Kardinal Marx bei Rück- und Ausblick Foto: imago

Kardinal Reinhard Marx, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, will seine Amtsbrüder für tiefgreifende Reformen gewinnen – auch wenn er sich damit keine Freunde macht.

München - E

ine Erneuerung der Kirche hat der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), Kardinal Reinhard Marx, in seiner Silvesterpredigt gefordert. „Natürlich stehen wir in einer großen Tradition. Aber es ist keine abgeschlossene Tradition. Es ist ein Weg in die Zukunft“, sagte der Erzbischof im Münchner Liebfrauendom. Die Lehre der Kirche müsse nicht nur vertieft, sondern auch weiterentwickelt werden, betonte er und begründete dies auch mit dem Missbrauchsskandal.

Das sind durchaus selbstkritische Worte. Das Ansehen der Kirche, gibt Kardinal Reinhard Marx zu, sei „rapide gesunken“. Der Frühjahrsstreit unter den deutschen Bischöfen über den Kommunionempfang für evangelische Christen sei in seiner Allgemeinwirkung und auch innerhalb der Kirchen ein „Fiasko“ gewesen, und die im September vorgestellte, groß angelegte Studie zu sexuellem Missbrauch, sagt Marx, sei „mit der ganzen Wucht, die da kam, erschütternd gewesen“ – sogar für Bischöfe wie ihn, die im Prinzip die Zahlen kannten. So weit man sie eben kennen konnte und wahrhaben mochte.

Die Forscher jedenfalls, die für den Zeitraum zwischen 1946 und 2014 insgesamt 1670 deutsche Kleriker für schuldig halten, bezeichnen ihr Studienergebnis als „untere Schätzgröße“; der tatsächliche Wert liege „aufgrund der Erkenntnisse aus der Dunkelfeldforschung höher“. Und Marx lässt durchblicken, wie schwer sich die eigenen Amtsbrüder und andere Kirchenleute immer noch tun, das Ausmaß des Skandals zu akzeptieren: „Dass 1670 nur die untere Zahl ist, das muss ich allen sagen, die da schon wieder beschwichtigen wollen.“

Mittel gegen Machtmissbrauch

Reinhard Marx, Erzbischof von München, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz und seit fast sechs Jahren Mitglied im obersten Kirchenreformrat bei Papst Franziskus – er ist kurz vor Weihnachten zum traditionellen Jahresrückblick in den Münchner Presseclub gekommen. Eigentlich wird’s ein Ausblick, denn der 65-jährige skizziert als Reaktion auf die Malaise der katholischen Kirche einige „tief gehende Reformschritte“, für die er seine 64 Kollegen in der Deutschen Bischofskonferenz erst noch „gewinnen“ muss: „Da wird es heftige Diskussionen geben.“ Freunde werde er sich damit nicht machen, prophezeit ein Journalist, und Marx gibt zurück: „Das werden Sie erleben.“

Als Kern des Kirchenskandals sieht Marx das Thema „Macht und Machtmissbrauch.“ Die Geschichte lehre, dass es Gegenmittel gebe: Kontrolle und Teilung von Macht. Das läuft auf einen Kirchenumbau hinaus; der Klerus soll nicht mehr alles entscheiden. Selbstverständlich, sagt der Kardinal, könne auch ein Laie – also ein Katholik ohne Priesterweihe – ein „Ministerium“ an der vatikanischen Kurie leiten. Aber zuerst muss der heimische Acker gepflügt werden. „Auch bei uns sagen Priester, ein Laie könne nicht ihr Vorgesetzter sein“, erzählt Marx. „Ich frage dann: Warum nicht?“

Frauen in die Kirchenleitung?

Anfangen will Marx im eigenen Bistum. Dort soll in den nächsten Wochen als „erster, ungewöhnlicher Schritt“ die Stelle des Verwaltungschefs öffentlich ausgeschrieben werden, offen auch für Frauen. Kirchentraditionell leitet der Generalvikar, ein Priester als Vertreter des Bischofs, die Diözesanbehörde; künftig sollen Verwaltungstätigkeit und „thematische, inhaltliche, theologische Fragen“ entkoppelt werden. Nur der zweite Komplex bleibt in Priesterhand. München geht damit den anderen deutschen Diözesen voraus; aber auch das von einem Finanzmissbrauch und möglichen Verlusten von bis zu 50 Millionen Euro erschütterte Bistum Eichstätt erwägt eine solche Reform.

Noch tiefer in die Substanz geht Kardinal Marx mit der Überlegung – gespeist aus den offenkundigen Verstrickungen mancher Bischöfe bei der Vertuschung sexuellen Missbrauchs –, selbst in der Kirche könnte es zu einer Gewaltenteilung wie im modernen Rechtsstaat kommen: Regierung und Justiz, Exekutive und Judikative, müssten nicht länger in der Hand des Bischofs vereint sein. Theologisch sei das nicht zwingend, „und auch das Kirchenrecht ist kein Lehrbuch für einen absolutistischen Staat.“

Der ungelöste Streit mit Söder

Als Vorbeugung gegen erneuten sexuellen Missbrauch will Marx eine Diskussion unter den Bischöfen über „Ausbildung, Fortbildung und Lebensform der Priester“. Beunruhigt habe ihn schon, sagt er, dass man sich nicht in allen Diözesen „auf selbem Niveau und mit derselben Qualität“ diesem Thema stelle: „Diese Unterschiedlichkeit akzeptieren die Leute nicht.“ Er warnte aber vor seiner Ansicht nach kurzschlüssigen Reaktionen: „Zu denken, man müsste nur den Zölibat abschaffen, dann erledige sich der Missbrauch von selbst – das geht nicht.“ Auf Distanz zu Papst Franziskus geht Marx in der Frage, ob Homosexuelle Priester werden sein könnten. Marx sagt: „Homosexuell oder nicht, das ist kein Kriterium für einen Priester. Entscheidend ist, ob er keusch leben kann.“ Auch seien Homosexuelle „nicht gefährdeter, Missbrauch zu begehen“, als Heterosexuelle.

„So viele böse Briefe wie noch nie in meinem Leben“, sagt der Münchner Erzbischof, habe er aber zu einem anderen Thema bekommen: Zum berühmten Kreuzerlass. Im Wahlkampf hatte Ministerpräsident Markus Söder (CSU) angeordnet, dass in jeder bayerisch-staatlichen Behörde ein Kreuz aufzuhängen sei – und ausgerechnet Bayerns oberster katholischer Bischof hatte dagegen protestiert. Gegen Kreuze habe er natürlich nichts, sagt Marx: „Aber der Staat kann keine christliche Prägung befehlen.“ Einige der Briefeschreiber hätten „völlig überdreht“ gemeint, mit Söders Anordnung werde das christliche Abendland gerettet. Aber, so Marx weiter: „Der Glaube darf nicht wie eine Waffe dastehen, wie ein Zeichen, das gegen andere gerichtet ist.“ Und was ist aus dem Runden Tisch geworden, den Söder zur Schlichtung des Streits einberufen wollte? Davon, sagt Marx, „hab ich nie mehr etwas gehört.“