Sternstunde beim VfB: Kevin Kuranyi (li.) bejubelt 2003 den legendären Sieg gegen Manchester United. Foto: Baumann

Er stand für die Jungen Wilden beim VfB. Legendär war seine Stadionflucht, die seine Nationalmannschaftskarriere beendete. Jetzt hört Kevin Kuranyi mit Fußball auf, Stuttgart bleibt er treu.

Stuttgart - Am Freitag war Kevin Kuranyi schon wieder auf Achse. Es ging von Stuttgart nach Berlin, wo er an diesem Samstag (15.30 Uhr/RBB live) beim Abschiedsspiel von Ex-Hertha-Star Marcelinho am Ball ist. Dafür reicht’s noch locker. „Ich bin fit, dreimal in der Woche jogge ich, gehe ins Fitnessstudio oder kicke mit Kumpels in einer Fußballhalle“, sagt er kurz bevor er ins Flugzeug steigt. Doch ansonsten ist mit Fußball Schluss. Endgültig. Mit 35. „Der Blinde hört endlich auf“, schreibt er mit einem Augenzwinkern auf seiner Homepage.

Wie es weitergeht? Er wolle dem Fußball erhalten bleiben und seine Erfahrungen weitergeben. Das ist durchaus ernst gemeint. Doch ins Detail geht Kuranyi in diesem offenen Brief an seine Fans nur voller Selbstironie: „Ein paar wertvolle Tipps hätte ich für junge Fußballer ja auf Lager. Zum Beispiel bei Länderspielen bis auf den Schlusspfiff zu warten, bevor man das Stadion verlässt.“

Jugendtrainer Kleitsch lobt seinen Fleiß

Die legendäre Flucht aus der Dortmunder Arena. Es war sein jähes Ende als Nationalspieler. Im Herbst 2008 hatte Kuranyi noch vor der Halbzeit das Stadion enttäuscht verlassen, nachdem ihn Bundestrainer Joachim Löw gegen Russland nicht einmal für den 18er-Kader aufgeboten hatte. „Das Ende war bitter, aber ich habe viel daraus gelernt“, sagt Kuranyi. 52 Länderspiele und 19 Tore stehen immerhin in seiner Bilanz.

Seine Laufbahn wirkt unvollendet. Weil der ganz große Coup ausblieb und er bei seinem Abschlussengagement in der Bundesliga glücklos blieb: Bei der TSG 1899 Hoffenheim stand er im Abseits. „Ich hatte dennoch eine gute Karriere“, sagt der Mann mit dem barocken Bartgeflecht ums Kinn.

Begonnen hat für den gebürtigen Brasilianer alles beim VfB Stuttgart. „Er war in der U 17 noch Auswechselspieler“, erinnert sich sein früherer Jugendtrainer Hansi Kleitsch, „doch mit bewundernswertem Fleiß, Mut und seinem Tempo hat er sich ganz nach oben gekämpft.“ Am Anfang des neuen Jahrhunderts stand er im eher tristen Stuttgarter Fußballalltag so strahlend wie ein Stern am Himmel.

Kuranyi unkomplizierte Art kommt an

Geführt vom strengen Lehrmeister Felix Magath feierte er 2003 die Vizemeisterschaft mit dem VfB. Er machte ein Tor beim legendären 2:1 in der Champions League gegen Manchester United. Nach der Station Schalke 04 (2005 bis 2010) spielte er fünf Jahre bei Dynamo Moskau und wärmte auch in Russland mit seiner liebenswert-unkomplizierten Art und seinem Torriecher die Herzen der Fans.

Danach kam er nicht mehr in Tritt. „Man hat die Entwicklung des deutschen Fußballs in Sachen Tempo und Fitness unterschätzt“, lautet die Erklärung von Hansi Kleitsch. Dennoch hätte Hoffenheim nicht Kuranyis letzte Station bleiben müssen: Er hatte mehrere Angebote aus Brasilien, Katar, China, Indonesien – und auch von Clubs wie Roter Stern Belgrad oder FC Zürich. Doch er wollte nicht mehr weg. „Ich habe mich für meine Familie und meine Heimat entschieden“, sagt er. Seine Familie, das sind Ehefrau Viktorija und die Kinder Karlo (11) und Vivien (8). Seine Heimat, das ist Stuttgart, wo er in Sonnenberg lebt.

Der Sohnemann stürmt für die U 12 der Stuttgarter Kickers, bei den Blauen hat sich Kuranyi bis zur Winterpause fitgehalten. Ein Engagement in der Regionalliga tat er sich nicht an. Er hat andere Pläne: Es gibt Angebote als Co-Kommentator beim Fernsehen. Er kann sich aber auch vorstellen, seine Sportkompetenz als Spielerberater oder in einem Verein einzubringen – und er möchte die Trainerscheine machen. Bleibt nach dem stillen Abgang des Unvollendeten die Frage nach einem Abschiedsspiel: „Mal schauen. Ob und wann es eines gibt, habe ich noch nicht entschieden“, sagt er. Fest steht: Verdient hätte er eines.