Aus dem Krater des indonesischen Vulkans Merapi fließt am 2. November 2010 Lava den Kegelberg hinunter. Foto: dpa

Der Geologe und Vulkanologe Hans-Ulrich Schmincke spricht im Interview über die vernichtende Kraft von Vulkanausbrüchen und die Vorhersagemöglichkeiten.

Stuttgart - Herr Professor Schmincke, was fasziniert Sie so an Vulkanen?

Seit jeher haben Menschen Vulkane verehrt und als Sitz der Götter betrachtet – wie zum Beispiel den Fujiyama, mit 3776 Meter der höchste Berg Japans. Vulkane faszinieren die Menschen und zugleich haben sie Angst vor ihnen. Aus das aus gutem Grund. Wenn ein Vulkan ausbricht, zerstört er Felder, Menschen kommen zu Tode. Andererseits weiß man seit Jahrtausenden, dass die Böden in der Nähe von Vulkanen sehr fruchtbar sind.
Schauen Sie sich gerne Vulkan-Filme an?
Manchmal im Fernsehen. Aber die meisten Filme sind viel zu einseitig und heben auf die zerstörerische Seite von Vulkanen ab. Immer wieder werden nur die Gefahren sensationell dramatisiert. Dabei sind nur wenige Vulkane wirklich gefährlich. Sie sind ein ganz normaler, wunderbarer und dramatischer Teil der Natur.
Würden Sie bitte kompakt erklären, was Vulkane eigentlich sind.
Vulkane sind nicht nur Krater oder Bergkegel. Wir sprechen von Vulkan-Magma-Atmosphäre-Systemen: Sie erstrecken sich vom Erdmantel, wo das Magma entsteht, entlang der unterirdischen Aufstiegswege des Magmas bis zu den eigentlichen Vulkan-Gebäuden auf der Oberfläche. Dazu gehören auch die relativ dünne Erdkruste und die während der Eruptionen ausgestoßenen Partikeln und Gase, die bis hoch hinauf in die Atmosphäre gelangen.
Wie gefährlich sind Vulkan-Eruptionen?
In den Medien wird meistens nur dann über Vulkane berichtet, wenn irgendwo einer ausbricht und Menschen dabei ums Leben kommen. Wenn man aber auf die Menschheitsgeschichte blickt, haben die Menschen immer unendlich mehr von Vulkanen profitiert als unter ihnen gelitten.
Für wen können Lavaströme und Aschewolken denn von Nutzen sein?
Vulkanische Böden sind sehr fruchtbar. Die Ascheteilchen sind meistens porös, enthalten viele für das Pflanzenwachstum wichtige Elemente und speichern das Wasser lange. Pflanzen können darin gut wurzeln, so dass mehrere Ernten pro Jahr möglich sind. Viele Ascheteilchen bestehen aus Gesteinsglas, das leicht zersetzbar ist und die darin enthaltenen Mineralien gut verfügbar macht. Das ist auch der Grund, warum in vielen lateinamerikanischen Ländern, auf den Philippinen oder in Indonesien Menschen bis hoch hinauf an den Flanken aktiver Vulkane siedeln.
Gibt es neben der Landwirtschaft noch andere Wirtschaftszweige, die profitieren?
Für viele Länder und Regionen wie Costa Rica, Nicaragua, Island oder die Kanaren ist der Vulkan-Tourismus eine wichtige und wachsende Einnahmequelle. Auch die geothermische Energie spielt in vulkanisch aktiven Gebieten eine wichtige Rolle. Es gibt viele geothermische Kraftwerke – in Neuseeland, Island oder Italien. San Francisco zum Beispiel bezieht seine gesamte Elektrizität von einem geothermischen Kraftwerk in seiner Nähe.
Nicht zu vergessen Baustoffe . . .
. . . Basalt von Lava-Strömen für Schotter und Pflastersteine, Tuffe und durch Beton gebundene Bimssteine als Leichtbausteine mit sehr guten Isoliereigenschaften.
Wie wirken sich Eruptionen auf das globale Klima aus?
Der Schwefelausstoß großer hochexplosiver Vulkan-Eruptionen führt in der Stratosphäre in 20 bis 40 Kilometern Höhe zur Bildungen von kleinen Schwebeteilchen aus Schwefelsäure-Aerosolen. Sie können mehrere Jahre um den Globus wandern und absorbieren ein Teil des Sonnenlichts.
Mit welchen Folgen?
Dadurch kann es zu einem Abfall der Jahresmitteltemperatur um mehrere Grad Celsius und damit zu einer signifikanten Veränderung der Wettermuster auf der gesamten betroffenen Hemisphäre für mehrere Jahre kommen. Man denke da nur an die gravierenden Folgen der Tambora-Eruption im Jahre 1815.
