Kickers?
Mir fehlen fast die Worte. Immer wenn du denkst, die Mannschaft kann einen wichtigen Schritt nach vorne machen, folgt die nächste, noch größere Enttäuschung.
Wie zuletzt in Völklingen.
Ja. Jeder wusste, welch eminent wichtiges Spiel dies für die Zukunft der Kickers ist. In dieser Situation, beim abgeschlagenen Tabellenschlusslicht, mit 0:2 zu verlieren, da fällt einem eigentlich nichts mehr ein.
Woran liegt es?
Offenbar ist die Mannschaft nicht in der Lage, Druck auszuhalten. Sie verliert beim TSV Schott Mainz mit 1:4, sie unterliegt bei Hessen Kassel mit 0:3. Im Hinspiel bringt das Team gegen Kassel eine 3:0-Führung nicht über die Zeit. In Ulm verspielt es eine 2:0-Führung. Gegen Eintracht Stadtallendorf reicht es nach einem 2:0 daheim am Ende nur zu einem 2:2. Immer wieder brechen bei einem Gegentor plötzlich alle Dämme. Oder nehmen Sie das WFV-Pokal-Endspiel aus dem Vorjahr: Da liegt die Mannschaft gegen einen Siebtligisten wie die SF Dorfmerkingen nach 60 Minuten mit 0:3 zurück. Ein Unding.
Die richtigen Lehren wurden daraus offenbar nicht gezogen. Fehlen Führungsspieler?
Man hat mit sehr Glück in der vergangenen Saison am letzten Regionalliga-Spieltag die Klasse gehalten. Gelernt wurde daraus nicht viel. In der Tat fehlen nach wir vor Häuptlinge, die in kritischen Situationen Verantwortung übernehmen und ein Zeichen auf dem Platz setzen.
Haben Sie noch Hoffnung auf den Klassenverbleib?
(zögert lange) So wie die Saison bisher lief, fällt es schwer, in den letzten drei Spielen an die Wende zu glauben. Der Effekt des Trainerwechsels ist nicht nur einmal verpufft. Und ich glaube, die Verantwortlichen haben schon öfter versucht, die Spieler bei der Ehre zu packen – vergeblich. Jetzt haben fast alle die Mannschaft abgeschrieben. Der große Druck ist raus. Das ist vielleicht eine kleine Chance, die Hoffnung macht: Die Mannschaft wird jetzt möglicherweise befreit aufspielen. Dafür sehe ich aber ein anderes Problem.
Welches?
Die Berater werden ihren Spielern sagen: Mach dir keine Sorgen, wir bringen dich schon bei einem neuen Verein unter. Da fällt es dem einen oder anderen Spieler schwer, die Ärmel hochzukrempeln und sich mit voller Kraft für die Blauen reinzuhängen.
Wann hat für Sie das ganze Dilemma begonnen?
Eindeutig im Herbst 2015. Auch wenn es damals schon nicht mehr so rund lief wie in der Saison zuvor, herrschte nach der Rückkehr aus Reutlingen im neuen Gazistadion doch immer noch so etwas wie Aufbruchstimmung. Doch man trennte sich zu früh Trainer Horst Steffen. Danach hat man ein intaktes Team mit Spielern wie Elia Soriano, Enzo Marchese und Gerrit Müller zerstört, sie aussortiert und mit Söldnern ersetzt. Der freie Fall war nicht mehr aufzuhalten.
Werden Sie eigentlich noch häufig auf die Kickers angesprochen?
Sehr, sehr oft. Häufiger sogar als noch vor Jahren. Das zeigt, wie viele Menschen die Kickers noch verfolgen, ihnen grundsätzlich Sympathien entgegenbringen, doch es schlägt bei vielen leider immer mehr in Gleichgültikgeit um.
Haben Sie Kontakt zu den aktuellen Verantwortlichen?
Nein, nur lose, wenn man sich bei einem Heimspiel sieht. Aber glauben Sie mir, die Verantwortlichen tun mir wirklich leid. Natürlich wurden Fehler gemacht, aber kluge Sprüche haben Außenstehende immer schnell parat. So ein Amt bei den Blauen ist alles andere als vergnügungssteuerpflichtig. Und welcher seriöse Mensch würde in der aktuellen Situation denn die Verantwortung übernehmen? Die einzigen, auf die ich wirklich richtig sauer bin, das sind die Spieler. Diese Mannschaft muss sich bewusst sein, dass sie Gefahr läuft, in die Geschichtsbücher der Kickers einzugehen – im negativsten Sinne.
Können Sie sich die Kickers in der Oberliga vorstellen?

Ich möchte nicht daran denken. Das wäre der historische Tiefpunkt. Von meinem Wohnort Harthausen könnte ich fast zu Fuß zum Auswärtsspiel zur Neckarsulmer Sport-Union gehen. Auch wenn es schwerfallen würde, anschauen würde ich mir das Spiel trotzdem.