Er twittert am meisten: Der SPD-Abgeordnete Johannes Kahrs. Foto: Johannes Kahrs, MdB

Der SPD-Abgeordnete Johannes Kahrs twittert so viel wie kein anderer im Bundestag – zum Beispiel jeden Morgen: „Moin.“ Was soll das bringen?

Berlin - Muss man als Politiker twittern? Und wenn ja, wieviel? Wen erreicht man über die sozialen Medien überhaupt? Welche Inhalte sind wirklich relevant, welche könnte man sich sparen? Seitdem der Grünen-Chef Robert Habeck vor einigen Tagen seinen Ausstieg aus Twitter und Facebook bekannt gegeben hat, wird die Bedeutung der sozialen Medien in der Politik viel diskutiert. Wir haben mit dem Parlamentarier Johannes Kahrs, der auf Twitter am aktivsten ist, über seine Motivation und seine Erfahrungen im Netz gesprochen.

Herr Kahrs, 2018 twitterten Sie im Schnitt etwa alle 20 Minuten. Fast 30 000 Tweets kamen so in einem Jahr zusammen. Wie können Sie sich da noch auf Ihre Arbeit als Bundestagsabgeordneter konzentrieren?

Ich mache das zwischendurch, zum Beispiel auf langen Bahnfahrten. Man sitzt auch viel in Sitzungen, in denen man nur in kurzen Abschnitten gefragt ist und den Rest der Zeit nicht. Ich lerne über Twitter enorm viel: Wie die Gesetze, die wir hier in Berlin machen, bei den Menschen ankommen und welche Fragen oder Missverständnisse es gibt. Twitter ist für mich wie eine verlängerte Bürgersprechstunde.

Hilft Ihr Team?

99 Prozent mache ich selbst.

Sie twittern jeden Morgen „Moin“. Wir haben einmal mitgezählt: Am 11. Januar haben darauf mehr als 40 Menschen geantwortet, denen Sie dann wiederum allen geantwortet und meist einen schönen Tag gewünscht haben. Wieviele dieser Menschen kennen Sie persönlich?

Etwa ein Drittel kenne ich. Es sind auch viele Twitterbekanntschaften dabei, mit denen ich nur im Netz zu tun habe. Den normalen Umgang, den man im Alltag pflegt, sollte man auch im Internet beibehalten. Dazu gehört für mich auch, die Leute morgens zu grüßen. Man muss mit bestimmten Dingen identifizierbar werden, damit die Leute einen im Netz wiedererkennen. Dann trauen sich die Menschen eher, Nachrichten zu schicken. Heute erst hatte ich jemanden aus meinem Wahlkreis, der vor einiger Zeit an einer der Busfahrten teilgenommen hat. Er war in Berlin, wollte in den Reichstag und hat mir auf Twitter geschrieben. Wir waren Kaffee trinken, dann habe ich ihn auf die Zuschauertribüne gebracht. Gegen Politikverdrossenheit helfen selten Sonntagsreden des Bundestagspräsidenten.

Die Journalistin Niddal Salah-Eldin hat neulich in der Diskussion um Politiker bei Twitter gefordert: Vor jedem Tweet solle man sich fragen, ob er einen Mehrwert hat und wirklich gepostet werden muss. Das trifft bei Ihnen nicht immer zu – etwa beim Foto vom Friseur oder dem Retweet einer Partei-Kollegin, die eine SPD-Tasse geschenkt bekommen hat.

Ich halte auch nichts von dem Ansatz. Die Menschen wollen keinen Automaten, der nur formgerechte Presseerklärungen twittert. Das ist maximal langweilig. Die Leute wollen einen Menschen erleben. Für viele ist das, was wir hier in Berlin im Bundestag machen doch wie eine Soap Opera, wie Schweine im Weltall – eine andere Welt, absurd und sehr weit weg. Deshalb muss man sich so erden, dass man begreifbar wird. Und dazu gehören auch der Friseurbesuch und die SPD-Tasse.