(Anm. d. Red.: Beim Ausbruch des Vulkans auf der indonesischen Insel Sumbawa starben Zehntausende. Das bei der Eruption ausgeworfene Material bewirkte globale Klimaveränderungen, in Nordamerika und Europa sprach man 1816 vom „Jahr ohne Sommer“. Es kam zu Missernten und Hungersnöten).
Lassen sich Vulkanausbrüche besser vorhersagen als Erdbeben?
Vulkan-Eruptionen haben den großen Vorteil, dass sie Punktquellen darstellen. Es gibt selten ganz neue Vulkane. Man kann sie über Jahrzehnte überwachen und bei wichtigen Änderungen wie Aufwölbungen am Vulkangebäude, verstärkte Gas-Emissionen oder charakteristischen vulkanischen Erdbeben feststellen, ob und wann ein Vulkan ausbrechen wird. Dann kann man entsprechend die Bevölkerung im Umkreis evakuieren.
Können Sie hierfür ein Beispiel nennen?
Vor dem Ausbruch des Merapi, einem der aktivsten Schichtvulkane auf der indonesischen Insel Java, wurden 2010 mehr als 300 000 Menschen ganz schnell evakuiert. Erdbeben dagegen lassen sich weder zeitlich noch räumlich genau vorhersagen, Sie führen daher oft zu vielen Tausenden von Toten wie zuletzt in Nepal oder in Südchina. Bei Vulkanausbrüchen ist in den vergangenen Jahrzehnten relativ wenig passiert, weil die Menschen rechtzeitig in Sicherheit gebracht wurden.
1985 reagierte man allerdings in Kolumbien viel zu spät.
Am 13. November 1985 brach der Nevado del Ruiz in Kolumbien aus. Eine Schlammlawine begrub die 47 Kilometer entfernte Stadt Armero und nahezu 25 000 Menschen unter sich. Schlammlawinen dieser Art waren dort schon aus den Jahren 1595 und 1845 bekannt. Die Stadt hätte dort nie errichtet werden dürfen. Geologen hatten schon ein Jahr zuvor gewarnt, aber die Behörden und die Politiker reagierten nicht.
Wie viele Vulkane sind weltweit aktiv?
Zwischen 1500 und 1900. Alle Vulkane, die nach der letzten Eiszeit in den vergangenen etwa 12 000 Jahren ausgebrochen sind, bezeichnet man als aktive Vulkane. Auf Gran Canaria, wo wir seit „prä-touristischer Zeit“ also seit 1965 forschen, gab es in den letzten 15 Millionen Jahren immer wieder Perioden mit versärkter vulkanischer Tätigkeit. Dazwischen war wieder für ein paar Millionen Jahre Ruhe.
Die Kanaren, vor allem Gran Canaria, haben Sie intensiv erforscht. Warum?
Die Kanaren sind seit über 20 Millionen Jahren aktiv. Gran Canaria ist das beste Vulkanologie-Lehrbuch, das ich kenne. Ich habe von Nordkorea bis Patagonien, von der Osttürkei bis Kamerun und Nord- und Südamerika gearbeitet. Aber kein Gebiet ist so spannend wie Gran Canaria. Man kann dort ganzjährig arbeiten. Das Verkehrsnetz ist sehr gut ausgebaut und es gibt viele Canyons mit hervorragenden Aufschlüssen, auch in der tief erodierten ehemaligen Magma-Kammer.
Lassen sich auch hier vulkanische Aktivitäten vorhersagen?
Wir haben mal ausgerechnet, wie groß der zeitliche Abstand zwischen den Ausbrüchen in den vergangenen 500 Jahren auf den Kanaren im Durchschnitt war. Wir kamen auf ein Intervall von 40 Jahren. Die vorletzte Eruption war 1971 auf La Palma, die letzte 2011 auf El Hierro, wo es eine submarine Eruption gab.
Das ist ja fast wie ein geologischer Kalender.
All das deutet darauf hin, dass im Erdmantel unter den Kanaren relativ beständig Magma produziert wird und aufsteigt. Ähnliches ist beim Nemrut Dagi zu beobachten, einem 3050 Meter hohen, zuletzt 1881 aktiven Vulkan in der Osttürkei. Innerhalb der letzten 500 000 Jahren ist der Vulkan alle 30 000 Jahre massiv ausgebrochen. Dazwischen gab es immer wieder kleine Eruptionen.
Und wie sieht die Zukunft der Vulkanologie aus?
In Zukunft werden die Vorhersagen noch präziser, so dass es kaum noch große Unglücke geben wird, wenn ein Vulkan ausbricht.
Was können Sie unseren Lesern über den Vulkan in ihrer Nachbarschaft sagen?
Die Ausbrüche des Schwäbischen Vulkans im Gebiet um Bad Urach fanden vor 17 bis elf Millionen Jahren statt. Und zwar immer dann, wenn aufsteigendes Magma mit Grundwasser in Kontakt kam, was besonders hochexplosive Eruptionen von allerdings nur sehr lokaler Reichweite zur Folge hatte. Die Eruptionen ereigneten sich im Zusammenhang mit der Alpenentstehung.
