Blumenberge nach dem Anschlag auf „Charlie Hebdo“ im Januar – ist das Satire-Magazin mit der Karikatur eines Flüchtlingskinds jetzt zu weit gegangen? Foto: dpa

Diesmal ist es keine Abbildung des Propheten Mohammed, mit der die Zeitung „Charlie Hebdo“ provoziert, sondern eine Abbildung des erschreckenden Fotos des dreijährigen Aylan Kurdi. Im Netz löst die Zeichnung einen Shitstorm aus.

Paris - Die Zeichnung zeigt den syrischen Jungen Aylan Kurdi, der tot am Strand liegt, den Kopf im Wasser. Im Hintergrund strahlt ein aufgekratzter Clown von einem McDonalds-Werbeplakat. „Angebot!“, steht darauf, „2 Kinder-Menüs zum Preis von einem“. Aber dieses Kind wird nie mehr essen. Es hatte keine Chance.

„So nah am Ziel“ lautet der Titel der Karikatur, die sich in der aktuellen Ausgabe des französischen Satiremagazins „Charlie Hebdo“ findet. Die Zeichnung setzt sich auf sehr spezielle Art und Weise mit der aktuellen Flüchtlingskrise auseinander. Ist es die zynische Verhöhnung eines unerträglichen Dramas? Oder der brutale, aber berechtigte Hinweis eines Karikaturisten auf den Widerspruch zwischen der sorglosen Konsum-Kindheit der einen – und dem bitteren Schicksal der anderen, denen auf der Flucht oft nicht mehr als die Kleider am Leib bleiben und für die der kleine Aylan zum Symbol geworden ist?

Weltweite Debatte im Netz

Während das Echo in Frankreich selbst verhalten ist, tobt in den sozialen Netzwerken im weltweiten Web eine lebhafte Debatte darüber. Viele Nutzer geben sich schockiert. „Wie schändlich, über den Tod eines Kindes zu lachen“, schreibt einer. „Es gibt eine Linie zwischen Meinungsfreiheit und schlechtem Geschmack. Charlie Hebdo hat sie überschritten“, ein anderer.

Vor acht Monaten, als islamistische Terroristen bei einem Anschlag auf die Redaktion insgesamt zwölf Menschen töteten, hatte sich unter dem Motto „Je suis Charlie – Ich bin Charlie“ eine Welle der Solidarität mit dem streitbaren Satireblatt verbreitet. In weißer Schrift auf schwarzem Grund ging es um die Welt. Nun erklären viele „Ich bin nicht Charlie“. Medienberichten zufolge wird in Großbritannien eine Klage wegen „Anstiftung zum Rassenhass“ vorbereitet. Das Heft, dem es nie darauf ankam, politisch korrekt zu sein oder allen zu gefallen, droht viele Sympathien zu verlieren mit der Zeichnung des Kindes.

Seit dem Anschlag interne Konflikte bei der Zeitschrift

Die Karikatur stammt aus der Feder von Laurent Sourisseau, genannt Riss, der nach den Morden vom Januar, bei denen die Redaktion stark dezimiert wurde, die Direktion übernommen hat. Im Heft heißt es, dass man nicht das Schicksal der Flüchtlinge verhöhne, sondern die Unfähigkeit des Westens anklagen wolle, eine gemeinsame, solidarische und vor allem menschenwürdige Lösung zu finden. Und das eben mit dem grenzwertigen Humor, für den „Charlie Hebdo“ steht.

Dabei ist es kein Geheimnis, dass sich das Satiremagazin selbst sucht, seit es im Kern getroffen wurde – zumal es einige seiner besten und berühmtesten Zeichner verlor. In den Monaten nach den Vorfällen folgte ein Streit um die Aufteilung des plötzlichen Reichtums durch Rekordverkäufe und Spenden für die zuvor defizitären Zeitung. Redakteure verlangten eine neue Organisationsform, um in Entscheidungen mit einbezogen zu werden. Riss wurde für die Ankündigung angefeindet, den Propheten Mohammed nicht mehr abbilden zu wollen. Luz, einer der Karikaturisten, kündigte seinen Rückzug an. Es sei schwer, gute Zeichner zu finden, erklärte nun der Chefredakteur Gérard Biard, der an diesem Donnerstag in Potsdam den Preis M100 Media Award für „Charlie Hebdo“ entgegennehmen wird.

Redaktion zieht bald in neue, überwachte Räume

Man mache immer weiter, versichert Biard. Nachdem die „Ausgabe der Überlebenden“ unmittelbar nach den Anschlägen eine Auflage von acht Millionen erreicht hatte, werden heute neben den 180.000 Abonnenten rund 100.000 Exemplare frei verkauft – immer noch eine enorme Steigerung gegenüber der vorherigen Auflage von 60.000.

In einigen Wochen bezieht die Redaktion, die seit Januar im Gebäude der Zeitung „Libération“ unterkam, ihre neuen, ständig überwachten Räumlichkeiten. „Wir wollen in die Zukunft blicken und weiterhin über alles lachen“, sagt Biard. Auch wenn manche Karikaturen eher zum Weinen bringen.