Viele Heimtiere müssen wegen Unkenntnis, Gleichgültigkeit oder falsch Foto: M. Stachniss/L. Ferber-Goertz

Geht es nach der Tierschutzbeauftragten Cornelie Jäger, gäbe es schon bald eine Verordnung zum Schutz von Heimtieren. Doch die grün-rote Landesregierung spielt nicht mit – und mauert.

Stuttgart - Katze oder Hund müsste man sein. Geliebt und geherzt, umsorgt und ummantelt. Das Heimtier ist des Bundesbürgers liebster Freund. Mehr als 28 Millionen Heimtiere leben unter deutschen Dächern. „Das Gros der Tierhalter ist vollkommen in Ordnung und kümmert sich tadellos um seine Tiere“, sagt Herbert Rückert, der seit 1984 das Mannheimer Tierheim leitet.

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Fakt ist aber auch: Auf dem Heimtiersektor herrschen teilweise unzumutbare Zustände, die jeder artgerechten Haltung spotten. Dass Heimtiere wegen Unwissenheit, Gleichgültigkeit oder falsch verstandener Tierliebe leiden müssen, ist nicht erst seit kurzem bekannt. Die Parteien scheint das nicht sonderlich zu interessieren. „Die Politiker scheuen sich zu regeln, einzugreifen und tatsächliche oder vermeintliche Freiheitsrechte des Bürgers wegen des Tierschutzes einzuschränken“, sagt Herbert Lawo, Vorsitzender des Landestierschutzverbandes Baden-Württemberg.

Viele Halter wissen zu wenig über ihre Schützlinge

Animal Hoarding – das krankhafte Sammeln von Tieren – mag die Ausnahme sein. Doch es sind Meldungen über Dutzende halb verhungerte Kaninchen, verwahrloste Katzen und kranke Hunde, die immer wieder in Tiermessie-Haushalten gefunden werden, welche Öffentlichkeit, Veterinärämter und Tierschützer aufschrecken und entsetzen.

Noch gravierender als solche Extreme – und statistisch genauso schwer zu erfassen – ist das alltägliche Leid von Heimtieren. Zu kleine und dunkle Käfige, falsches Futter, mangelnde tierärztliche Versorgung, Isolation: Viele Halter wissen zu wenig über ihre Schützlinge und halten sie alles andere als art- und verhaltensgerecht. Herdentiere wie Kaninchen oder Vögel werden in Einzelhaft gehalten, wo sie krank werden und verkümmern.

„Bei der Nutztierhaltung macht man einen Popanz und haut öffentlich auf die Landwirte ein. Doch es schert anscheinend keinen, ob Haustiere artgerecht gehalten werden“, kritisiert Friedrich Bullinger, FDP-Abgeordneter im Stuttgarter Landtag.

Eine Heimtierverordnung würde eine Gesetzeslücke füllen

Das deutsche Tierschutzgesetz schreibt vor, dass „jedes Tier seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen ernähren, pflegen und verhaltensgerecht“ unterzubringen ist. Abgesehen von dieser Grundsatzerklärung existieren – außer der Tierschutz-Hundeverordnung – allerdings keine rechtsverbindlichen Standards und Vorgaben für die Heimtierhaltung. „Durch den Erlass eines Heimtierschutzgesetzes könnten derzeit vorhandene Gesetzlücken geschlossen werden“, heißt es in einem aktuellen Positionspapier des Deutschen Tierschutzbundes.

Nach Aussage von Herbert Lawo hat sein Verband in den vergangenen zehn Jahren im Landesbeirat für Tierschutz sieben Mal den Antrag auf ein entsprechendes Gesetz gestellt – zuletzt im März. Erfolglos. „Ob das Thema angegangen wird, hängt auch davon ab, wer die nächste Landtagswahl gewinnt.“

Wenn sich der Tierschützer da mal nicht täuscht. Denn egal, wer im Südwesten an der Macht war, an ein Gesetz oder eine Verordnung zum besseren Schutz der Heimtiere hat sich bisher noch keine Regierung gewagt. Selbst die Grünen, die sich als Tierschutzpartei par excellence verstehen, sind auf diesem Ohr offenbar taub. Zwar wurde auf Antrag des Bundesvorstands ein Passus ins Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2013 aufgenommen: „Zum Schutz von Haustieren wollen wir ein Heimtierschutzgesetz einführen.“ Doch was nützt der hehre Wille, wenn es an der praktischen Umsetzung hapert?

