Kanzlerin Merkel in Neu-Delhi, rechts wartet Indiens Premier Modi Foto: dpa/Michael Kappeler

Kanzlerin Merkel kann auf ihrem Besuch in Indien dem Ärger daheim nicht so ganz entrinnen. Aber die Beziehungen beider Länder sollen vertieft werden, eine Reihe von Abkommen werden geschlossen.

Neu Delhi - Die Kanzlerin zieht die Schuhe aus. So gehört sich das für die Besucher von Mahatma Gandhis Einäscherungsstätte in der Hauptstadt Neu-Delhi. Angela Merkel, die die Delegation aus Berlin anführt, legt vor Beginn der fünften deutsch-indischen Regierungsgespräche einen Kranz nieder und ehrt den Mann, dessen Name untrennbar mit Indiens Unabhängigkeit verbunden und der Sinnbild für den gewaltfreien Widerstand geworden ist. Gandhi habe, so schreibt Merkel ins Gästebuch, „mit seinem tiefen Glauben an die friedliche Revolution die Welt verändert“. Sie fügt mit Blick auf das nahende 30-Jahr-Jubiläum des Mauerfalls hinzu: „Auch bei uns in Deutschland.“

Sonst ist Deutschland auf dieser Klassenfahrt der Bundesregierung nicht nur geografisch für zwei Tage lang weit weg. In der siebtgrößten Volkswirtschaft der Welt ist bitterste Armut am Straßenrand nicht zu übersehen, an dem Jugendfotos der Kanzlerin sie auf Deutsch „willkommen“ heißen. Die Hauptschlagzeile der „Hindustan Times“ vom Freitag betrifft die Verwaltungsreform im mehrheitlich muslimischen Bundesstaat Jammu und Kaschmir, weshalb es massive Menschenrechtsverletzungen vor Ort gegeben hat, die die Spannungen zwischen den Atommächten Indien und Pakistan zuletzt wieder hat zunehmen lassen.

Die Atemnot durch Feinstaub ist ein großes Thema in Neu-Delhi

Auf der Titelseite direkt daneben steht die Atemnot. Die Kessellage Neu-Delhis am Fuße des Himalaya treibt die Feinstaubbelastung in Höhen, die weltweit nur die 27-Millionen-Einwohner-Stadt erreicht. Das „Green Urban Mobility“-Programm, in das ein Teil der deutschen Hilfsgelder von über eine Milliarde Euro pro Jahr fließt, betreibt erste Teile der Metro mit Sonnenstrom und soll ausgebaut werden. Entwicklungsstaatssekretär Norbert Barthle aus Schwäbisch Gmünd tauscht mit seinem indischen Gegenüber die entsprechende Absichtserklärung aus.

Insgesamt 13 solcher Regierungsvereinbarungen werden an diesem Freitag in Neu-Delhi getroffen. Es geht um Zusammenarbeit bei Existenzgründungen, bei künstlicher Intelligenz, beruflicher Bildung, die Beteiligung deutscher Unternehmen am Ausbau des indischen Eisenbahnnetzes, einen regelmäßigen Austausch der Außenministerien auf Arbeitsebene, Kooperation bei der Internetsicherheit oder digitale Möglichkeiten in der Landwirtschaft, in der etwa die Hälfte der erwerbstätigen Inder ihr Auskommen sucht und oft nicht findet. Dazu gibt es noch eine 21-seitige Abschlusserklärung, in der man sich darauf verständigt hat, „die Bemühungen um eine Wiederaufnahme der Verhandlungen zwischen der EU und Indien über ein bilaterales Handels- und Investitionsabkommen zu intensivieren“. Weitere neun Abkommen vertiefen die Beziehungen im nicht-staatlichen Bereich: Das Humboldtforum im neuen Berliner Schloss will beispielsweise genauso mit indischen Partnern kooperieren wie der Deutsche Fußball-Bund.

