Im Zentrum für Digitalisierung in Böblingen forschen Alexander Rossmann (rechts) und Claus Hoffmann auch an neuen Anwendungen für Kühlschränke. Foto: factum/Granville

Die Künstliche Intelligenz soll nicht nur Autos autonom fahren lassen, sondern auch kleinen und mittelständischen Unternehmen in naher Zukunft das Überleben sichern, sagen Forscher. In Böblingen bauen sie dazu ein Versuchslabor.

Böblingen - Es wirkt bislang wie eine nette Spielerei: Eine Kamera filmt das Innere eines Kühlschranks und schickt die Bilder auf ein Handy. Zeitgleich errechnet ein Algorithmus, welche Gerichte man mit den vorhandenen Inhalten zubereiten könnte: Wie wäre es heute mit einer spanischen Paella?

Solche und andere Anwendungen der Künstlichen Intelligenz (KI) testen Forscher wie Alexander Rossmann im Zentrum für Digitalisierung in Böblingen. Wenn es nach ihm geht, soll die Technologie den wirtschaftlichen Wandel in der Region vorantreiben. Anfang April eröffnet der Wirtschaftsinformatiker zusammen mit seinen Kollegen ein regionales KI-Lab, ein Büro, das die Möglichkeiten der Technologie speziell für kleine und mittelständische Unternehmen entwickeln soll. Für Rossmann geht es nicht um weitere Spielereien. Es geht um etwas Größeres: „Die Künstliche Intelligenz wird für kleine und mittlere Unternehmen überlebenswichtig“, sagt er. Es stelle sich ihm nur eine Frage: Kriegen die Firmen das schnell genug hin?

2,3 Millionen Euro vom Land Baden-Württemberg

Dort, wo die Zukunft entstehen soll, hängen Kabel aus unverputzten Steckdosen, die Baustelle in Böblingen riecht nach frisch verlegtem Linoleum. „Große Unternehmen beschäftigen ganze Abteilungen, um Technologien zu entwickeln und zu testen. Viele kleinere Firmen können sich das nicht leisten“, sagt Rossmann. Entweder aus Kostengründen, oder ihnen fehle das Wissen und das Personal. Genau hier kommt das KI-Lab ins Spiel. In wenigen Wochen sollen in dem Büro, das so groß ist wie eine Schulaula, Studenten, Unternehmer und Forscher die Köpfe zusammenstecken und darüber nachdenken, wie sich repetitive Handgriffe und zeitaufwendige Aufgaben digitalisieren lassen.

2,3 Millionen Euro zahlt die Landesregierung für die insgesamt 19 KI-Labs, von denen eines in Böblingen steht. Viel Geld ist das nicht gerade. „Es ist ein nächster kleiner Schritt“, sagt Rossmann, der das Herman-Hollerith-Zentrum, den IT-Standort der Hochschule Reutlingen, in Böblingen leitet. Das Thema KI beschäftige das Zentrum schon länger. Warum die komplexe Technologie in Zukunft nicht nur für Bosch und Daimler wichtig ist, die autonom fahrende Autos entwickeln, sondern auch für Unternehmen von der Größe einer Fußballmannschaft, erklärt der Professor an einem Beispiel: Um heute einen Kühlschrank oder Staubsauger herzustellen, braucht es nicht viel Know-how. Auch Hersteller in China und Indien produzieren sehr gute Geräte, und das viel günstiger. Gerade für Unternehmen aus dem Kreis Böblingen, wo etwa 40 Prozent aller Firmen Waren produzieren, geht es darum, Kosten massiv zu sparen. „Hier kann KI helfen“, sagt Rossmann.

Zusammen mit Studenten entwickelte das IT-Zentrum zuletzt einen Algorithmus, mit dem ein Holzproduzent prüfen kann, welche Bretter für die Weiterverarbeitung geeignet sind. Mittels Tausender von Daten ermittelt ein Programm die Qualität des Materials und sortiert aus.

App-Entwickler werden in drei Monaten

Auf eine andere Anwendung stieß ihn zuletzt ein Autohändler aus der Region. Mittels Computerbots will er Teile der Kundensysteme automatisieren. Bislang verbringen Autohändler viel Zeit damit, Daten von einem Blatt Papier auf andere zu übertragen, um etwa die Garantieeinreichung auszufüllen. In Zukunft könnten das Programme übernehmen.

Leider jedoch, sagt Rossmann, hätten die „meisten Mittelständler“ die Notwendigkeit zur Veränderung nicht verstanden. Allein im Kreis Böblingen seien es etliche Unternehmen, die sich dem Wandel verweigern. „Manchen Firmen geht es schlicht zu gut, anderen fehlt die Motivation.“ Dabei lässt Rossmann auch die übliche Ausrede nicht gelten, wonach Unternehmen das notwendige IT-Personal fehle. „Heute können sich Ingenieure innerhalb von drei Monaten zu App-Entwicklern fortbilden lassen“, sagt Rossmann. Auch das gehört künftig zu den Aufgaben des Labs: herausfinden, welche Fähigkeiten Angestellte brauchen und wo sie diese erlernen können. So können auch kleinere Unternehmen KI-Anwendungen programmieren. Manches davon könnte aussehen wie Spielerei.