Mitglieder der rockerähnlichen Gruppe „Osmanen Germania Boxclub“ protestieren 2016 vor dem Brandenburger Tor in Berlin gegen die Armenien Resolution des Bundestages. Tage später gab ein enger Vertrauter des türkischen Präsidenten Erdogan Anführern der Gruppe Geld für Waffenkäufe. Foto: dpa

In einer Antwort auf eine FDP-Anfrage räumt die grün-schwarze Landesregierung Baden-Württembergs Spannungen in der türkischstämmigen Bevölkerung in Deutschland ein, in der sich die Entwicklungen in der Türkei spiegeln.

Stuttgart - Wie weit reicht der politische Einfluss des türkischen Präsidenten Recep Tayyib Erdogan in Deutschland? Ungewohnt offen hat die Landesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der FDP-Fraktion im baden-württembergischen Landtag zum Netzwerk der regierungsnahen, türkischen Lobbyverein „Union der Europäisch-Türkischen Demokraten“ (UETD), der rockerähnlichen Gruppe „Osmanen Germania Boxclub“, dem türkischen Geheimdienst MIT sowie der Regierungspartei des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyib Erdogan, AKP, geantwortet.

Die Liberalen hatten die Recherchen des ZDF-Politikmagazins Frontal 21 sowie unserer Zeitung im vergangenen Dezember zum Anlass genommen, der grün-schwarzen Landesregierung 15 Fragen zu dem Netzwerk zu stellen. Die beiden Medien hatten sich dabei auch auf umfangreiche, ihnen vorliegende Protokolle abgehörter Telefongespräche und Observationen berufen. Unter anderem hörten deutsche Sicherheitsbehörden bei einem Telefonat mit, in dem der Erdogan-Vertraute Metin Külünk mit dem Staatspräsidenten selbst und dem türkischen Außenminister Mevlüt Cavusoglu im Mai und Juni 2016 Proteste türkischer Migranten gegen die Armenienresolution des Bundestages vor dem Brandenburger Tor organisierten. Bei vorausgegangen Demonstrationen waren auch Mitglieder der Osmanen aufmarschiert. Zudem beobachteten Ermittler wie Külünk Osmanenchef Mehmet Bagci Geld für Waffenkäufe übergab.

UETD behindert Integration und Bekämpfung des Antisemitismus

In seiner Antwort auf die FDP-Anfrage legt sich Innenminister Thomas Strobl fest: „Die UETD tritt als Interessenvertretung der türkischen Regierungspartei ‚Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung’ (AKP) und des türkischen Staatspräsidenten Erdogan auf.“ Weiter heißt es: „Sie gilt darüber hinaus als inoffizielle Auslandsorganisation der AKP.“ Das Ziel der UETD dürfe darin liegen, die Lobby der regierungstreuen türkisch-stämmigen Bürger in Deutschland auszubauen und zu stärken. Die Organisation hatte erst jüngst bestritten, als Lobbyorganisation der AKP tätig zu sein.

Die Landesregierung befürchtet, „dass die Aktivitäten der UETD für die Integration türkischer Migranten und die Bekämpfung antisemitischer Tendenzen nicht förderlich sind, zumal sie mit einer Idealisierung der türkischen Nation und einer Betonung der islamischen Identität einhergehen“. Gleichzeitig könne man noch nicht absehen, in welche Richtung sich das „türkische Milieu in Baden-Württemberg“ entwickele: Die politische und gesellschaftliche Dynamik in der Türkei und die damit verbundenen Spannungen aber veränderten auch die türkischstämmige Bevölkerung im Südwesten.

Strobl: Ermittlungen dauern an

Strobls Antwort verbucht FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke als Erfolg. Die Landesregierung beschwichtige nicht mehr nur und rede die Situation schön: „Die UETD agiert integrationsfeindlich und sät Unfrieden in unsere Gesellschaft. Mitglieder des Osmanen Germania BC sind Kriminelle und agieren als fünfte Kolonne Erdogans.“ Er erwarte, dass die Landesregierung offensiv gegen das kriminelle und integrationsfeindliche Gebaren der Osmanen der UETD vorgehe und auch auf Bundesebene für mehr Engagement sorge.

