Viele Volksfest-Fans sind niedergeschlagen: Zu ihrer Enttäuschung bleibt die Wiesn-Wiese in München dieses Jahr leer. Foto: imago/Ralph Peters

Wegen der Corona-Krise findet in München dieses Jahr kein Oktoberfest statt. Der Stadt entgehen dadurch gut 1,3 Milliarden Euro. Auch der Rest Bayerns muss sich auf einen Sommer ohne Volksfest einstellen.

München - So niedergeschlagen, so müde hat man den Münchner Oberbürgermeister noch nie gesehen. Von einem „emotional und ökonomisch schwierigen Moment“ spricht Dieter Reiter (SPD) mit heiserer Stimme, auch weil ihm dieses Jahr eine seiner „zentralen Amtshandlungen“ verloren geht – der Fassanstich auf dem Oktoberfest. Den Ruf „O’zapft is!“ muss sich das frisch wiedergewählte Stadtoberhaupt also verkneifen. Die Wiesn, das nach eigener Einschätzung größte und natürlich schönste Volksfest der Welt, findet im Corona-Jahr 2020 nicht statt – „Obgsagt is!“.

Die Gefahr, bei gut sechs Millionen Besuchern das Virus erneut nach Bayern hinein- und von der „Drehscheibe Oktoberfest“ wieder in die Welt hinauszutragen, sei „schlicht und einfach zu groß“, sekundiert ein gefühlsmäßig eher unbewegter Ministerpräsident Markus Söder (CSU): „Das wäre unverantwortlich. Es würde den Ruf Münchens und Bayerns auf lange Zeit prägen und beschädigen.“ Schließlich lebe ein Bierzelt davon, „dass zwischen den Besuchern gerade kein Abstand gehalten wird“, sagt Söder. Und das ist an diesem schwarzen Münchner Dienstagmorgen, als Söder und Reiter die Wiesn abblasen, auch gleich eine Absage an den Rest Bayerns: Der ganze Freistaat muss diesen Sommer ohne Volksfeste auskommen.

Von Cholera zu Corona

Seit 1810 veranstaltet die Landeshauptstadt München ihr Oktoberfest. Schon die Tatsache, dass man es sich leisten kann, mitten in der teuersten Stadt der Republik die 42 Hektar große Theresienwiese den Rest des Jahres praktisch brachliegen zu lassen, zeigt, welchen Wirtschaftsfaktor die Wiesn darstellt. Am 19. September hätte Dieter Reiter das 187. Spektakel dieser Art eröffnen sollen. Gut zwei Wochen hätte es gedauert – und seit dem Zweiten Weltkrieg war es nie mehr abgesagt worden. Davor schon. Immer mal wieder. Während der Napoleonischen Kriege 1813 zum Beispiel oder 1854 in Zeiten der Cholera. Damals beklagte München 3000 Tote, unter diesen die Königinmutter Therese, nach welcher die Wiese für die Wiesn benannt ist. Nach der Pause während des Zweiten Weltkriegs ging es erst 1949 wieder so richtig los.

In München hatte man kurz diskutiert, das Oktoberfest dieses Jahr – wie schon zwischen 1946 und 1948 – in kleinerem Rahmen zu veranstalten. Aber schon beim Starkbieranstich Anfang März hatten sich derartige Überlegungen als Luftnummern herausgestellt. „Das bringt alles nix“, sagte Ministerpräsident Söder am Dienstag: „Die Wiesn gibt’s entweder gscheit oder gar ned.“ Eine „gscheite Wiesn“, rechnet OB Reiter vor, bringt München jährlich Einnahmen von etwa 1,3 Milliarden Euro. Die 6,3 Millionen Besucher im vergangenen Jahr haben 442 Millionen Euro auf dem Volksfest liegen oder – in Form von 7,3 Millionen Maß Bier – durch die Kehle rinnen lassen. 505 Millionen Euro Umsatz machten die Hotels, 160 Millionen Euro verbuchte der Einzelhandel. Auch Taxifahrer verdienen prächtig – sofern sie sich auf betrunkene Fahrgäste einlassen.

Nothilfe für Schausteller

Natürlich klagen jetzt die sechs großen Münchner Brauereien, deren Vorrecht es ist, das Fest mit Stoff zu versorgen. Aber das Renommee des Festes ist dermaßen groß, dass sie von ihrem speziellen Wiesn-Bier den weitaus größeren Teil längst im normalen Getränkehandel verkaufen. Schausteller und Fahrgeschäfte trifft die Absage viel härter. Viele von ihnen haben dieses Jahr noch keinen Cent eingenommen, und es wird ja nicht besser. Söder kündigt Nothilfen an und Überbrückungskredite, für die zu 100 Prozent der reiche Freistaat bürgt.

Der Sommer – eine einzige Trockenzeit

Dass Schadenersatzforderungen auf die Stadt zukommen, damit rechnet OB Reiter nicht. Es habe ja keinen Beschluss des Stadtrats gegeben, dass das Fest tatsächlich veranstaltet werde, kein Beschicker habe eine Zusage erhalten. Die Wiesn werde deshalb auch gar nicht abgesagt: „Sie findet einfach nicht statt.“

Genauso ging es, schlagartig, dem populären Gillamoos im niederbayerischen Abensberg. Noch während der Pressekonferenz von Reiter und Söder lief auf der Website ein Countdown zum Festbeginn am 3. September. Gleich danach hieß es: „Fest abgesagt“. In Rosenheim und im Corona-Hotspot Straubing fallen die nach München größten bayerischen Bierfeste aus. Auch Nürnberg, Würzburg, Bayreuth und Augsburg machen dicht, ungezählte Dorffeste finden nicht statt. „Damit wir nächstes Jahr umso intensiver und freudiger feiern können“, sagen Reiter und Söder in München. So viel Hoffnung, immerhin, ist noch vorhanden.