Zwei Liebesengel und jede Menge Teilnehmer bei der Kennelernparty für Menschen mit Behinderungen Foto: Lichtgut/Ferdinando Iannone

Im Stuttgarter Jugendhaus Mitte hat die Diakonie Stetten zum neunten Mal die Kennenlernparty für Menschen mit Behinderungen veranstaltet. Und obwohl nicht jeder die große Liebe fand, war die Party dennoch ein großer Erfolg.

Stuttgart - Die Stimmung ist vom ersten Moment an großartig. Nach einigen DJ-Hits aus der Konserve wie Kiss „I Was Made For Loving You“ stehen nun die „Dienstagsrocker“ auf der Bühne. Und die inklusive Band holt alles aus Saiten, Tasten und Stimmbändern, intonieren mit purer Leidenschaft legendäre Gassenhauer wie AC/DCs „T.N.T.“ oder Bob Dylans „Knockin’ On Heaven’s Door“. Auf der Tanzfläche wird dazu geschwoft, was das Zeug hält. An den Oberkörpern sind rote Herzen mit Nummern auszumachen, an den Handgelenken allenthalben blau und rot leuchtende Armbänder – und um manche Hälse blinkende Paillettenfliegen. Letztere tragen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Offenen Hilfen der Diakonie Stetten, erstere schmücken die Gäste – über 100 Menschen aus Stuttgart, die älter als 18 Jahre sind und unterschiedliche Handicaps haben.

Legendäre Party

Sie sind ins Jugendhaus Mitte geströmt zur Kennenlernparty für Menschen mit Behinderungen, um neue Freunde kennenzulernen, gar die Liebe fürs Leben zu finden oder auch um einfach Spaß zu haben. „Unsere homosexuelle Community brachte uns auf die Idee der Armbändchen, blau für jene, die einen Mann kennenlernen möchten, rot für die an Frauen Interessierten“, erklärt Tobias Kapp. Der Jugend- und Heimerzieher organisiert das Fest seit 2016. Aber erstmals 2012 haben die Offenen Hilfen dazu geladen. „Wir sind legendär“, schmunzelt Kapp. Insgesamt sieben solcher Kennenlernplattformen gebe es im Helfernetz, die bisher auch von Atrio Leonberg, Paulinenhilfe sowie Lebenshilfe Böblingen und Stuttgart in unterschiedlicher Form in Stuttgart und Region veranstaltet würden. „Wir machen den Auftakt im Jahr und die größte Party.“

Zu der sind – wie ein Spiel zum Aufwärmen zeigte – auch einige neue Gäste hinzugekommen. Durchaus einige Frauen sind auszumachen, im vergangenen Jahr war der Männerüberschuss groß. „Ich war schon öfters dabei“, schwärmt Michael. Der 46-Jährige ist mit einer Gruppe aus Stetten angereist, um die große Liebe zu finden. „Das letzte Mal hat es nicht geklappt. Mein Freund hat was Falsches in die Briefe getan, da kann ich ja lang an der Tanzfläche warten. Ich mache es jetzt alleine.“ Und mit Hilfe der „Liebesengel“, die – weiß gekleidet und geflügelt – bei der Kontaktaufnahme behilflich sind. Diakonie-Mitarbeiterinnen Victoria und Svenja haben an ihren Stehtischchen alle Hände voll zu tun. Sie erklären die Zettel, auf denen Interessierte ihre Nummer, Adresse und Treffpunkt eintragen können, aber auch was ihnen an der Person gefällt, die sie sich ausgeguckt haben. Die Engel schreiben bei Bedarf auch die Avancen und stecken sie in einen der zahlreichen, ebenfalls nummerierten Umschläge an den Stellwänden. „In die Zehn!“, ruft ein Gast im Rollstuhl. „Sie gefällt mir sehr!“ Michael haben es auch die Mitarbeiterinnen angetan. Er flirtet mit ihnen, während er schreibt. „Ich habe mir viele Nummer gemerkt. Dieses Jahr fülle ich viele Zettel aus, sicher ist sicher.“

Geknutscht wird schon – und dann?

Das tut Natalie nicht, sie wippt im Takt der Musik. Die 20-Jährige ist mit einer Gruppe und Betreuerinnen aus dem Remstal gekommen. Eine spricht für Natalie: „Sie will noch keinen Freund, vor allem die Musik genießen.“ Der 32-jährige Markus aus Esslingen wiederum tanzt mit mehreren Mädchen. „Ich bin zum ersten Mal hier, wäre schon schön, wenn ich eine Freundin finden würde.“

Ob und wie oft das klappt, das kann Organisator Tobias Kapp, der auch am DJ-Pult steht, nicht sagen. Er habe noch keine Patenschaft übernehmen dürfen. „Geknutscht wird schon, aber was dann daraus wird, erfahren wir nicht.“ Um jemand schneller näher kennenlernen zu können, hat er diesmal nebenan einen Raum für Speed Dating einrichten lassen.

Einmal mehr haben indes Anne Zangl und Jürgen Schaaf, Sozialpädagogen und Sexualberater bei Pro Familia, im Foyer einen Stand aufgebaut – mit einem Glücksrad als Eisbrecher. „Um leichter über verschiedene Fragen der Sexualität sprechen zu können“, so Schaaf.

Zangl ergänzt, dass es da um die üblichen Themen gehe, von der Verhütung bis zu Praktiken. „Wir kennen einige der Gäste“, sagt sie und fügt schmunzelnd hinzu, dass manche erklärten, die Nummer vom vergangenen Jahr sei nicht mehr und betonten: „Nun gibt es jemand Neues.“