Der indische Premier würdigt Merkel als „herausragende Führungspersönlichkeit“

Die Botschaft, die Merkel aussenden will, ist klar. Die Wirtschaftsbeziehungen sind in den vergangenen Jahren ausgebaut worden, „aber sie könnten noch intensiver sein“, wie die Kanzlerin sagt. Sie will mit diesem Besuch erreichen, dass Deutschland nicht zu abhängig von China wird und politisch wie ökonomisch stärker mit Indien ins Geschäft kommt, zumal die mit 1,3 Milliarden Einwohnern größte Demokratie der Welt anders als China, Russland und inzwischen auch die USA kein Interesse daran zu haben scheint, die Europäer zu spalten. Deshalb trifft Merkel sich zwar mit einer Gruppe indischer Frauen und sagt öffentlich, dass „gerade im Bereich der Gleichberechtigung noch einiges geschehen kann“. Vor allem aber wirbt die Kanzlerin – etwa dafür, dass ruhig mehr als die aktuell 20 000 indischen Studenten nach Deutschland kommen dürften. Deutschland rechnet sich etwas aus in Indien.

In so einem Fall hält die Regierung natürlich zusammen. Vom Aufruhr in der Koalition nach der Thüringen-Wahl und dem internen Kompetenzgerangel zwischen Außenminister Heiko Maas (SPD) und Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) ist nach außen hin nichts zu spüren. Maas, der wie Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner, Forschungsministerin Anja Karliczek (beide CDU) und eine Reihe von Staatssekretären mit nach Delhi gekommen ist, wird bisweilen ohne Anzeichen von Streit mit der Kanzlerin gesichtet. Und anders als deren „Parteifreund“ Friedrich Merz ist Indiens Premierminister Narendra Modi der Meinung, dass Angela Merkel ein „outstanding leader“ sei, also eine herausragende Führungspersönlichkeit.

Die Verteidigungsministerin ist nicht mitgereist

Nicht ganz einleuchten mag aber die Erklärung, warum CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer nicht mitgekommen ist. Angeblich spielt Verteidigungspolitik keine große Rolle – zugleich geht es in den Regierungskonsultationen auch um Afghanistan und militärisch abgesicherte, freie Schifffahrtswege. Inoffiziell ist „AKK“ wegen des Ärgers um die wiedereröffnete Führungsfrage in ihrer Partei entschuldigt. „Wir arbeiten hier in Neu-Delhi als Regierung gut zusammen, verstehen uns gut und reden nur gut übereinander“, meint Staatssekretär Barthle, um sich dann als CDU-Mann einen Zusatz nicht verkneifen zu können, „nicht so, wie Außenminister Maas das bei seinem letzten Besuch in der Türkei getan hat.“

Ganz kann auch Angela Merkel dem Ärger zuhause nicht entrinnen, der sich auch gegen ihre Person und ihre aus Teilen der Union kritisierte Führungsschwäche richtet. Auf einer Pressekonferenz wird sie eben nicht nur nach den deutsch-indischen Wirtschaftsbeziehungen und Kaschmir gefragt, sondern auch dazu, wie sie mit den unterschiedlichen Wahrnehmungen im In- und Ausland umgeht. Diese Gegenüberstellung hält die Kanzlerin, laut Umfragen weiter Deutschlands beliebteste Politikerin, an sich schon für fragwürdig. „Ich freue mich, dass ich in Deutschland auch sehr viel Unterstützung für meine Arbeit habe, die ich auch jeden Tag erfahre“, antwortet Merkel, sichtlich darum bemüht, die Äußerungen der vergangenen Tage tiefer zu hängen: „Wir leben in einer Demokratie, da muss man auch mit Kritik umgehen.“ Die entsprechenden Diskussionen in Berlin, das dürfte Angela Merkel nach ihrer für Samstagnachmittag geplanten Rückkehr schnell erfahren, wird sie damit kaum beenden.