Das etwas andere Casting: Popsongs sind hier nicht erwünscht, stattdessen singen die Bewerber Volks- und Kunstlieder. Foto: Martin Bernklau

Die Junge Oper castet musikalische Mitwirkende für „Irgendwie anders“.

S-Mitte - Da sitzt eine Jury. Der Bewerber steht davor. Singst, spielst, tanzt. Aber irgendwie ist es doch etwas anders hier als bei Dieter Bohlen oder Heidi Klum. Denn hier wird nicht für die Show oder die Schadenfreude der Fernsehzuschauer gecastet. Hier geht es sozusagen um echte Kunst, echte Oper, echte Bühne. Die Junge Oper sucht irgendwo im Proben- und Bürotrakt des Stuttgarter Schauspielhauses an diesem Samstagnachmittag Menschen „zwischen 7 und 99 Jahren“, die irgendwie singen können , über ein wenig schauspielerisches Talent verfügen und vor allem Lust haben, beim nächsten Opernprojekt mitzumachen, dem Generationenstück „ Irgendwie anders“.

„Du gehörst hier nicht her!“ soll die vielleicht 14-jährige Jasmin sagen, rufen, schreien. Das ist nicht persönlich gemeint und gilt natürlich nicht ihr. Aber was ihr die Theaterleiterin Barbara Tacchini da in einem markanten Sprachrhythmus aufgetragen hat, das soll zeigen, ob sie mit Leib und Seele, mit Körper und Stimme auch mal richtig aus sich rausgehen kann – aggressiv, wütend, herrisch, brutal. Und Jasmin kann das, mit steigender Intensität und Dramatik, wie erbeten. Und wie! Ganz großes Theater gewissermaßen, ganz aus dem Stand, aus dem Nichts. Gerade hat sie noch die Unterstützung des Klavier-Korrepetitors bei Franz Schuberts Lied „An die Musik“ freundlich abgelehnt. Sie könne das besser ohne, hat sie gemeint. Kein Problem. Etwas schüchtern vielleicht noch, aber mit sehr sicherer Intonation und doch ganz gutem Gefühl für die Phrasierung, die Rhythmen hat sie dieses hehre Kunstlied vorgetragen.

Die Premiere soll am 2. Dezember im Kammertheater steigen

Das in der Übersetzung des deutsch-syrischen Berliners Salah Naoura 1994 sofort auch auf Deutsch erschienene britische Kinderbuch „Irgendwie anders“von Kathryn Cave mit den Bildern von Chris Riddell wurde 1997 mit dem Unesco-Kinderliteratur-Preis für Toleranz ausgezeichnet, ein moderner Klassiker. Die Komponistin Juliane Klein ist auch Berlinerin. Sie hat diese Geschichte vertont zu einer Generationen-Oper mit Gesang, Klangexperimenten und Video. Sie lässt, so heißt es in der Annonce zum Casting, „den Mitwirkenden viel Freiheit, sich kreativ einzubringen, sowohl beim Erfinden von Klangwelten, als auch beim Bau des Bühnenbilds oder beim Weiterspinnen der Geschichte in Auseinandersetzung miteinander und mit eigenen Lebensgeschichten“. Beim Casting ist sie nicht dabei. Aber zur Premiere, die am 2. Dezember im Kammertheater steigen soll, wird sie wohl in Stuttgart sein.

Vielleicht zwanzig Menschen sitzen im Warteraum, manche plaudern ein wenig, andere wirken still und etwas angespannt: eine paar Mädchen, junge Frauen, ein paar ältere Damen und ein einziger alter Herr. Später kommt noch ein weiterer hinzu. Sie alle haben in ungefährer Reihenfolge einen Termin bekommen, nachdem sie sich auf den Aufruf der Stuttgarter Staatstheater im Internet gemeldet hatten. Ein großes Schild mit dem Namen ist für alle Bewerber vorbereitet. Von jedem Neuankömmling macht ein Betreuer ein kleines Digicam-Foto, das nur äußerlich an einen Steckbrief erinnert und der Zuordnung dient.

Ein „einfaches Volks- oder Kunstlied“ soll vorgetragen werden

„Kein Pop“ hatte es geheißen, denn von Bohlen & Co will man sich auch hier schon unterscheiden. Ein „einfaches Volks- oder Kunstlied“ soll vorgetragen werden. Der Korrepetitor spielt die Begleitung vom Blatt. Ein paar Mitarbeiter sitzen da am Jury-Tisch, der junge Theaterpädagoge Koen Bollen etwa, der alles organisiert, oder die Regisseurin. Ganz sanft hat aber Theaterleiterin Barbara Tacchini das eigentliche Heft in der Hand. Sie gibt die Aufgaben, ermuntert, ergänzt, setzt einen Rahmen. Ludmilla, die nächste Bewerberin, ist schon fast erwachsen. Sie singt die „Loreley“ und ein russisches Volkslied noch dazu. Ganz souverän, ganz zurückhaltend spielt der Korrepetitor die über den Flügel gereichte Begleitung vom Blatt. Er spielt dann auch ein paar Passagen neue Musik vor. Und Tacchini sagt Ludmilla einen seltsamen Satz vor, den sie immer wieder anders zu den Abschnitten dieser Musik sprechen soll: „Auf einem hohen Berg lebte er ganz allein, ohne einen einzigen Freund“. Ludmilla wirkt so, als hätte sie solche Sätze immer schon in dramatischer Gestaltung sprechen können. Alle, auch die meistern Erwachsenen gehen etwas steif in das Zimmer hinein und bleiben das noch für ein paar Momente, bis die lockere Freundlichkeit der Jury wirkt. Heraus kommen sie alle mit einem entspannten, fast glücklichen Lächeln um die Lippen. Manche strahlen. In den Herbstferien sind die Proben.