Rabbiner Yaakov Yosef Yudkowsky in der Synagoge in Emmendingen Foto: Brenner

Besuch in einer Synagoge in Emmendingen: In der badischen Kreisstadt pflegen die Religionsgemeinschaften einen intensiven Austausch.

Emmendingen - „Schabbat Schalom!“ Leise begrüßen sich die Mitglieder der jüdischen Gemeinde Emmendingen am Freitagabend zum Gottesdienst in der Synagoge. Draußen ist es bereits dunkel, mit Einbruch der Dämmerung hat der jüdische Feiertag begonnen. Die Frauen sitzen – von den Männern getrennt – hinter einem Fadenvorhang.

Rabbiner Yaakov Yosef Yudkowsky schaut in die Runde. Dann dreht er sich zu dem Schrank, in dem die Thora-Rollen aufbewahrt werden, und beginnt, auf Hebräisch Psalmen zu singen. Immer wieder stimmt die Gemeinde mit ein. In einer kurzen Predigt spricht der Rabbiner auf Deutsch über die göttlichen Gesetze. Singend betet die Gemeinde das „Sch’ma Jisrael“ – Höre Israel –, ein zentrales Gebet im jüdischen Glauben. Es ist vergleichbar mit dem „Vaterunser“ der Christen. Zum Abschluss spricht der Rabbi den Segen über einen Becher Wein.

Dieser Sabbat-Gottesdienst dürfte sich kaum von denen in den übrigen 17 jüdischen Gemeindezentren Baden-Württembergs unterscheiden. Und doch ist etwas anders in Emmendingen: An Heiligabend etwa richten der jüdische Rabbiner und der muslimische Imam der Großen Kreisstadt Grußworte an die Christen. Bei der Feier des 20-jährigen Bestehens der jüdischen Gemeinde im Februar waren Juden, Christen und Muslime anwesend. Was den geplanten Umbau der Einsegnungshalle auf dem Friedhof angeht, setzen sich muslimische und jüdische Gläubige derzeit gemeinsam für einen Raum ein, in dem sie ihre Verstorbenen waschen können. Und für Mai planen die drei Konfessionen einen „Abend der Religionen“.

Treffen zwischen Juden und Christen: viele Gemeinsamkeiten

Vor etwa sechs Jahren lud der türkisch-islamische Kulturverein Juden und Christen zum gemeinsamen Fastenbrechen ein. Dabei entstand die Idee zum Trialog. Seitdem treffen sich etwa 15 Gemeindevertreter regelmäßig zu Gesprächen. „Dabei geht es besonders darum, dass wir uns verstehen und respektieren. Oft wird einem dadurch auch der eigene Standpunkt klarer. Und wir stellen unheimlich viele Gemeinsamkeiten fest“, erzählt Pfarrer Georg Metzger von der evangelischen Stadtkirchengemeinde.

„Ich habe viele jüdische Freunde“, sagt Rabiya Aydin. Sie gehört dem Vorstand der muslimischen Gemeinde an. Deren Imam, Ahmet Akkus, ist ein ruhiger, ernsthafter Mann. Das Wichtigste sei, sagt er, dass man sich mit gegenseitigem Respekt begegne. „Dein Glaube ist für dich, mein Glaube ist für mich“, zitiert er einen Vers aus dem Koran. „Christen, Juden, Muslime – wir beten alle denselben Gott an“, ist der Imam überzeugt.

Wurzel aller derzeitigen Konflikte zwischen den Religionen sind seiner Meinung nach politische Interessen: „Man darf den Glauben nicht für Machtansprüche missbrauchen, so wie es zum Beispiel der Islamische Staat tut. Davon distanzieren wir uns“, betont Akkus. In den Medien müsse stärker differenziert werden zwischen dem friedlichen Islam und den Terroristen, die die Religion für ihre Zwecke missbrauchten, fordert der muslimische Geistliche.

Konflikte wie zwischen Israelis und Palästinensern wirken sich mitunter bis nach Baden aus: Vor diesem Hintergrund hätten einige Gemeindemitglieder kein Verständnis für den Trialog. „Das Thema beschäftigt uns in unseren Gesprächen natürlich auch“, erklärt Gülda Colak, die sich als Vorstandsmitglied des türkisch-deutschen Kulturvereins ebenfalls im Trialog engagiert.

"Anfeindungen haben wir noch nie erlebt"

Doch die Mehrheit der Emmendinger Muslime stehe hinter dem interreligiösen Austausch, es gebe deshalb keine Spaltung in der Gemeinde. Imam Akkus glaubt, dass die meisten Menschen auf der Welt gerne in Frieden miteinander leben würden – so wie es die Emmendinger tun: „Hier kennt fast jeder jeden – Anfeindungen haben wir noch nie erlebt“, so Akkus, Aydin und Colak übereinstimmend.

