Das computeranimierte Mädchen „Sweetie“ soll als Lockvogel Pädokriminelle überführen. Foto: Terre des hommes Netherlands

Die Polizei tut sich schwer damit, den Missbrauch von Kindern im Internet zu verfolgen. Mit virtuellen Lockvögeln könnte sie die Täter direkt online überführen. Allerdings ist diese Methode rechtlich umstritten.

Oranienburg - Anfang des Monats ist in Oberbayern ein Mann festgenommen worden, der gegen Geld den Missbrauch von Kindern online per Webcam nicht nur beobachtet, sondern auch Handlungsanweisungen gegeben haben soll. Gegen den Mann ermittelt derzeit die Staatsanwaltschaft Traunstein wegen mehrerer Tathandlungen. Cybercrime-Ermittler des Bundeskriminalamts hatten ihren Kollegen in Bayern den Tipp gegeben. Über die Ermittlungsmethoden schweigen die Beteiligten, das Verfahren läuft noch. Dem Mann drohen nun zwischen zwei und 15 Jahren Freiheitsstrafe.

Beim Bundeskriminalamt arbeiten inzwischen 140 Beamte in der Abteilung Cybercrime. 40 von ihnen befassen sich mit dem Thema Kinderpornografie. Der Cyberkriminologe Thomas-Gabriel Rüdiger ist Dozent an der Fachhochschule der Polizei des Landes Brandenburg und befasst sich seit Jahren mit dem Thema. Er plädiert dafür, den Verfolgungsdruck deutlich zu erhöhen, denn: „Die Täter haben im digitalen Raum kaum ein Risikobewusstsein.“

Den Ermittlungsbeamten stehen verschiedene Ermittlungsinstrumente zur Verfügung. Der frühere Europol-Chef Jürgen Storbeck entwickelte vor Jahren eine Methode, bei der Opferfotografien systematisch nach wiederkehrenden Gegenständen wie Uhren und Bildern untersucht wurden, um Täter zu identifizieren. Täter lassen sich auch mit klassischen Ermittlungsmethoden überführen, etwa indem die Polizei verdächtigen Geldüberweisungen nachgeht oder das Kinderbild an die Personenfahndung übergeben wird.

Auf Skype aktivieren die Täter die Webcam

Der amerikanischen Sicherheitsbehörde FBI (Federal Bureau of Investigation) sind rund öffentliche 40 000 Chaträume bekannt, die den Tätern als erste Anlaufstelle dienen. Oft versuchen die Täter schon bald nach dem ersten Kontakt die Chatpartner auf privatere Kommunikationskanäle wie Skype oder KIK zu ziehen, um die Webcam zu aktivieren. Nach Angaben der Vereinten Nationen und des FBI suchen rund 750 000 Täter minderjährige Opfer über das Netz.

Weltweit sollen Zehntausende Kinder für Webcam-Kinderprostitution missbraucht werden. In Ländern wie den Philippinen werden sie von Erwachsenen, mitunter sogar von ihrer eigenen Familie, dazu gezwungen. Gegen die eigene Familie auszusagen ist jedoch einem Kind nahezu unmöglich, sagt Hans Guyt von der Menschenrechtsorganisation Terre des hommes. Im Februar dieses Jahres wurde ein Rentner aus Dänemark gefasst, der Hunderte Fälle von Kindesmissbrauch mutmaßlich in den Philippinen bestellt und über den Livestream verfolgt hatte. Das FBI hatte die Polizei auf den Mann aufmerksam gemacht, der sich nun in 346 Fällen vor Gericht verantworten muss.

Dass mit der passenden Methode viele Täter gefasst werden könnten, zeigten Experten von Terre des hommes vor einigen Jahren in den Niederlanden. Als Lockvogel hatten sie ein computeranimiertes Mädchen namens „Sweetie“ programmiert, das von rund tausend Tätern aus aller Welt kontaktiert wurde. Das zehnjährige virtuelle Mädchen aus den Philippinen diente zehn Wochen lang als Lockvogel im Internet. Das Team von Terre des hommes chattete mit den Männern, ermittelte deren IP-Adressen und übergab die Protokolle an die internationale Polizeiorganisation Interpol zur weiteren Strafverfolgung.

In Deutschland sind virtuelle Lockvögel verboten

Viele Täter wurden von den nationalen Polizeibehörden nach der „Sweetie“-Aktion ermittelt und auch verurteilt. Der Vorsatz der Täter reichte für die Verurteilung aus. Eine australische Richterin sagte: „Wenn Sie glauben, dass das ein neunjähriges Mädchen ist, dann ist uns das gut genug.“ 44 der identifizierten Täter kamen aus Deutschland. Terre des hommes geht aber von rund 50 000 regelmäßigen Konsumenten von Kinderpornografie allein in Deutschland aus.

Projektleiter Hans Guyt wollte „zeigen, dass es sehr einfach ist, diese Form der Ausbeutung zu bekämpfen. Dazu müssen die zuständigen Behörden ihre Ermittlungsmethoden ändern und anpassen.“ Kriminologe Thomas-Gabriel Rüdiger stimmt Guyt zu, sagt aber auch: „Mich macht es nachdenklich, dass eine Menschenrechtsorganisation das macht, was viele Menschen sicherlich von den Sicherheitsbehörden erwarten. Es zeigt für mich, dass sich die Sicherheitsbehörden ganz neu und vor allem auch international für diesen digitalen Raum ohne physischen Grenzen aufstellen müssen.“

Erfolg versprechend sind offensive Methoden, bei denen die Polizei aktiv öffentliche Internetbereiche besucht, an denen Kinder missbraucht werden. Vor zwei Jahren entwickelten die Landeskriminalämter in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg ein Ermittlungskonzept, bei dem sich eine Polizeibeamtin als vermeintliches Kind in einem bekannten Chatportal für Kinder anmeldet und einfach auf die Reaktion potenzieller Straftäter wartet.

Ein virtueller Lockvogel wie „Sweetie“ ist in Deutschland hingegen bislang nicht machbar, weil das Recht auch ein wirklichkeitsnahes Geschehen unter Strafe stellt – als Agent Provocateur hätte die Polizei möglicherweise selbst strafbares Material produziert. Thomas-Gabriel Rüdiger plädiert deshalb dafür, darüber nachzudenken, wie eine künstliche Figur wie „Sweetie“ in einem eng definierten rechtlichen Rahmen helfen könnte, routiniert vorgehende Sexualtäter zu überführen.

Auch Jugendliche können Täter sein

Opfer: Das Kinderhilfswerk Terre des hommes schätzt, dass weltweit jährlich rund 150 Millionen Mädchen und 73 Millionen Jungen unter 18 Jahren Opfer sexueller Gewalt werden. 1,8 Millionen Kinder würden zur Prostitution und Pornografie gezwungen.

Täter: Kinder und Jugendliche können beim „Cybergrooming“, der sexuellen Anmache im Netz, auch selbst Täter sein. Laut Kriminalstatistik der Polizei waren 2016 elf Prozent der Tatverdächtigen unter 14 Jahre, 38 Prozent zwischen 14 und 21 Jahre alt.

Deutschland: Rund 50 000 regelmäßige Konsumenten von Kinderpornografie soll es nach Schätzungen von Experten in Deutschland geben. Mehr als 13 000 Fälle von sexuellem Missbrauch von Minderjährigen werden hierzulande pro Jahr gemeldet.