Brückenbauer: Joel Berger an diesem Donnerstag 80 Jahre alt. Foto: Lg/ Kovalenko

Er hat die Türen der jüdischen Gemeinde in Stuttgart weit geöffnet und sie wieder zu dem gemacht, was sie einmal war: Ein selbstverständlicher Teil der Gesellschaft der Stadt. Joel Berger wird 80 Jahre alt.

Stuttgart - Er ist der Mann mit dem Hut. Aber vieles mehr, als diese Beschreibung seiner Erscheinung, zugleich Titel seiner Autobiografie, ausdrücken könnte: Eine Persönlichkeit als Lehrer, Mentor, Wissenschaftler, Autor und Humanist. „Joel Berger ist ein Lehrer des Judentums im eigentlichen Sinne“, würdigt ihn Barbara Traub, Vorstandssprecherin der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg (IRGW). Geradezu leidenschaftlich könne er die Kenntnisse des Judentums vermitteln und mit umfassendem kulturellen Wissen jüdische und europäische Kultur miteinander verbinden. Mit diesem Geistes- und Lebensprinzip, von der Uni Tübingen zuerst mit einem Lehrauftrag und dann mit dem Ehrendoktortitel honoriert, setzte Berger Zeichen, nachdem ihn die IRGW 1980 als Landesrabbiner berufen hat.

Der hohe Wert der Freiheit

1937 in Budapest geboren, war ihm 1968 die Emigration aus Ungarn gelungen. Hinter ihm lagen Jahre der Bedrohung und Unterdrückung. Die Shoah überlebte er im Ghetto von Budapest. Mutter und Sohn wurden durch Schutzpässe vor der Deportation bewahrt, der Vater überstand das KZ Bergen-Belsen. Dem NS-Terror folgte der Kommunismus mit neuen Repressionen, Bespitzelung und Verfolgung: „Ich konnte meinen Mund nie halten“, so Berger. Die Quittung waren unter anderem die Verhaftung nach dem Ungarnaufstand von 1956, drei Monate Haft, erneute Ausgrenzung und Herabsetzung, als er nach dem Studium am Rabbinerseminar in Budapest und der Fächer Geschichte und Pädagogik für Gymnasien an der Universität Debreczin arbeiten und unterrichten wollte. „Erst in der Demokratie, in einem neuen Deutschland, konnte ich das Vertrauen in die Menschheit wieder gewinnen“, sagt Berger. Der hohe Wert der Freiheit war für ihn auch Rechtfertigung genug bei Vorhaltungen von Juden im Ausland, wie er im Land der Mörder leben könne.

Regensburg, Düsseldorf, Göteborg (Schweden), Bremen und zuletzt Stuttgart waren die Stationen, an denen Berger als Rabbiner und zuletzt bis 2002 als Landesrabbiner amtierte. „Die Gemeinde zählte 600 Mitglieder und lebte in einem geschlossenen Reservat“, erinnert sich Berger an die Situation, die er hier vorfand. Das änderte sich, auch dank Bergers Ehefrau Noemi, nach einem Studium der Judaistik und als Lehrerin der jüdischen Religion ebenso kompetent wie ihr Mann und als Wienerin gleichfalls charmant. Sie belebte die Frauenorganisation Wizo wieder, sorgte mit einem Bazar für Andrang.

Von Ruhestand ist keine Rede

Als seine größte Aufgabe bezeichnet Berger die Integration der russischen Zuwanderer nach 1990, die die Gemeinde auf 3000 Mitglieder anwachsen ließ. „Die Zuwanderung ist ein Gewinn“, sagt Berger. Bis heute machen er und seine Frau in Bad Kissingen Zuwanderer mit allen Bereichen jüdischen Lebens vertraut. Dafür wurde Berger nach der Verdienstmedaille des Landes das Bundesverdienstkreuz verliehen. Die Stadt Stuttgart zeichnet ihn am 20. Oktober mit der Bürgermedaille aus.

Von Ruhestand ist bei Berger keine Rede. Er hat Sendungen beim SWR, Radio Bremen, MDR Figaro und dem Bayerischen Rundfunk, kuratiert mit seiner Frau die Jüdischen Kulturwochen und arbeitet an einem Forschungsauftrag vom Haus der Geschichte zur jüdischen Volkskultur im Südwesten. Im Haus der Geschichte wird auch Bergers Geburtstag gefeiert.

„Ich bin dankbar für das große Glück in meinem Leben“, sagt Berger. Im freien Westen habe er nie böse und antisemitische Erfahrungen gemacht. Aber das größte Glück sei seine Familie: „Meine Frau, die beiden Kinder Michael und Margalit und sechs Enkel. Hoffentlich schenkt mir der liebe Gott dieses Glücks noch eine Weile.“