Bislang hatten – mit Ausnahme der nordrhein-westfälischen Landesregierung – alle deutschen Regierungsmannschaften von Berlin bis Stuttgart behauptet, nichts von der Existenz eines Netzwerkes aus AKP, ihrer Lobbyorganisationen, organisierten Kriminellen und des türkischen Nachrichtendienstes zu wissen. In Strobls Antwort heißt es jetzt, die polizeilichen Ermittlungen dazu seien noch nicht abgeschlossen. Dem Landesamt für Verfassungsschutz jedoch seien personelle Verflechtungen und strukturelle Bezüge regierungsnaher Organisationen und nationaltürkisch geprägter Vereine und Gruppen bekannt. Weil weder die UETD noch die Osmanen derzeit in Baden-Württemberg vom Verfassungsschutz beobachtet würden, lägen der Landesregierung aber „keine belastbaren Belege für das tatsächliche Bestehen des Netzwerkes vor“. Sie halte aber die vom ZDF und unserer Zeitung „dargestellten Beziehungsgeflechte und Kennverhältnisse für nachvollziehbar“.

Deshalb, fordert Sevim Dagdelen, Fraktionsvize der Linken im Bundestag, müsste die Südwest-Regierung, „endlich gemeinsam mit der Bundesregierung aktiv werden und Erdogans Spitzeln, Hetzern, Hasspredigern, Trollen und Schlägern hierzulande das Handwerk legen“. Dazu gehöre auch, „UETD, den Religionsverein DITIB und andere Teile des Erdogan-Netzwerks nicht weiter zu begünstigen und mit Steuergeldern zu fördern“.

Rülke: UETD vom Verfassungsschutz beobachten

Rülke und Dagdelen hatten im vergangenen Jahr das dem ZDF und unserer Zeitung vorliegende Material eingesehen und bewertet. Der Liberale hatte vor diesem Hintergrund gefordert, die UETD vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen. Eine Forderung, an der er festhält: „Die Politik und die Behörden müssen weiter sensibilisiert werden. Innenminister Strobl, der in anderen Fällen gern die Beobachtung von Organisationen durch den Verfassungsschutz fordert, darf sich hier nicht zurückhalten.“ Im vergangenen Juli hatte Strobl sich für eine Beobachtung der AfD durch das Landesamt für Verfassungsschutz stark gemacht.

Der Forderung, das Erdogan-Netzwerk durch die Inlandsgeheimdienste zu beobachten, erhebt auch Dagdelen. Denn, so sagt die Außenpolitikerin, „die enge Zusammenarbeit mit Schlägerbanden wie den Osmanen Germania macht die UETD zu einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit in Deutschland“. Es brauche den politischen Willen, die notwendigen Konsequenzen aus den bisherigen schockierenden Enthüllungen zu ziehen und entschieden gegen das hiesige Erdogan-Netzwerk vorzugehen“.

Dagdelen: Gefahr für die öffentliche Ordnung in Deutschland

Dazu gehöre auch, dass alle deutschen Sicherheitsbehörden Einblick in die Abhör- und Observationsprotokolle bekommen, die dem ZDF und unserer Zeitung vorliegen. Zwar hatte im April 2017 das Bundesamt für Verfassungsschutz zu einem geheimen, „operativen Informationsaustausch“ in die Zentrale nach Köln geladen, um über Osmanen, UETD, AKP, MIT und Erdogan zu sprechen. Baden-Württembergs und Hessens Ermittler verließen die Domstadt aber zutiefst enttäuscht und frustriert. In beiden Bundesländern war der Eindruck entstanden, sie seien von den Inlandsgeheimen des Bundes lediglich „abgeschöpft“ – also ausgehorcht worden.

Jedoch hätten weder die Teilnehmer des BfV noch die des Bundesnachrichtendienstes, des Militärische Abschirmdienstes oder des Gemeinsamen Terrorabwehrzentrums ihrerseits ihnen vorliegende Informationen an die Länder weitergegeben. Auch aus diesem Grund beschäftigt das Thema des Erdogan-Netzwerkes das für die Kontrolle der Geheimdienste zuständige Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestages.