Die Stuttgarter Karstadt-Filiale wird geschlossen Foto: dpa

Das Stuttgarter Karstadt-Warenhaus schließt Mitte 2015. Grund ist aber nicht ein schlechter Standort. Ganz im Gegenteil. Investor René Benko will offenbar an der prominenten Stelle neue Ladenmieter an Bord holen, die zahlungskräftiger sind. Seine Signa-Holding ist bereits wegen Umbauplänen bei der Stadt vorstellig geworden.

Stuttgart - Die Stimmung könnte kaum schlechter sein. „Die Leute sind deprimiert und wütend“, sagt Michael Markowsky am Freitag. Der Betriebsratsvorsitzende des Stuttgarter Karstadt-Warenhauses hat am Vorabend gemeinsam mit rund 230 Kolleginnen und Kollegen erfahren, dass sie alle ihre Arbeit verlieren. „Seit zehn Jahren leisten wir unseren Beitrag zur Sanierung des Konzerns. Noch vor kurzem hieß es, man sei auf einem guten Weg. Das ist jetzt ein Schlag ins Gesicht“, sagt Markowsky.

Es klingt ja auch alles unverständlich. Ausgerechnet die Karstadt-Filiale in Stuttgart an der Ecke König- und Schulstraße soll zum 30. Juni nächsten Jahres schließen. 180 Mitarbeiter des Warenhauses, 30 der Gastronomie und 20 geringfügig Beschäftigte stehen auf der Straße. Und das in einer der besten Lagen Deutschlands. Hohe Kundenfrequenz. Laut der Gewerkschaft Verdi Umsätze, die über denen vieler anderer Filialen liegen. Immerhin: Das Sporthaus mit seinen etwa 50 Beschäftigten ist nicht betroffen. Dennoch herrscht große Empörung. Warum gerade diese Filiale?

Die verblüffende Erklärung: Karstadt in Stuttgart schließt, weil der Standort des Gebäudes so gut ist. Die Signa-Holding des neuen Karstadt-Eigentümers René Benko ist Hauptbesitzerin der Immobilie. Benko vermietet die Flächen also quasi an sich selbst. Und hat dabei wohl festgestellt, dass an dieser attraktiven Stelle mit einem anderen Modell deutlich mehr zu verdienen.

„Hier saniert sich der Immobilienbesitzer Benko auf dem Rücken der Stuttgarter Belegschaft“, kritisiert Bernhard Franke, der Landesfachbereichsleiter Handel der Gewerkschaft Verdi. Schon vor einem Jahr, erzählt sein Kollege Wolfgang Krüger, ging das Gerücht um, Mietinteressenten schauten sich die Räume an. Das Problem der Karstadt-Filiale sei die teure Miete. „Einen zu hohen Teil des Umsatzes gibt sie an Signa ab“, sagt Krüger. Das bringe die Filiale in Schwierigkeiten. Und mache es dem Investor leichter, sie zu schließen. „Die Beschäftigten haben jahrelang verzichtet“, klagt Krüger, „und jetzt setzt man sie vor die Tür.“

Was Benko tatsächlich mit dem Gebäude vor hat, weiß bisher niemand. Von der Signa-Holding gibt es am Freitag keine Antwort auf diese Frage. Einzelhandelsexperten folgen jedoch der Verdi-Theorie. „Der Investor hat das Potenzial des Standorts erkannt“, sagt einer. Im Gespräch seien zuletzt „mehrere Planspiele zur Entwicklung des Geländes“ gewesen. Eine Variante: Das Haus wird kernsaniert, damit verschiedene neue Mieter einziehen können – in einer Art kleiner Shopping-Mall. Die einzelnen Mieten wären in diesem Fall viel höher als das, was Karstadt zahlen kann. Möglich ist aber auch ein Abriss und ein nachfolgender Neubau. Das Ziel, so der Fachmann, sei aber in beiden Fällen dasselbe: An einem prominenten Standort deutlich mehr Geld zu verdienen als bisher.

Eines glauben Experten keinesfalls: Dass Karstadt die Königstraße verlässt, weil die neue Führung befürchtet, durch die jüngst eröffneten Einkaufscenter Gerber und Milaneo könnten sich dort die Geschäfte verschlechtern. „Der Run auf die 1a-Lagen ist größer als je zuvor“, sagt Jürgen Track vom Makler Colliers International Stuttgart. Zahlreiche Filialisten seien nach wie vor auf der Suche in der Stuttgarter Innenstadt. Zunehmend gesellten sich auch Händler dazu, die es bisher nur im Internet gibt, die jetzt aber in den stationären Handel einsteigen wollten. „Da tun ein Gerber oder ein Milaneo nicht weh“, sagt Track.

