Joy Alemazung ist seit 2013 Projektleiter für die Bildungsprogramme bei Engagement Global. Foto: Marta Popowska

Der Politikwissenschaftler Joy Alemazung weiß um den Zusammenhang zwischen Flucht und Fairem Handel. Im Interview erklärt er, welchen Einfluss etwa unser Konsumverhalten darauf hat.

Stuttgart-Stammheim - Joy Alemazung (42) ist Projektleiter der Bildungsprogramme von Engagement Global. Welchen Einfluss Menschen in den Industrieländern auf die weltweiten Fluchtbewegungen haben und warum Kleiderspenden oft mehr schaden als sie nutzen, erklärt er im Interview.

Herr Alemazung, warum muss man Flucht und Fairer Handel in einem Zusammenhang sehen?
Menschen fliehen, weil sie überleben und ein besseres Leben führen wollen. Das Weltwirtschaftssystem funktioniert derzeit so, dass Entwicklungsländer, aus denen viele Geflüchtete kommen, benachteiligt sind. Man sieht das an den Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken in Bangladesch ebenso wie an jenen auf den Kakaoplantagen in Afrika. Wenn die Menschen trotz ihrer Arbeit nicht von dem leben können, was sie verdienen, dann machen sie sich auf den Weg dorthin, wo sie bessere Perspektiven vermuten.
Welchen direkten negativen Einfluss haben Industrieländer auf die lokale Wirtschaft in den betroffenen Ländern?
Nehmen sie das Beispiel Altkleider. Die unterwandern die Märkte in Afrika und führen zu einer Benachteiligung von dort produzierter Bekleidung. Viele dieser Altkleider erreichen die Armen nicht, sondern kommen in den Verkauf. Die Menschen sehen Europa nicht nur als Paradies, sie betrachten Dinge, die von dort kommen, als besser. So ist es etwa mit subventioniertem Hühnerfleisch aus Europa. Es kommt auf die afrikanischen Märkte und verdrängt das Angebot lokaler Bauern. Das Fleisch ist billiger, hat eine viel schlechtere Qualität als die Hühner lokaler Zucht, aber die Leute meinen, es sei besser und kaufen es.
Wird versucht, vor Ort Bildungsarbeit zu leisten, um die Menschen besser aufzuklären?
In letzter Zeit wird vermehrt versucht, die Menschen zu sensibilisieren. Ich war kürzlich in Kamerun und habe eine Radiosendung gehört, in der dies thematisiert wurde. Es wäre gute Entwicklungszusammenarbeit, solche Initiativen vor Ort zu stärken. Was entwicklungspolitische Bildung angeht, ist man aber noch am Anfang. Sie hat noch nicht wirklich Fuß gefasst. Das ist auch die Aufgabe der Regierungen vor Ort. Medien und kleine NGOs vor Ort stärken, Workshops anbieten.
Wie sollten Konsumenten etwa in Deutschland sensibilisiert werden? Muss man von nicht fair beschafften Produkten abraten?
Es hängt davon ab, ob man zwischen konventioneller, rein profitorientierter Herstellung und ökologisch sowie fair beschafften Produkten unterscheidet. Die Menschen müssen sensibilisiert werden, wie sich ihr Konsumverhalten auf das Leben von Menschen in anderen Teilen der Erde auswirkt. Entwicklungspolitische Bildung hat die Funktion, ein Bewusstsein für diese globalen Zusammenhänge bei Bürgerinnen und Bürgern zu schaffen. Denn nur, wer diese Verbindungen versteht und die eigenen Einflussmöglichkeiten kennt, Kontakte und Netzwerke aufbaut, kann bewusst Veränderung gestalten. Ich kann vermeiden Dinge zu kaufen, deren Herstellung das Leid von Menschen woanders fördert. Deswegen freue ich mich, dass es in immer mehr Supermärkten Produkte mit dem Fair-Trade-Siegel gibt. Das muss mehr werden.
Wie viele Menschen profitieren bereits davon?
Rund 1,66 Millionen Bauern und Beschäftigte auf Plantagen aus 75 Anbauländern profitieren derzeit von ihrer Beteiligung an Fair Trade. Das ist ein kleiner Anteil der Weltbevölkerung, aber es ist etwas. Wenn wir das weiter unterstützen, ist diese Zahl irgendwann höher.
Liegt das nicht auch in unserem eigenen Interesse?
Sicher. Es geht nicht darum, aus Gutmenschsein zu helfen. Es geht um uns, um die Menschen in den Industrieländern. Die globalen Zusammenhänge sind sehr wichtig. Sie zeigen uns, dass Fragen der Entwicklung, der Gerechtigkeit und der Verteilung eine Universalität haben. Wenn wir Öl für Energie brauchen und es aus Nigeria kommt, müssen wir auch schauen, dass es Nigeria gut geht. Sonst haben wir Öl, das unter schlechten Bedingungen gewonnen wird. Wenn nämlich die Umwelt dort kaputt gemacht wird und die Gewässer verschmutzt werden, führt das dazu, dass Fischer nicht mehr vom Fischen leben können und sich auf den Weg nach Europa machen. Man kann also nicht denken: was hat das mit mir zu tun?
Ist der Begriff „Wirtschaftsflüchtling“ nicht völlig unpassend, wenn man sich vor Augen führt, wie viel man hier damit zu tun hat?
Ich finde es traurig, dass wir solche Kategorien bilden. Ein Mensch, der geflüchtet ist, möchte einfach überleben. Wir tun das die ganze Zeit, nur nicht in dieser extremen Form. Wenn ich mich für einen Job in Berlin bewerbe und aus Stuttgart komme, tue ich das aus wirtschaftlichen Gründen. Das ist Wirtschaftsmigration. Am Ende ist es nur eine Kategorisierung und es ist eine Art Machtausübung von: Ich habe etwas und der hat das nicht und er hängt von mir ab. Aber wie und von wem ich das wiederum erhalten habe, diese Frage stellt sich niemand.
Wie groß ist der Beitrag, den der Faire Handel zu einer gerechteren Welt leisten kann?
Er kann viel leisten. Deswegen ist es seitens der Politik wichtig, mehr dafür zu tun, damit Fair Trade selbstverständlich wird.
Wird so der Druck der Menschen reduziert, vom Land in die Städte oder gar weiter zu ziehen?
So ist es. Vor allem in den afrikanischen Ländern werden die Städte immer größer, aber sie haben keine Industrie, um diese Menschen zu beschäftigen. So versuchen viele es weiter nach Europa. Eigentlich will aber niemand seinen Heimatort, an dem er sich wohl fühlt und alles zum Leben hat, verlassen. In dem Moment, wo die Menschen von dem, das sie produzieren, gut leben können, kommen sie nicht auf die Idee, den Ort zu wechseln. Wenn wir das hinbekommen, dann werden wir das Problem von Flucht und Migration in diesem Ausmaß nicht haben.