Wie sahen die Alb-Vulkane aus?
Es waren in die Erdoberfläche eingesenkte Kratertrichter, die von einem niedrigen Wall umgeben waren – die sogenannte Maare. Die Maar-Krater füllten sich mit einem See, der im Laufe der Jahrtausende verlandete. Die Ringwälle wurden durch Erosion abgetragen.
Woher bekamen die Alb-Bewohner in früheren Zeiten ihr Wasser?
Die wasserstauende See-Sedimentefüllung der Maar-Mulden ermöglichte in früheren Zeiten die einzige Zugangsmöglichkeit zu Oberflächenwasser auf der tief verkarsteten Schwäbischen Alb. Man war ansonsten auf das Sammeln von Regenwasser oder das Herankarren von Wasser aus den Tälern oder von Hangquellen mit Ochsen- oder Pferdegespannen angewiesen. Daher liegen die meisten Dörfer im schwäbischen Vulkangebiet innerhalb ehemaliger Maar-Krater.
Wie hat man sich eine vulkanische Eruption vorzustellen? Was läuft vorher ab?
Die Erdkruste ist im Durchschnitt in Mitteleuropa etwa 30 Kilometer dick. Darunter liegt der Erdmantel. Die meiste Magmen entstehen in 50 bis 100 Kilometern Tiefe. Das Magma steigt auf, weil es leichter ist als das umgebende Gestein in der Tiefe. Erst nahe der Erdoberfläche bilden sich Schlote aus. Das Magma steigt also nicht in Röhren aus dem Erdmantel auf. Es kann mit Grundwasser reagieren. Dabei entsteht ein Riesendruck wie bei einem Dampfkochtopf. Beides bewirkt, dass zerrissenes Magma zusammen mit zerborstenem Gestein des Untergrundes explosiv herausgeworfen wird.
Wie unterscheiden sich t Schichtvulkane wie der Ätna oder der Vesuv, die Hunderte Meter hoch aufragen, von den Maaren auf der Schwäbischen Alb oder in der Eifel?
Maare sind schüssel- oder trichterförmige Mulden, die in die Landfläche eingesenkt und von einem niedrigen Ringwall aus Auswurf-Produkten umgeben sind. Die Maare in der Eifel und auf der Schwäbischen Alb waren nie sehr hoch. Mit 11 000 Jahren ist das Ulmener Maar in der West-Eifel der jüngste Vulkan in Deutschland. Der See ist bis zu 37 Meter tief und wird von einem 20 Meter hohen Wall aus Tuffen umschlossen, dem Auswurf des einstigen Vulkans.
Würden Sie erklären, wie die Maare – etwa das Randecker Maar – entstanden sind?
Maare entstehen immer dann, wenn geringe Mengen aufsteigendes Magma mit Grundwasser in Berührung kommt. Maar-Vulkane sind häufig nur über kurze Zeitspannen hinweg aktiv. Große Schichtvulkane dagegen sind häufig viele Jahrtausende alte und viele hundert Meter hohe kegelförmige Berge. Sie bestehen aus den übereinander gestapelten Auswurf-Produkten unzähliger Eruptionen. Bei ihnen spielte ein Grundwasserkontakt der über sehr lange Zeitspannen immer wieder erneut aufsteigenden großen Magmavolumina keine große Rolle.
Sie haben in den USA studiert, wo Sie1964 an der Johns-Hopkins-University in Baltimore promovierten. Haben Sie sich schon früh für die Vulkanologie begeistert?
Ich war als Jugendlicher kein Vulkan-Freak. Ich habe in meinem Forscherleben Hunderte Vulkane angeschaut, aber richtig erforscht habe ich nur wenige – mit Schwergewicht auf den Kanaren und in der Eifel. Nordkorea war das exotischste Land, wo ich je gearbeitet habe. Gran Canaria hat mich seit jeher begeistert. Es ist die Insel, wo ich am meisten entdeckt habe. Ab Mitte September werde ich dort wieder sein, im Gelände forschen und Vorträge halten.

Zur Person: Hans-Ulrich Schmincke

1937 geboren in Detmold

1957-1964 Studium der Geologie in Göttingen, Freiburg, Aachen, Baltimore und Santa Barbara

1969-1990 Professor am Mineralogischen Institut der Ruhr-Universität Bochum

1983-1991 Generalsekretär der internationalen Vulkanologen-Vereinigung

1991 Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft

1990-2003 Direktor der Abteilung Vulkanologie und Petrologie am Hemholtz-Zentrum für Ozeanforschung (Geomar) in Kiel