Nachstellen, verfolgen, drohen: Stalking ist eine schwerwiegende Straftat. Foto: mauritius-images

180 Mails und 120 Anrufe am Tag: Stalker können anderen Menschen das Leben zur Hölle machen. Vor Kurzem wurde das Strafrecht verschärft. Aber Gesetze allein helfen wenig. Darum tagt in Berlin die größte Stalkingkonferenz seit 2005.

Berlin - (dpa/mma). Bei Roland Weber melden sich Frauen, die gleich doppelt verzweifelt sind: über den Psychoterror eines Stalkers und über die Berliner Justiz. Wochen oder Monate brauche diese nach der Anzeige eines Peinigers bei der Polizei für die Bearbeitung des Falls, sagt Weber als Opferbeauftragter der Senatsjustizverwaltung. „Dadurch fühlen sich viele Stalker geradezu ermutigt.“

Seit 2012 unterstützt der Rechtsanwalt Opfer von Straftaten – vor allem nach Gewalt. Um Stalking geht es bei ihm eher selten. Aber wenn, sind es krasse Fälle, denn auch zehn Jahre nach der Verankerung des Nachstellungsparagrafen im Strafgesetzbuch und dessen jüngster Reform findet nicht jedes Stalking-Opfer schnell Hilfe.

Auch deshalb tagt am Dienstag in Berlin die größte Stalkingkonferenz seit 2005. Erfahrungen aus Psychologie, Psychiatrie und sozialer Arbeit sowie von Polizei und Gerichten sollen hier verzahnt werden. „Stalking ist kein Kavaliersdelikt, sondern eine schwerwiegende Straftat“, sagt Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD). Auf der Konferenz gehe es darum, wie Betroffenen noch besser geholfen werden kann. Furchterregende Fälle hatten zuletzt Schlagzeilen gemacht: Im Herbst 2016 etwa wurde bekannt, dass der Berliner Piraten-Abgeordnete Gerwald Claus-Brunner einen Bekannten anderthalb Jahre lang gestalkt und umgebracht hatte, bevor er sich selbst das Leben nahm. Doch auch abseits prominenter Namen ist Stalking ein Problem.

Fast 20 000 Strafverfahren hat es 2015 in Deutschland gegeben

„Über das Thema Stalking wird generell, abgesehen von Prominentenstalking, zu wenig gesprochen, die wenigsten wissen, welche Ausmaße das hat“, sagte zum Beispiel die Bloggerin Mary Scherpe, die nach eigenen Angaben von ihrem Ex-Freund gestalkt wurde, bereits 2014. In ihrem Blog schrieb sie, ihre Anzeige wegen Stalkings sei eingestellt worden: „Es lag an mir: Ich war kein gutes Opfer.“ Sie habe weder Job noch Wohnort gewechselt – und somit damals rechtlich nicht die Voraussetzungen erfüllt.

Fast 20 000 Strafverfahren hat es nach den jüngsten Zahlen für 2015 in Deutschland wegen Stalkings gegeben. Die Zahl der Verurteilungen aber lag weit darunter. „Häufig wurde Stalking gar nicht erst angeklagt oder die Verfahren wurden wegen Geringfügigkeit wieder eingestellt“, sagt der Opferbeauftragte Weber für Berlin. In Baden-Württemberg gab es im vergangenen Jahr 1205 Fälle von Nachstellen, so die offizielle Bezeichnung des Straftatbestands. 2012 waren es noch 1642 Fälle. „Seither sind die Zahlen kontinuierlich gesunken“, sagt Horst Haug vom Landeskriminalamt. Die Aufklärungsquote lag zuletzt bei 94,4 Prozent.

Zumeist geht es um Trennungen, die Menschen nicht verwinden könnten

„Es geht nicht ohne Strafverfolgung“, sagt Wolf Ortiz-Müller, Leiter der Berliner Beratungsstelle Stop-Stalking. „Aber sie allein greift viel zu kurz, weil sie die Täter nicht abbringt und die Opfer nicht schützt.“ Die Berliner Beratungsstelle ist neben Bremen, Mannheim und Landau eine von nur vier bundesweit. Anders als zum Beispiel in Großbritannien gibt es in der Bundesrepublik keine Klinik für hartnäckige Stalker, obwohl viele als psychisch krank gelten.

„Bei uns gibt es höchstens eine Sicherungsverwahrung. Das meinen wir aber nicht“, sagt Ortiz-Müller. „Es geht um Täter, für die im ambulanten Rahmen die Zeit zwischen zwei Behandlungsgesprächen zu lang ist, weil sie zwischendurch in ihre Impulskontrollstörung zurückfallen.“ Anlass seien zumeist Trennungen, die Menschen nicht verwinden könnten. Diese Fälle kennt auch der Opferbeauftragte Weber. „Viele enttäuschte Typen hören nach wenigen Wochen mit dem Stalken auf“, berichtet er. „Das Problem sind die, die weitermachen.“ Rund 80 Prozent der Opfer sind laut Weißem Ring Frauen. Zu der Berliner Beratungsstelle kommen jährlich rund 500 Menschen, die sich durch Nachstellungen belästigt fühlen.

Hoffnung ruht auf dem jüngst geänderten Nachstellungsparagrafen im Strafgesetzbuch. Danach müssen Betroffene nicht mehr mit Umzügen oder Jobwechseln nachweisen, wie sehr Stalking ihren Alltag beeinträchtigt. „Nun wird mehr das Tatverhalten und die Tat selbst bestraft, unabhängig von der Reaktion des betroffenen Menschen“, erläutert Ortiz-Müller. Wie sich das auswirke, werde aber erst die Praxis zeigen.

Fälle von schwerem Stalking in Deutschland

Fälle von schwerem Stalking in Deutschland

Pfarrer Fast 15 Jahre lang stellt eine Seniorin im sauerländischen Meschede einem katholischen Pfarrer nach. Sie lässt ihm Blumen, Liebesbriefe und Phallussymbole zukommen, schickt ihm regelmäßig SMS und ruft ihn an. Der Fall geht bis vor das Oberlandesgericht in Hamm. Die Richter erklären die Frau im März 2017 für schuldunfähig.

Mord Mit Anrufen, Whatsapp-Nachrichten und einem falschen Facebook-Profil stalkt der Berliner Piraten-Abgeordnete Gerwald Claus-Brunner anderthalb Jahre lang einen Bekannten. Der junge Mann erstattet Anzeige, arbeitet aber laut Polizei nicht an der Aufklärung des Falls mit. Im September 2016 bringt Claus-Brunner sein Opfer um. Anschließend tötet er sich selbst.

Säureangriff Vanessa Münstermann zeigt ihren Ex-Freund im Februar 2016 wegen Stalkings an. Er terrorisiert sie telefonisch, beleidigt sie in sozialen Netzwerken. Die Polizei hält eine sogenannte Gefährderansprache mit ihm. Tags darauf lauert er seiner Ex-Freundin auf und schüttet ihr Schwefelsäure ins Gesicht. Er wird dafür zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Münstermann, von der Tat schwer gezeichnet, gründet einen Verein, um Entstellten zu helfen.