Vorbereitung zum 60-Jahr Jubiläum Ferienwaldheim Fellbach im Juli 2007. 1946 fand es erstmals unter der Regie der Naturfreunde auf dem Kappelberg statt, 1947 übernahm die Awo die Trägerschaft. Foto: /Sägesser

Der erste Nachweis für die Existenz des Ortsvereins der Arbeiterwohlfahrt (Awo) ist eine Annonce im „Fellbacher Tagblatt“ von 1929. Anfangs wurden Kinder im Waldheim aufgepäppelt, mit der Zeit wurde das Spektrum der Hilfeleistungen größer.

Fellbach - Nach dem Ersten Weltkrieg herrscht große Not in Deutschland. Von den etwas mehr als 60 Millionen Einwohnern ist knapp ein Drittel auf die Unterstützung und Hilfen der Wohlfahrtspflege angewiesen. Die Sozialdemokratin Marie Juchacz ist es, die in der SPD zum 31. Dezember 1919 die Gründung des „Hauptausschusses für die Arbeiterwohlfahrt“ anregt. Nun kann die Awo Deutschland dieses Jahr ihr 100-jähriges Bestehen feiern.

Als ältestes Dokument von 1929 ist lediglich ein Aufruf erhalten

Nach und nach gründeten sich bundesweit Ortsvereine. Als erster Nachweis für einen Fellbacher Ortsverein gilt eine Annonce im „Fellbacher Tagblatt“. Dort wurde aufgerufen: „Schickt eure Kinder ins Waldheim nach Feuerbach.“ Vielleicht ist der Ortsverein sogar ein Jahr älter, aber es gibt keine Unterlagen mehr. „Die Nazis verboten 1933 die Awo bundesweit, und um keinen Repressalien ausgesetzt zu werden, hat man damals alle Unterlagen vernichtet“, sagt Andreas Möhlmann, der seit 2003 Vorsitzender des Ortsvereins Fellbach ist. Als ältestes Dokument von 1929 ist lediglich ein Aufruf erhalten, der ein Treffen des Ausschusses der Awo ankündigt.

Erst im Juli 1946 setzten sich Mitglieder der nun wieder aktiven SPD in Fellbach für eine Neugründung der Arbeiterwohlfahrt ein. Der damalige von der Militärregierung eingesetzte Fellbacher Bürgermeister Heinrich Schnaitmann wurde der Vorsitzende des politisch unabhängigen „Württembergischen Wohlfahrtsbundes“, wie die Militärregierung den Namen festlegte.

Am Anfang und am Ende der Waldheimzeit wurden die Kinder gewogen

Bis heute ist das Ferienwaldheim eine tragende Säule der Awo Fellbach. 1946 fand es erstmals unter der Regie der Naturfreunde auf dem Kappelberg statt, 1947 übernahm die Awo die Trägerschaft. „Das Wichtigste war damals, die schlecht ernährten Kinder aufzupäppeln“, sagt Andreas Möhlmann. Am Anfang und am Ende der Waldheimzeit wurden die Kinder gewogen – und nur wenn alle zugenommen hatten, galt das Waldheim als Erfolg. Obwohl diese Zeiten längst vorbei sind, spielt das täglich frisch gekochte Essen nach wie vor eine große Rolle im Waldheim. „Nicht alle Kinder bekommen ja regelmäßig warme und selbst zubereitete Mahlzeiten, die meisten lieben das Waldheimessen sehr“, sagt Möhlmann.

Unter dem Awo-Vorsitzenden Albert Rau wurde 1947 die erste Weihnachtsfeier für 500 Kinder und 70 Senioren mit Festmahl und Geschenken organisiert.

1976 startete der Menüdienst das „Essen auf Rädern“

Unter Eugen Krauter, Vorsitzender von 1950 bis 1965, besuchten bereits bis zu 200 Kinder die vierwöchige Freizeit auf dem Gelände des Naturfreundehauses. Unter der Amtszeit des Vorsitzenden Robert Lieb gründete Gerda Frey dann 1972 die Awo-Altenbegegnungsstätte in der Kirchhofstraße, 1974 wurde das Altenzentrum in der Mozartstraße eröffnet. Von 1975 bis 1992 waren Harald Raß als Vorsitzender und Gerda Frey als seine Stellvertreterin ein tatkräftiges Team. Die Awo, die bis dato vom privaten Wohnzimmer aus betrieben wurde, erhielt eine Geschäftsstelle in einem Raum der heutigen Wichernschule, 1987 stand ein Umzug in größere Räumlichkeiten in die Gerhart-Hauptmann-Straße an. 1976 startete der Menüdienst das „Essen auf Rädern“, 1983 fand erstmals eine Seniorenfreizeit auf dem Kappelberg statt, Und 1987 begann Uli Wittke mit der Schuldnerberatung.

Die Awo Fellbach zählt im Jubiläumsjahr 700 Mitglieder

Von 1992 bis 2003 war Reinhold Haug Vorsitzender, 1994 wurde Bernd Waizel – der Ende des Jahres sein 25-jähriges Arbeitsjubiläum feiert – als hauptamtlicher Geschäftsführer eingestellt. Zwischen 1983 und 2011 unterstützten insgesamt 250 Zivildienstleistende die Geschäftsstelle bei den mobilen sozialen Diensten. „Heute haben wir weit mehr junge Leute im freiwilligen sozialen Dienst als früher Zivis“, sagt Waizel.

Nach Umsatz und Aktivitäten ist der Ortsverband Fellbach der größte im Bezirk Württemberg. Die Awo Fellbach zählt im Jubiläumsjahr 700 Mitglieder, 70 hauptamtliche Mitglieder und knapp 100 Ehrenamtliche. Der Umsatz liegt bei knapp über einer Million Euro. 175 „Essen auf Rädern“ werden täglich verteilt, die Eingliederungshilfe betreut behinderte Kinder, es gibt ein Frauensprachcafé, Demenzgruppen, und nach der Kita Zwergenzügle in Fellbach wird es bald eine weitere in Oeffingen unter der Trägerschaft der Awo geben. An diesem Freitag wird das 90-jährige Bestehen in der Schmidener Festhalle gefeiert.

Die Awo sieht sich aber durchaus politisch und stellt sich beispielsweise gegen Rechtsextremismus

War die Awo in ihrer Entstehungszeit eng mit der SPD und der Arbeiterschaft verflochten, so ist sie seit der Neugründung 1946 parteipolitisch und konfessionell unabhängig. Auch die Verbindung zum Arbeitermilieu ist egalisiert: „Die Teilung Landwirte/Arbeiter/Angestellte/Beamte gibt es ja längst nicht mehr, die Milieus sind viel kleinteiliger geworden“, sagt der Vorsitzende Andreas Möhlmann. Trotz aller Neutralität sei die Awo aber durchaus politisch: „Die Pflegeversicherung wurde 1995 auf Initiative der Awo eingeführt, wir stellen uns gegen Rechtsextremismus, und der Kreisverband hat sich klar für beitragsfreie Kitas ausgesprochen“, sagt der SPD-Gemeinderat und Awo-Vorsitzende.