Wie steht es um den Heimtierschutz im Land?

„Gerade die Grünen schreiben im Wahlkampf den Tierschutz groß auf ihre Fahnen. Für den Wähler sind die Sprüche, in der Praxis passiert nichts“, so FDP-Mann Bullinger. Nun könnte man diese Schelte als das übliche Vorwahlkampfgeplänkel abtun, schließlich ist im März 2016 Landtagswahl. Auch die Liberalen sind nicht gerade als Kämpfer für den Schutz von Heimtieren aufgefallen.

Wäre da nicht folgender Vorgang: Bullinger hat die grün-rote Landesregierung in einem Antrag an den Landtag aufgefordert, zu „Plänen der Landestierschutzbeauftragten für eine Regulierung der Haltung von Haustieren“ Stellung zu nehmen. Hinter dieser sperrigen Formulierung verbirgt sich politischer Sprengstoff. Das weiß natürlich auch Bullinger. „Ein Haustiergesetz ist ein Politikum. Wenn der grüne ‚Tierschutzminister‘ hier aktiv wird, hat er die ganzen Schoßhündchen-, Kanarienvögel- und Katzenhalter gegen sich. Drum wird es auch nicht angepackt.“

„Die Landesregierung plant weder eine Verordnung noch ein Gesetz“

Im Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz will man diesen Vorwurf nicht unkommentiert lassen. Minister Alexander Bonde (Grüne) lässt erklären: Die Landesregierung nähme die bundesweit geführte Diskussion über den Schutz von Heim- und Haustieren „infolge vieler dramatischer Fälle von Animal Hoarding zur Kenntnis“. Genauso wie die Vorschläge, die von unterschiedlichen Seiten vorgebracht würden. „Schärfere Vorschriften für Tierhalter werden von der Landesregierung aber nicht befürwortet“, sagt Bondes Sprecherin Denise Burgert. „Daher plant die Landesregierung von Baden-Württemberg weder eine Verordnung noch ein Gesetz zum Schutz von Heim- und Haustieren oder entsprechende Initiativen.“ Und Denise Burgert fährt fort: „Auch der Koalitionsvertrag zwischen den beiden Parteien enthält keine entsprechende Vereinbarung. Im Übrigen sehen wir die Zuständigkeit für eine solche Regelung beim Bund.“

Die Grünen sind in neun, die SPD in 14 Landesregierungen vertreten. Dennoch haben beide Parteien bis dato keinen Versuch unternommen, ein Gesetz oder eine Verordnung zum Schutz von Heimtieren in den Bundesrat einzubringen. Da der Tierschutz Bundesangelegenheit ist, müsste die Initiative über den Länderrat erfolgen. Die Durchführung des Tierschutzgesetzes und der auf dessen Grundlage erlassenen Verordnungen wiederum ist Sache der Länder, die damit die Veterinärämter der Landkreise und kreisfreien Städte beauftragen.

Auch die SPD will sich als Tierschutzpartei profilieren

Die Bundesregierung hat bereits klargestellt, dass sie keinen Rechtsbedarf für ein solches Gesetz sieht. Doch angesichts der Mehrheit von SPD und Grünen in den Ländern stünden die Chancen für einen Kompromiss nicht schlecht. Zumal sich die SPD als „treibende Kraft für mehr Tierschutz“ profilieren will. In einem Positionspapier der SPD-Bundestagsfraktion vom 16. Juni 2015 heißt es: „Wir wollen echte Fortschritte für die Lebensbedingungen von Heim- und Nutztieren. Ziel ist es, die Lebensbedingungen aller Tiere  . . . deutlich zu verbessern.“

Mit einem Heimtiergesetz mache man sich nicht nur Freunde, unkt Bullinger. „Die Landesregierung fürchtet, dass sie eine Lawine lostritt. Die Leute werden dann sagen: Die Grünen wollen mir vorschreiben, wie ich meine Katze zu streicheln habe oder was ich füttern muss. Tier hin, Tier her – Hauptsache, man bekommt keinen Ärger mit den Wählern.“

Die Verbalattacke zeigt: Obwohl es noch acht Monate bis zur Landtagswahl sind, hat das Hauen und Stechen längst begonnen.Bei den Grünen weiß man nur zu gut, dass ihr Image als „Besserwisser- und Verbotspartei“ beim Wahlvolk nicht immer gut ankommt, wie selbst Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) einräumen musste. Eine Diskussion um ein Gesetz, das Tierhalter als Gängelei und Beschneidung ihrer Freiheit verstehen könnten, ist das Letzte, was die Öko-Partei jetzt brauchen könnte.

