Umstrittener Kandidat: Johnson  Foto: dpa

Mittlerweile drängen sich zwölf Kandidaten bei der Schlacht um die Macht in Großbritannien.

London - Eine Woche nach der Rücktrittsankündigung Theresa Mays findet sich ihr ehemaliger Außenminister Boris Johnson beim Nachfolgekampf noch immer in der Favoritenrolle. Dabei hat Johnson seine Kandidatur noch gar nicht offiziell bekannt gegeben. Er hat nur einmal am Rande eines Gesprächs erklärt, „natürlich“ werde er teilnehmen an der Wahl. Mittlerweile, zehn Tage vor Beginn der Wahlprozedur, drängen sich die Bewerber geradezu am Start. Zwölf waren es am Freitag. Ein halbes Dutzend könnte noch dazustoßen.

Besorgte Parteiadministratoren halten diesen Ansturm für ein Problem, schon weil die Wahl binnen weniger Wochen über die Bühne gehen soll. Das Wahlverfahren ist in der Tat komplex. Vom 10. Juni an müssen zunächst die Kandidaten in einer Serie von Fraktionsabstimmungen ausgesiebt werden. Bei jeder Runde scheidet der Kandidat mit dem schlechtesten Ergebnis aus. Die letzten zwei Bewerber auf der Liste erhalten Gelegenheit, in einer kurzen Kampagne bei diversen Veranstaltungen gegeneinander anzutreten. Wer von beiden Parteichef und damit auch Premierminister wird, entscheiden sodann per Briefwahl die rund 120 000 Mitglieder der Konservativen Partei.

US-Präsident Donald Trump hat Johnson erneut als „einen Freund von mir bezeichnet“

Und bei der Parteibasis hat Boris Johnson bis heute, laut Umfragen, die besten Chancen. Nur: Schafft er es in die Vorauswahl? Unter den 313 Abgeordneten der Unterhaus-Fraktion genießt er wesentlich weniger Vertrauen als in den Ortsvereinen. In Westminster kommt er selbst manchen Brexiteers nicht vertrauenswürdig vor. Für entschieden pro-europäische Torys ist er sowieso unakzeptabel. Und etliche Konservative in Schottland fürchten, dass seine Wahl einen neuen Keil zwischen Schottland und England treiben würde, weil sie der schottischen Unabhängigkeitsbewegung neuen Auftrieb gäbe. Andererseits sehen viele Tory-Abgeordnete in ihm den einzigen Kandidaten, der der Wählerschaft bereits wohlvertraut ist – und der mit seinem hausgemachten Populismus Nigel Farage ebenso wie Jeremy Corbyn Paroli bieten könnte.

Dass US-Präsident Donald Trump ihn zum Beispiel diese Woche erneut als „einen Freund von mir“ bezeichnet hat, für den er viel Respekt habe, hebt ihn locker aus der „Meute“ heraus. Bei einem Teil der Bevölkerung löst diese Auszeichnung freilich kaum positive Gefühle aus.

Johnson muss mitten im Nachfolgekampf vor Gericht erscheinen

Ungewiss ist einstweilen noch, ob es Johnson schaden wird, dass er mitten in diesem Nachfolgekampf vor Gericht erscheinen muss. Es wird ihm ja vorgeworfen, durch bewusste Lügen während der Brexit-Kampagne vor drei Jahren seine Amtspflicht verletzt zu haben.

Verbündete des Kandidaten glauben, dass es ihm im Gegenteil nützt, wenn „die Boris-Hasser“ ihn aus rein politischen Motiven verfolgen und dass ihm das Sympathien und Stimmen im eigenen Lager zutreibt. Auch seine Kritiker in der Partei halten es inzwischen für wahrscheinlich, dass er in die Endauswahl kommt. Sie suchen neuerdings nach einem Gegenkandidaten, der es eventuell auch an der Parteibasis gegen ihn schaffen könnte – wobei viel von Umweltminister Michael Gove, einem alten Mitstreiter und zugleich Widersacher Johnsons, die Rede ist.

Noch sieht sich Boris Johnson, bevor er auch nur in den Wahlkampf eingestiegen ist, im Vorteil. Auch er weiß aber natürlich, dass sich bei einem solchem Wahlkampf viel Unvorhersehbares ereignen kann. „Boris Johnson wird gewinnen“, prophezeite jetzt ein Kommentator der konservativen „Times“ in London. „Außer er zerstört sich selbst.“