Die Einwohner in der Region Stuttgart verfügen über Kaufkraft. Doch fließt nicht alles Geld in den stationären Einzelhandel. Foto: dpa/Silas Stein

Stuttgart liegt bei einer Kaufkraft-Analyse in der Region nur noch im Mittelfeld, eine andere Stadt hingegen blüht auf. Die IHK fordert die Politik zum Handeln auf.

Stuttgart - IHK-Präsidentin Marjoke Breuning ist als besonnene Analytikerin bekannt. Laute Töne sind ihr fremd. Doch in diesem Fall gibt sie ihre vornehme Zurückhaltung auf: „Wenn man mit offenen Augen durch die Innenstadt läuft, die Mietpreis-Entwicklungen und Leerstände sieht, dann kann einem angst und bange werden. Es wird Zeit, dass die Politik hier eingreift.“ Hintergrund dieser Aussage sind Ergebnisse der aktuellen Kaufkraft-Analyse der Industrie- und Handelskammer (IHK) Region Stuttgart. Diese lösen bei der IHK-Präsidentin zwiespältige Gefühle aus. Einerseits Zufriedenheit über die grundsätzliche Stärke des Wirtschaftsstandortes, andererseits Sorge um die Rahmenbedingungen des innerstädtischen Einzelhandels.

Das Positive vorweg: Die Einwohner der Region verfügen im laufenden Jahr 2019 über eine für den Handel entscheidende Kaufkraft von 21,7 Milliarden Euro. Dies ist mehr als ein Viertel des gesamten Kaufkraftvolumens in Baden-Württemberg. Von der regionalen Kaufkraft fließen 17,7 Milliarden Euro in den stationären Einzelhandel. Aber: Das verbleibende Kaufkraftvolumen von rund vier Milliarden Euro fließt überwiegend in den Online- und Versandhandel oder wird außerhalb der Region ausgegeben.

Kritik an Kommunal-Politik

Die Folgen des wachsenden Online-Handels für den stationären Handel sind sattsam bekannt. Hier sind die Händler durch entsprechende Marktanpassungen in der Regel auch selbst gefragt, zukunftsfähig zu bleiben. Gleichwohl erlaubt sich Marjoke Breuning, auf die Ungleichbehandlung zwischen stationären und Online-Händlern hinzuweisen. Besonders im Auge hat sie die „Steuerschlupflöcher“, die große Anbieter nutzen: „Das ist eine Katastrophe.“

Natürlich ist der IHK-Präsidentin bewusst, dass dies auf bundes- oder europapolitischer Ebene gelöst werden müsse. Ganz anders als die drängenden Probleme der Händler in den Innenstädten der Region: „Hier sind jetzt Bürgermeister und Gemeinderäte gefragt. Denn es geht dem Einzelhandel allgemein nicht gut“, so Breuning.

Und das obwohl die aktuell gute Einkommens- und Beschäftigungssituation das Einzelhandelsgeschäft befördert. So liegt die einzelhandelsrelevante Pro-Kopf-Kaufkraft (inklusive Online-Handel) in der Region mit 7763 Euro deutlich über dem Bundesdurchschnitt von 7086 Euro. Der Pro-Kopf-Umsatz im regionalen stationären Einzelhandel liegt bei 6330 Euro (Bundesdurchschnitt: 6202 Euro). Die Bandbreite bei der Pro-Kopf-Kaufkraft in der Region reicht von 6574 Euro in Geislingen an der Steige bis 9303 Euro in Gerlingen. Die Kommune ist damit auf Rang 12 unter den 1598 Gemeinden in Deutschland mit mehr als 10 000 Einwohnern. Beim Umsatz des stationären Einzelhandels pro Kopf ist die Bandbreite noch größer. Sie bewegt sich zwischen 2555 Euro in Korb und 11 412 Euro in Sindelfingen. Sindelfingen nimmt insgesamt eine Sonderstellung in der Region ein. Dies wird auch bei der so genannten Zentralitätskennziffer deutlich. Sindelfingen (Zentralitätskennziffer: 171,7), aber auch Ludwigsburg (165,4), Backnang (162,0) und Göppingen (158,6) stellen Stuttgart (120,3) in den Schatten. Außerhalb der Landeshauptstadt erzielt der stationäre Einzelhandel Umsätze, die deutlich über der örtlichen Kaufkraft liegen, weil Kaufkraft aus umliegenden Gemeinden zufließt.

Schützenhilfe vom City-Manager

Mit einem Erlös von 5,3 Milliarden Euro im stationären Handel machen die Einzelhandelsbetriebe in der Stadt Stuttgart zwar einen großen Teil des regionalen Umsatzes aus, aber mit einer Zentralitätskennziffer von 120,3 liegt Stuttgart eben nur im Mittelfeld der Städte in der Region. Woran das liegt? Breuning: „Natürlich sind das Auswirkungen von Verkehrssituation und Erreichbarkeit der Landeshauptstadt.“ Und sie sagt: „Das Image von Stuttgart ist noch schlechter als die Zahlen aussagen.“ Nicht zuletzt deshalb scheuten viele Konsumenten den Weg in die Stadt. Der Tenor in den sozialen Medien laute bei vielen: Statt sich im Stau auf dem Weg nach Stuttgart anzustellen, viel Geld fürs Parken auszugeben, bevorzuge man den bequemen Weg in eines der Einkaufscenter in Sindelfingen oder Ludwigsburg. „Fahrverbote, großflächige Ansiedlungen von Einkaufszentren in Randlagen oder ein Übermaß an Bürokratie gefährden den Erfolg der Einzelhandelsbetriebe in den Ortskernen“, sagt Breuning.

Stuttgarts City-Manager Sven Hahn leistet der IHK-Präsidentin Schützenhilfe: „Der Handel ist für das Leben in der Stadt extrem wichtig – denn nur wenn dieser Marktplatz im Zentrum einer Stadt funktioniert, können sich Theater, Kinos, Restaurants oder Dienstleister dort langfristig halten. Das bedeutet, ohne Handel verödet eine Stadt. Angesichts des Trends hin zum Onlinehandel müssen wir daher als Stadtgesellschaft alles tun, um den Betrieben in Stuttgart eine möglichst gute Geschäftsgrundlage zu bieten.“ Das bedeute, dass die Erreichbarkeit sowie die Aufenthaltsqualität verbessert werden müsse.

Sabine Hagmann, Hauptgeschäftsführerin des Handelsverbandes, gibt der Sache eine andere und neue Note: „Selbstverständlich ist der Wettbewerb überall härter geworden. Aber es ist nicht unmöglich geworden, erfolgreich zu sein.“