An fehlenden Vorschlägen kann es indes nicht liegen, dass sich die Politik in Sachen Heimtierschutz nicht bewegt. Die Landestierschutzbeauftragte Cornelie Jäger arbeitet derzeit an einer Tierschutz-Heimtierverordnung. Seit 2012 leitet die Veterinärin die beim Landwirtschaftsministerium angesiedelte unabhängige Stabsstelle.

Ein Verordnungsentwurf liegt bald vor

In ihrem Entwurf geht es um Mindeststandards für die Zucht und Haltung von Heimtieren sowie die spezifischen Bedürfnissen der einzelnen Tierarten. „Ich will nicht bestimmte Tierarten komplett für Privathaltungen verbieten“, sagt Jäger. Vielmehr gehe es um ein „Mindestmaß an Sachkunde vor dem Kauf und klare Mindeststandards für die Haltungen“.

In dem 15 bis 20-seitigen Entwurf geht es um Mindeststandards für die Zucht und Haltung von Heimtieren. In einem längeren Anhang werden die Tierarten und ihre spezifischen Bedürfnisse erläutert. „Ich will nicht bestimmte Tierarten komplett für Privathaltungen verbieten“, unterstreicht Cornelie Jäger. Ziel sei ein „Mindestmaß an Sachkunde vor dem Tierkauf und klare Mindeststandards für die Haltungen“ – etwa bei der Käfiggröße und Käfigausstattung.

Ursprünglich wollte Cornelie Jäger ihren Entwurf bis Ende des Sommers der Landesregierung vorgelegen. Damit wäre Baden-Württemberg Vorreiter beim Heimtierschutz. Doch angesichts des politischen Desinteresses und Widerstands wird nichts daraus. Nun wartet die Veterinärin „auf den klaren politischen und gesellschaftlichen Auftrag. Eine solche Regelung muss auf Akzeptanz stoßen, sonst verpufft ihre Wirkung.“

Wie es der Zufall so, peilt der Liberale Bullinger zeitgleich dasselbe Ziel an wie die Tierschutzbeauftragte. Und das, obwohl er nach eigener Aussage nichts von deren vertraulichen Entwurf gewusst hat. Es sei doch selbstverständlich, so der FDP-Mann, dass derjenige, der ein Tier halten will, eine bestimmte Qualifikation haben müsse. „Das heißt nicht: Jeder Katzenbesitzer soll einen Führerschein machen. Aber man könnte sehr viel mehr in Richtung Aufklärung tun.“

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Die Heimtierverordnung liegt Hundebesitzerin Jäger besonders am Herzen. Wer sie kenne, wisse, das sie beharrlich an solchen Projekten arbeitet – bis sich Lösungen abzeichnen, sagt die 58-Jährige. „Ob wir am Ende Zustimmung und Mehrheiten für unsere Vorstellungen bekommen, wird sich noch herausstellen müssen.“

Info: Heimtiere in Deutschland

Mehr als 28 Millionen Haus- und Heimtiere leben in Deutschland – darunter 11,8 Millionen Katzen, 6,8 Millionen Hunde und 5,9 Millionen Kleintiere wie Kaninchen oder Meerschweinchen und vier Millionen Ziervögel. Hinzu kommen 800 000 Terrarien-Bewohner und die Fische in 2,1 Millionen Aquarien und 1,8 Millionen Gartenteichen.

Ein gigantischer Wirtschaftssektor, der von der Tierfutterindustrie über die Zuliefer-Branchen bis hin zur medizinischen Versorgung reicht. Allein im vergangenen Jahr haben die Bundesbürger nach Angaben des Industrieverbandes Heimtierbedarf mehr als 4,4 Milliarden Euro für ihre Haustiere ausgegeben.