Lene Stauß (links) und Teuta Thaqi haben den Theologen Mahmoud Abdallah nach Bad Cannstatt eingeladen. Foto: Annina Baur

Am Johannes-Kepler-Gymnasium diskutieren Schüler mit einem Theologen über die Anschläge von Paris, Islam und Toleranz und den Djihad. Die Idee für die außergewöhnliche Veranstaltung hatten zwei Schülerinnen.

Bad Cannstatt - Als sie kurz nach den Anschlägen auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo Nachrichten hörte, war Lene Stauß schockiert. Mehr aber auch nicht. Zumindest zuerst. Doch dann begann es in ihr zu arbeiten. Schließlich war es nicht der einzige islamistisch motivierte Anschlag auf Ziele in aller Welt in den vergangenen Jahren. Und Lene Stauß wurde bewusst, dass Vergleichbares schon morgen auch in Stuttgart passieren könnte. Was sich nach den Anschlägen von Paris in sozialen Netzwerken wie Facebook abspielte, bestärkte die junge Frau darin, dass sie nicht untätig sein wollte: „Es gab viele radikale Posts und Kommentare, auch von Freunden und Klassenkameraden.“

Lene Stauß rief zunächst eine Klassenkameradin an. Teuta Thaqi ist gläubige Muslima und sagt: „Mein Islam sagt Nein zu solchen Attentaten.“ Und sie weiß, wovon sie spricht: „Der Großcousin meiner Mutter ist in Syrien umgekommen.“ Im Gespräch haben die 18-jährigen Schülerinnen des Johannes-Kepler-Gymnasiums (JKG) nicht nur gemerkt, wie gut es ihnen tut, sich auszutauschen, sondern auch, dass alle zu wenig wissen. „Nur deshalb kommt es zu inakzeptablen Reaktionen wie der Pegida-Bewegung“, ist Teuta Thaqi überzeugt.

Schülerinnen engagieren sich

Gemeinsam wollen die jungen Frauen dazu beitragen, dass die Menschen künftig mehr wissen. Mit diesem Anliegen machten sie sich auf den Weg zu Schulleiter Christian Klemmer. Der ist beeindruckt: „Das ist eine herausragende Initiative.“ Auch er wusste, dass die Schule das Thema aufgreifen will und muss und war unsicher wie. „Ich halte nichts von von oben verordneten Gedenkminuten“, sagt Klemmer. Der Prozess, den die beiden Schülerinnen durchlaufen hätten, sei dagegen die perfekte Initialzündung für den Prozess, der nun in der ganzen Schule in Gang gesetzt werden soll. „Ich glaube, so kann wirklich etwas passieren in den Köpfen.“

Zum Auftakt haben Lene Stauß und Teuta Thaqi einen besonderen Gast ans JKG eingeladen. Der Theologe Mahmoud Abdallah vom Zentrum für islamische Studien in Tübingen hat mit den Schülern der Oberstufe über „Islam und Toleranz – Anspruch und Wirklichkeit“ gesprochen. Seine Botschaft ist eindeutig: „Krieg kann für mich nie heilig sein.“ Grundsätzlich seien Glaubensfreiheit und Pluralität im Koran verankert. Diejenigen Verse des Koran, die häufig als Rechtfertigung des Djihad zitiert würden, sind aus seiner Sicht missverstanden, was sowohl inhaltliche als auch sprachliche Gründe haben könne. „Auch nicht jeder Deutsche versteht alle Texte von Goethe oder Schiller“, sagt Abdallah. Er plädierte im JKG für einen neuen Start ohne Vorwürfe und Vorurteile, der die Geschichte aber nicht ausschließe. „Es ist eine neue Herausforderung für eine multikulturelle Gesellschaft.“ Das wichtigste, da stimmt er mit Lene Stauß und Teuta Thaqi überein, sei der Dialog.

Der Dialog soll weitergehen

Dieser soll am JKG weitergehen. Nach der Auftaktveranstaltung, bei der sich die Schüler nach dem Vortrag von Mahmoud Abdallah in kleinen Gruppen mit Themen wie Antisemitismus, Terrorgruppe, dem Nahost-Konflikt oder der Meinungsfreiheit auseinandergesetzt haben, sollen weitere Veranstaltungen folgen. Unter anderem könnte sich Schulleiter Christian Klemmer vorstellen, ein Fest der Kulturen zu veranstalten, wie es in der Vergangenheit bereits stattgefunden habe. „Das ist eine wunderbare Möglichkeit, sich besser kennenzulernen.“ Auch wenn das Miteinander der Kulturen am JKG gut funktioniere, könne der kulturelle Reichtum seiner Meinung nach noch sichtbarere gemacht werden. Die Voraussetzungen sind jedenfalls ideal. 540 Schüler aus knapp 30 Nationen besuchen zurzeit das JKG.