Der Glaube bleibt, die Strukturen der Kirche sollen sich ändern. Foto: Archiv

Die Kooperation der Katholiken in Sillenbuch, Heumaden, Kemnat und Ruit steht auf der Kippe.

Filder - Am Anfang war das Lied. „Mö-ge die Stra-ße uns zu-sammen-füh-ren“, sangen die 40 Leute die irischen Segenswünsche. Kaum ist die letzte Strophe verklungen, ging es um etwas, das eher mit Auseinandergehen als mit Zusammenführung zu tun hat. Christian Hermes, der katholische Stadtdekan, ist am Dienstag auf die Filder gekommen. Er hat sich mit den Katholiken aus Sillenbuch, Heumaden, Ruit und Kemnat in einen Stuhlkreis gesetzt, um über die Zukunft zu sprechen. Eine Zukunft, die noch nicht in Stein gemeißelt sei, die in der Gegenwart aber auf alle Fälle bereits gemischte Gefühle auslöst.

Die Gemeinden Sillenbuch, Heumaden, Kemnat und Ruit sind seit dem Jahr 2000 Seelsorgeeinheit. Das bedeutet zum Beispiel, dass der Priester Roland Rossnagel zwischen den Altären pendelt, oder, dass die Gläubigen denselben Gemeindebrief lesen. Über die Jahre wuchs zusammen, was streng genommen gar nicht zusammengehört. Doch seit Ende 2012 ist klar, dass die kirchliche Kooperation auf der Kippe steht.

Im Zuge des Projekts „Aufbrechen“ erwägt das Stadtdekanat Stuttgart, die Gemeinden Kemnat und Ruit ans Dekanat Esslingen-Nürtingen abzutreten – weil es für die Katholiken aus Heumaden und aus Sillenbuch andere Überlegungen gibt. Monsignore Hermes sprach in diesem Zusammenhang von „Bereinigung“. Ihm sei bewusst: „Keine Seelsorgeeinheit in Stuttgart hat es so schwer wie Sie.“ Das habe mit „dem Verbleib von Kemnat und Ruit“ zu tun, wie er bei seinem Besuch im Gemeindehaus von Sankt Monika in Ruit ausdrückte. „Aber es wäre absurd, zu sagen: Da denken wir jetzt nicht drüber nach“, sagte Hermes.

Die 46 Gemeinden sollen auf zwölf zusammengestrichen werden

In Stuttgart stünden „große Veränderungen“ an. Der Katholischen Kirche bleibe nichts anderes übrig, als sich strukturell zu verändern. Sie könne nicht ignorieren, dass sie immer weniger Mitglieder habe. „Noch haben wir eine gewisse Steuerungsfähigkeit“, sagte Hermes. „Daher sollten wir jetzt die Weichen stellen.“ Und zu diesen Weichen gehört unter anderem, dass die 46 Stuttgarter Gemeinden auf zwölf zusammengestrichen werden sollen.

Würden Kemnat und Ruit von Sillenbuch und Heumaden abgekoppelt, würden die beiden Letzteren höchst wahrscheinlich mit den Katholiken in Degerloch, Birkach und Plieningen fusionieren. Dann gäbe es künftig eine Riesengemeinde unterm Fernsehturm mit 14 000 Mitgliedern. Eine Gangart, mit der die Heumadener und die Sillenbucher zur Not offenbar leben könnten, wie sie sagten.

Bis vor Kurzem wäre bei einer solchen Fusion zur Großgemeinde ein Priester zu viel gewesen: entweder der Sillenbucher Roland Rossnagel oder Alois Schenk-Ziegler, der sich um Birkach, Plieningen und Degerloch kümmert. Vor einer Woche wurde jedoch bekannt, dass Schenk-Ziegler nach Heilbronn wechselt. „Von der Struktur her hätten wir also die Option“, sagte Hermes. Deshalb sei derzeit fraglich, ob die Pfarrstelle in Plieningen überhaupt ausgeschrieben werde.

„schwierig, das hier ernst zu nehmen“

Für den Weg zur Großgemeinde für die Filder haben sich die Kemnater und Ruiter freilich weniger interessiert. Spielen sie dabei doch keine Rolle. Sie wollten vom Stadtdekan viel lieber wissen, ob insgeheim längst feststehe, dass die Ostfilderner Esslingen-Nürtingen zugeschlagen werden. Es gebe ein informelles Papier, auf dem unter anderem stehe, wie die Zuweisung der Kirchensteuer künftig funktionieren würde und wie der Wandel personell gestemmt werden könnte. Wenn der Eindruck entstehe, dass Entscheidungen über die Gemeinden hinweg getroffen würden, „ist es schwierig, das hier ernst zu nehmen“, sagte Ludger Eltrop, zweiter Vorsitzender des Kirchengemeinderats Ruit. Hermes versuchte, zu beschwichtigen. Er selbst habe „keine klare Eins-zu-null-Entscheidung“, sagte er. Aber er tendiere dazu, die Linie künftig an der Stuttgarter Stadtgrenze zu ziehen. „Ich kann aber auch mit dem anderen leben.“

Tendenz hin oder her – das letzte Wort hat ohnehin der Rottenburger Bischof. Was einen Kemnater Katholiken prompt zur Frage veranlasste, ob die Meinung der Gemeinden für den Beschluss von oben überhaupt etwas zur Sache tue. Ja, sagte Hermes, „ansonsten hätte der Bischof ihnen ja eine Entscheidung geschickt“. Statt der Bitte, bis Sommer ein Votum abzugeben.

Das Stichwort für den Pfarrer Roland Rossnagel: „Mir wäre daran gelegen, dass sich die Gemeinden eine Meinung auf breiter Basis bilden“, sagte er. Uneinigkeit würde die Arbeit des Pfarrers schwer machen.

Am Ende war das Lied. „Dass wir uns hier in die-sem Tal noch treffen so viel hundertmal“, sang die Runde aus dem Volkslied „Kein schöner Land“.