Zurück in der Synagoge: Nach dem Gottesdienst versammeln sich die Gläubigen ein Stockwerk unter dem Gebetsraum zum Essen. Auf dem Tisch stehen bereits Wein und die mit einem Tuch abgedeckten Schabbat-Brote. Rabbiner Yudkowsky segnet beides. Die zwölfjährige Miriam streut Salz über die Brote, und jeder beginnt die Mahlzeit mit einem Stück davon.

Miriams Familie stammt, wie viele Gemeindemitglieder, aus der ehemaligen Sowjetunion. Heute wohnt sie in Offenburg. Das Einzugsgebiet der jüdischen Gemeinde Emmendingen ist sehr groß – ein Grund dafür, dass von den eigentlich rund 260 Mitgliedern nur etwa 30 an diesem Freitagabend gekommen sind. Gerade für die oft gebrechlichen Älteren sei es schwer, an den Gottesdiensten teilzunehmen, erklärt Miriams Mutter. „Wir versuchen, wann immer möglich, hierherzukommen, aber manchmal geht es nicht“, sagt sie.

Miriams Vater schätzt es, dass in Emmendingen viel für Kinder und Jugendliche getan wird. Rabbi Yudkowsky ist das besonders wichtig. „Es macht mich traurig, dass viele junge Menschen wenig Interesse an Religion haben“, sagt er. Dieses Problem kennen nicht nur Juden, sondern auch Christen und Muslime. Deshalb sieht der 27-Jährige im interreligiösen Austausch auch eine Chance für die Jugendarbeit: „Wir müssen uns untereinander darüber austauschen, wie wir Jugendliche für Religion begeistern. Da können wir voneinander lernen“, ist der gebürtige US-Amerikaner sicher.

"Der Austausch zwischen den Religionen ist fruchtbar"

Mit Torsten Rottberger, dem Ersten Vorsitzenden der Gemeinde, unterhält er sich auf Hebräisch. Die beiden Männer sind sich einig, dass es für das Zusammenleben der Menschen in Emmendingen keine Rolle spielt, welcher Religion man angehört. „Es geht um den Charakter“, sagt Rottberger. Vorurteile und Anfeindungen entstünden vor allem dort, wo man sich nicht kennt. „Aber hier versteckt sich ja keiner“, so der Gemeindevorsitzende. „Der Austausch zwischen den Religionen ist sehr fruchtbar, der Umgang untereinander von großem Respekt geprägt“, betont Yudkowsky. Dass antisemitische Straftaten in jüngster Zeit zugenommen haben, kann Torsten Rottberger in der badischen Kreisstadt nicht feststellen.

Sein Vater Felix wurde 1936 in Island geboren. Aus Berlin waren seine Eltern vor den Nationalsozialisten dorthin geflohen. Rottberger wurde schließlich in einem dänischen Kinderheim vor den Nazis versteckt. 1955 kehrte er nach Deutschland zurück. „Ich wollte den Leuten zeigen, dass Juden nicht besser oder schlechter als andere Menschen sind. Und ich wollte nicht, dass Hitler sein Ziel, Deutschland judenfrei zu machen, erreicht hat.“ In Rottbergers Worten liegt keine Verbitterung. Er trägt nichts nach. Der alte Mann mit den wachen Augen ist ein fröhlicher Mensch, aber: „Die Tendenzen, die es zurzeit gibt, machen mich traurig. Das Problem ist die Unwissenheit der Menschen“, sagt der 13-fache Großvater.

Spät am Abend, als in der Synagoge längst Stille eingekehrt ist, fährt eine Polizeistreife am Gebäude vorbei. Bei den Feierlichkeiten zum 20-jährigen Bestehen habe die Polizei große Präsenz gezeigt, sagt Viktoria Maryanovska, die sich um die Jugendarbeit kümmert. Mit zehn Jahren ist die 27-Jährige aus Moskau hergekommen.

"Der Antisemitismus hat generell zugenommen"

„Mein Glaube steht für mich neben meinen Eltern an erster Stelle“, sagt sie in akzentfreiem Deutsch und betont sofort, dass sie kein fanatisches Verständnis von Religion habe. „Religionen sind doch dafür da, dass Menschen sich daran festhalten, im positiven Sinne.“ Sie habe auch muslimische Freunde und sehe gewisse Parallelen, was gängige Vorurteile angehe: „Die Muslime können doch nichts dafür, was die islamistischen Terroristen machen – genauso wenig wie die Juden hier etwas für die israelische Politik können.“

Die junge Frau beunruhigt, was nach den Anschlägen in Frankreich passiert ist. Dort sei das Zusammenleben zwischen Juden und Muslimen schwieriger. Deshalb kann sie gut verstehen, dass französische Juden nun verstärkt nach Israel auswandern. „Der Antisemitismus hat generell zugenommen, aber hier spüren wir es nicht.“ Ob das auch für eine deutsche Großstadt gilt, kann sie nicht sagen. Was Emmendingen betrifft, ist Maryanovskas Meinung eindeutig: „Ich sehe keinen Grund auszuwandern. Und ich hoffe, ich werde auch in Zukunft keinen sehen.“