Die Anhänger der Einheit stellen das Ergebnis des Referendums in Frage. Foto: AFP

Das Regionalparlament hat Kataloniens Unabhängigkeit erklärt. Davon ist in Barcelona nichts zu merken.  Am Wochenende haben wieder einmal die Farben derer dominiert, die für die Einheit Spaniens demonstrieren. Die nächsten Tage versprechen spannend zu werden.

Barcelona - Die Straßen gehören an diesem Wochenende in Barcelona allen. Vor allem, wie immer, den Touristen. Die Hotels berichten seit dem 1. Oktober von beunruhigenden Buchungsrückgängen; es ist gerade kein Problem, ein Zimmer zu bekommen, und nicht zu diesen Mondpreisen, die man hier manchmal bezahlen muss. Voll ist die Stadt trotzdem.

Auf der Plaça Sant Jaume hat sich ein Haufen Demonstranten versammelt und schwenkt Fahnen der Rif-Republik: Die steht für den Kampf der Menschen im Norden Marokkos gegen ihre Vernachlässigung durch die Regierung in Rabat.   Und der katalanische Freiheitskampf? Carles Puigdemont hat diesen Begriff am Samstag in einer kurzen Fernsehansprache benutzt: „Wir werden weiter daran arbeiten, ein freies Land aufzubauen“, versprach er. Als wäre Katalonien ein unfreies Land. Wenn es so sein sollte, ist davon nichts zu spüren.

Am Freitagnachmittag feierten auf der Plaça Sant Jaume noch knapp 20 000 Menschen die gerade vom Regionalparlament ausgerufene katalanische Republik. Jetzt sind sie fort, haben ihren Platz den Nordmarokkanern überlassen. Und auf der Südseite der Plaça Sant Jaume, über Puigdemonts Regierungspalast, weht neben der katalanischen noch immer die spanische Flagge. Ein friedliches Bild.   „Ich glaube, sie sind erst mal erleichtert“, meint Kike Porta, „man musste nur ihre Gesichter sehen, von Euphorie keine Spur.“

Niemand weiß so genau, wie es weitergehen soll

Die Leute, von denen Porta spricht, sind die Politiker um Puigdemont, die Katalonien zur Republik erklärt haben und jetzt offenbar nicht recht wissen, wie es mit dieser Republik weitergehen soll. Der 50-jährige Porta ist einer der vielen Katalanen, die das ganze separatistische Projekt für einen Irrsinn halten, „sie glauben doch selber nicht dran“, sagt er. Der Samstag war für Porta ein ganz normaler Tag, er ist ins Fitnessstudio gegangen, hat ein paar Runden mit seinem Motorrad gedreht und am Strand vorbeigeschaut. Alles wie immer. Keine Barrikaden, keine Demonstrationen, keine Menschenketten. Keine Revolution. Keine Aufregung. Gar nichts. Selbst an der Twitter-Front ist es so ruhig wie seit Wochen nicht mehr.

  Alle wissen, dass die Lage ernst ist, aber es fällt ihnen schwer, sie wirklich ernst zu nehmen. Die einen glauben, dass sie längst in der katalanischen Republik leben, dass es ganz egal ist, was in fernen Hauptstädten wie Madrid entschieden wird. Das sind die Leute, die am Samstag ihren Präsidenten Puigdemont in dessen Heimatstadt Girona auf der Straße beklatschen wie einen Rockstar, ein Fernsehteam ist zufällig vor Ort und filmt. Die anderen, wie Porta und seine Frau Paloma Jiménez, legen ihr Vertrauen in die spanische Regierung. Die hat am Freitagabend die gesamte katalanische Regionalregierung für abgesetzt erklärt und Neuwahlen zum katalanischen Parlament für den 21. Dezember angekündigt. Der spanische Senat hatte, während in Barcelona die Republik ausgerufen wurde, der Rajoy-Regierung erlaubt, die nach Verfassungsartikel 155 „notwendigen Maßnahmen‘“ zu ergreifen, um dem separatistischen Spuk ein Ende zu bereiten. „Ich war für den 155“, sagt Jiménez. „Ich glaube sogar, sie setzen ihn auf eher noch sanfte Art um.“  

Die Gewaltbereitschaft ist zum Glück nicht groß

In diesem Moment geschieht etwas, was den Eindruck von Entspannung untergräbt. Ein junger Mann vom Nachbartisch dreht sich um und fragt empört: „Wie hätten sie es denn deiner Meinung nach noch härter machen können?“ Porta springt seiner Frau zur Seite: „Was mischst du dich denn in unsere Diskussion ein?“, fährt er den Zwischenfrager an. Der schaut noch einen Moment böse herüber und wendet sich dann wieder seinen Tischgenossen zu. „Wenn du für die Einheit Spaniens bist, bist du für sie ein Fascho“, sagt Porta mit Blick auf den Nachbartisch. „In meiner eigenen Stadt, in meinem eigenen Viertel!“ Er ist stinksauer. „Ich bin froh, dass gerade die ganze Welt auf uns blickt“, sagt er. Das zügelt Gewaltbereitschaft, glaubt er.

Auch die der spanischen Polizei, die am 1. Oktober noch hier und da unnötig gewalttätig wurde, um das Unabhängigkeitsreferendum zu verhindern, als es nicht mehr zu verhindern war. Solche Bilder sollen sich in den kommenden Wochen nicht wiederholen. Aber vielleicht werden sie sich wiederholen.   Alles hängt jetzt von der separatistischen Führung in Barcelona ab. Die ersten Signale sind nicht ermutigend. Puigdemont fordert im Fernsehen zur „demokratischen Opposition“ gegen die Anwendung des Artikels 155 auf. „Wir werden nicht von unserem Pfad abweichen.“ Friedlich und zivilisiert soll alles bleiben, aber das Erreichte müsse „verteidigt“ werden. Puigdemont sagt nicht, dass er seine Absetzung nicht anerkennt, aber das ist auch nicht nötig: Das staatliche regionale Fernsehen, das seine Rede ausstrahlt, betitelt ihn weiter als Ministerpräsidenten. Er ist der virtuelle Präsident einer virtuellen Republik.  

Vieles hängt nun von Madrid ab

Ob die Lage friedlich bleibt, hängt auch vom Händchen der spanischen Regierung ab. Wenn es ihr gelingt, den Regierungspalast in Barcelona und die Ministerien unter Kontrolle zu bekommen, bevor Puigdemont und seine Minister sich wieder an ihren Schreibtisch setzen, könnte sie unschöne Bilder verhindern: von Polizisten, die sich ihren Weg durch Sitzblockaden bahnen, um die katalanischen Politiker abzuführen. Auch der spanische Generalstaatsanwalt, ein Hardliner, hat ein Wort mitzureden: Er scheint nicht von der Idee abzubringen zu sein, Puigdemont wegen „Rebellion“ anzuklagen, eines Straftatbestands, der Gewalttaten vonseiten der Separatisten voraussetzt. Die hat es bisher, bis auf wenige Ausnahmen, nicht gegeben.  

Am Sonntag gehören die Straßen Barcelonas zum zweiten Mal innerhalb von drei Wochen denen, die zu Hunderttausenden für die Einheit Spaniens demonstrieren. Am Samstagabend hatten Kike Porta und Paloma Jiménez noch gesagt, dass sie nicht dabei sein wollen. Am Sonntag schicken die beiden plötzlich per Whatsapp ein Selfie von sich, mitten unter den Demonstranten, mitten unter spanischen Fahnen. Der Streit mit dem Mann vom Nachbartisch hat sie umdenken lassen.