Das glaubt auch die Stuttgarter Citymanagerin Bettina Fuchs nicht: „Da gibt es keinen direkten Zusammenhang.“ Sie bedaure den Weggang Karstadts. „Das ist ein Verlust für die Kunden, denn das Einzelhandelsformat Kaufhaus wird immer seltener. Dabei gibt es viele Kunden, die es sehr schätzen und nicht immer durch 20 Geschäfte streifen wollen, um etwas für sich zu finden.“

Was die künftige Nutzung betrifft, wünscht sich Fuchs einen starken Ankermieter – etwa einen Apple-Store, der in Stuttgart quasi bei jeder frei werdenden oder neuen Fläche genannt wird. „Ich sehe an dieser Stelle keinen Bedarf für ein weiteres Shopping-Center“, stellt die Citymanagerin klar. Davon gebe es jetzt genug in der Stadt. Von einer großen Lösung mit Abriss sei ihr bisher nichts zu Ohren gekommen, allerdings: „Ein Warenhaus umzubauen ist eine große Herausforderung.“ Zumindest die oberen Etagen seien danach schwer als Einzelhandelsflächen zu vermieten. Dort seien dann eher Büros denkbar.

Dass ein einzelner Nachnutzer kommt, scheint unwahrscheinlich. „Wer sollte das auch sein?“, fragt Heinz Reinboth von der Interessengemeinschaft Königstraße. Einer, über den spekuliert wird, ist es jedenfalls nicht. Ikea hat im Juni in Hamburg zum ersten Mal ein innerstädtisches Haus nach einem neuen Konzept eröffnet. Weg von der grünen Wiese, rein in die City. Und der Möbelriese sucht bereits seit Jahren nach einer Fläche in Stuttgart. Das Karstadt-Gebäude wird es aber nicht sein. „Wir sind zwar nach wie vor sehr an einem Standort in Stuttgart interessiert, aber wegen des Karstadt-Hauses gibt es keine Gespräche“, sagt eine Ikea-Sprecherin. Man wolle erst abwarten, wie sich der Hamburger Testballon entwickle, bevor man ein zweites Innenstadthaus eröffne.

Oberbürgermeister Fritz Kuhn bedauert die Schließung. Er gehe „davon aus, dass Karstadt seiner sozialen Verantwortung gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gerecht wird“. Bei der Stadtverwaltung liegt derzeit kein Bauantrag für das Karstadt-Gebäude vor. Allerdings hätten bereits „Vertreter von Signa auf Fachebene das Gespräch mit der Stadt gesucht, um sich über baurechtliche Möglichkeiten zu informieren“, so ein Sprecher. Vereinbarungen gebe es aber noch nicht. Nach allem, was im Umfeld des Rathauses zu hören ist, soll es dabei nicht um einen Abriss, sondern um eine Neuaufteilung der bisherigen Flächen gehen. Dazu passt, was Benkos Signa-Holding auf ihrer Internetseite schreibt: „Der Standort bietet Potenzial für Filialisten, welche nach innerstädtischen Flächen suchen, die aufgrund des Flächenmangels in den letzten Jahren nicht bedient werden konnten.“ Eine offene Einladung zur Bewerbung.

In dieser Hinsicht könnte es einen kleinen Trost für die Betroffenen geben. „Für die Mitarbeiter ist es schlimm. Sie haben tolle Arbeit abgeliefert. Aber dort werden neue Flächen entstehen und ich glaube, dass der Arbeitsmarkt die Leute auffangen wird“, sagt Sabine Hagmann, Hauptgeschäftsführerin des Handelsverbandes Baden-Württemberg. Sie geht davon aus, dass Benko „eines der besten Filetstücke in Deutschland weiterentwickeln“ werde. Dass er dafür bei Bedarf auch Partner findet, steht für sie außer Zweifel: „Die Investoren werden Schlange stehen.“

Und vermutlich die Kunden. Egal, was an dieser prominenten Stelle entsteht. Dass Karstadt dort doch noch eine Zukunft haben könnte, glaubt man selbst beim Betriebsrat nicht so recht: „Wir werden natürlich versuchen, die Entscheidung rückgängig zu machen, aber man muss sehen, wie realistisch das ist“, sagt Markowsky. Es werde jetzt vorrangig darum gehen, das Beste für die Mitarbeiter herauszuholen. Die müssen erst einmal durchatmen: „Man muss Wut und Trauer Zeit lassen.“