Wissenschaftler haben herausgefunden, dass bei Likes in den Sozialen Medien der Botenstoff Dopamin im Gehirn ausgeschüttet wird – wie nach dem Genuss von Schokolade, Sex oder nach positiven Begegnungen. Dadurch könnten Soziale Medien in gewisser Weise abhängig machen, so die Wissenschaftler. Beobachten Sie Symptome einer Sucht an sich?

Man merkt schon, dass man manche Dinge anders macht. Früher habe ich viel mehr Fernsehen geguckt und Zeitung gelesen, das tue ich jetzt kaum noch, sondern informiere mich hauptsächlich im Internet. Das macht mir eben Spaß. Bei Mary Poppins habe ich gelernt: Alle Aufgaben fallen leichter, wenn sie einem Spaß machen.

Sie haben – auf Twitter – als Motivation für ihr hohe Nutzung genannt, dass man Twitter nicht der AfD überlassen dürfe. Glauben Sie wirklich, dass der Versuch, ständig dagegen zu feuern der richtige Weg ist? Erhöht man damit nicht nur die Aufmerksamkeit für die AfD?

Auseinandersetzung mit der AfD führt man nicht auf der Straße oder am Infostand sondern im Internet, weil sie da besonders aktiv ist. Viele Bürger sind unsicher, haben Fragen, und wenn sie dann im Internet nur oder vorwiegend auf AfD-Abgeordnete treffen, ist das sehr schade. Deshalb ist es auch schade, dass der Kollege Robert Habeck sich da zwei, drei Mal versemmelt hat und dann weggelaufen ist. Aus meiner Sicht ist Weglaufen nie eine Lösung. Er ist ja nicht als Privatperson dort unterwegs gewesen, sondern als Vorsitzender der Grünen. Die Grünen wollen für Innovation stehen. Was ist das denn für ein Symbol, wenn der Parteivorsitzende da kapituliert? Das finde ich ein bisschen arm.

Sie bekommen auf Twitter sicher auch nicht nur positive Reaktionen?

Ein Beispiel: Nachdem ich neulich im Bundestag der AfD-Fraktion zugerufen habe „Hass macht hässlich“, hatte ich Hunderte Nachrichten. Dann wird man überschwemmt. Dann verbringt man manchmal eben auch eine ganze Bahnfahrt von Berlin nach Hamburg nur mit Löschen und Blocken. Das nervt ein bisschen, aber es ist eben nicht alles schön, was man im Leben macht. Früher habe ich noch versucht, im Netz direkt mit AfD-Vertretern zu diskutieren. Das mache ich jetzt nicht mehr. Die leben teilweise in einer anderen Welt, vielfach posten auch Bots.

Gibt es keinen der rund 90 AfD-Abgeordneten im Bundestag, mit dem oder der Sie sie sich auf Twitter unterhalten können?

Nein. Ich halte die AfD für eine rechtsextremistische Partei. Bei mir zu Hause habe ich gelernt, dass die Fehler in unserer Geschichte nicht 1933 gemacht wurden, sondern schon in den Jahren davor. Ich will mich später nicht fragen, warum ich nicht früh genug was gemacht habe. Ich finde deshalb auch den Entschluss des Verfassungsschutzes gut, die AfD zum Prüffall zu erklären.

Aus aktuellem Anlass: Wie legen Sie ihr Twitter-Passwort fest und wie oft ändern Sie es?

(Lacht). Hinreichend oft. Ich bin bin nicht ganz sicher, ob es reicht. Beim Festlegen lasse ich mich beraten.

Auf fast 30 000 Tweets kamen Sie 2018. Wieviele werden es in diesem Jahr?

Keine Ahnung. Ich habe da keinen genauen Plan. Manchmal brauche ich an einem Tag sozusagen mein Pensum für drei Wochen auf. Und dann gibt es auch mal wieder Zeiten, zum Beispiel in Ausschusssitzungen, wenn ich mich in Themen einlesen muss, da lege ich das Handy fünf oder sechs Stunden komplett weg.