In schweren Zeiten standen sie zusammen: Joe Biden und seine Frau Jill. Foto: AP

Amerika wartet auf Joe Biden. Wann verkündet er seine Kandidatur? Der frühere Vizepräsident gilt als der US-Demokrat, den Amtsinhaber Donald Trump am meisten fürchtet. Aber ist er auch der Mann, der ihm das Weiße Haus abluchsen kann?

Washington - „Uncle Joe“ nennen die Amerikaner Joe Biden gerne. Liebe- und respektvoll ist das gemeint. Es gab aber eine Zeit, da wurde der Vizepräsident unter Barack Obama gerne belächelt. Als ewig gut gelaunter Sidekick des Präsidenten, der aber nicht über viel Substanz verfügt. Eher Maskottchen als ernstzunehmender Politiker. Komplett gewandelt hat sich dieses Bild: Der 76-jährige Biden gilt als Hoffnungsträger, als ein US-Demokrat, der Amtsinhaber Donald Trump wirklich gefährlich werden könnte. Liberal, aber nicht zu links – wählbar für die Massen.

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Wenn er denn endlich kandidieren würde. Joe Biden zögert, seinen Hut in den Ring zu werfen. Dabei liebäugelt er schon seit Monaten damit, in den Vorwahlkampf der Demokraten einzusteigen. Die Unterstützung großer Spender hat er, auch seine Familie sei einverstanden, sagte Biden kürzlich. Warum also zögert er?

Ein Leben voller Schicksalsschläge

Wollte man sich in Küchenpsychologie versuchen, man könnte einen Grund in Bidens Privatleben finden. Seine Familie geht dem Vater von vier Kindern und fünffachen Großvater über alles. Es ist Bidens wunder Punkt – auf den Trump in einem Duell mit dem Demokraten zielen könnte.

Joe Biden hat in seinem Leben bereits so viele Schicksalsschläge verkraften müssen, dass es für zwei reichen würde. Er spricht offen darüber und bewegt damit viele Menschen, die Ähnliches mitmachen mussten.

Es war der 18. Dezember 1972, als den damals 30-jährigen Joe Biden ein Anruf erreichte: Seine Frau Neilia habe zusammen mit den drei Kindern einen schweren Autounfall gehabt. Bidens Frau und seine 13 Monate alte Tochter Naomi waren sofort tot. Seine Söhne Beau und Hunter lagen mit schweren Verletzungen im Krankenhaus. In die Politgeschichte ging das Bild ein, das den frischgewählten Senator Biden bei seinem Amtseid zeigt – am Krankenbett seiner Söhne.

Jahrelang pendelte Biden zwischen Delaware und Washington, um sich um seine Jungs zu kümmern. Es sei ein Grund, sagte der 76-Jährige heute, dass er im Politbetrieb von Washington nie den Kontakt zum „echten Amerika“ verloren habe. 1977 heiratete Biden wieder: Die Lehrerin Jill, mit der Biden eine weitere Tochter hat - Ashley. Für seine Söhne war Jill „Mum“.

2015 stirbt Bidens Sohn Beau

2015 traf die Bidens ein weiterer Schicksalsschlag: Sohn Beau starb mit nur 46 Jahren. Der Veteran des Irakkriegs erlag einem aggressiven Hirntumor. „Meine Familie war am Boden zerstört. Ich war am Boden zerstört“, sagte Biden später in einem Interview. Damals entschied er sich, nicht für die Wahl 2016 zu kandidieren. Sein Herz sei nicht dabei gewesen.

Vier Jahre nach Beaus Tod geht es den Bidens besser. 2016 machte die Familie öffentlich, dass Hunter, Beaus jüngerer Bruder, mit dessen Witwe Hallie liiert ist. Was folgte, war eine hässliche Schlammschlacht um Hunters Scheidung von seiner Frau Kathleen, Mutter seiner drei Töchter. Joe und Jill Biden standen damals zu Hunter und veröffentlichten ein Statement: „Wir sind froh, dass Hunter und Hallie sich gefunden haben, als sie ihr Leben nach einer Zeit tiefer Traurigkeit wieder zusammensetzten. Sie haben unsere Unterstützung und wir freuen uns für sie.“

Hat Joe Biden Sorge, seine Familie gerate in die Schusslinie, sollte er sich in den Vorwahlen durchsetzen und gegen Trump antreten? Der US-Präsident ist dafür bekannt, dass er mit seinen politischen Gegnern nicht eben zimperlich umgeht und auch vor persönlichen Attacken nicht zurückschreckt.

Biden ist Obamas engster Vertrauter

Joe Biden auf seine persönliche Lebensgeschichte zu reduzieren, greift zu kurz. Der 76-Jährige ist ein politisches Schwergewicht. Von 1973 bis 2009 saß er für den Bundesstaat Delaware im Senat. Hier machte er viele seiner Überzeugungen zu Gesetzen – vor allem, weil er es schaffte, seine republikanischen Kollegen miteinzuspannen. Diese Arbeit „over the aisle“ (etwa „über den Gang“), wie es die Amerikaner nennen, ist in der US-Politik elementar wichtig.

Als Vizepräsident war er bei Weitem nicht nur der „Grüß-August“. Biden galt und gilt als engster Vertrauter Barack Obamas (sprichwörtlich wurde ihre „bromance“, über die sogar ihre Frauen witzelten) und war in alle wichtigen Entscheidungen seiner Präsidentschaft eingebunden. Wer sich nach den Obama-Jahren sehnt, für den ist Biden „the next best thing“.

Ist Biden ein Politiker von gestern?

In seiner langen politischen Karriere hat Biden aber auch Ballast angesammelt: So wirkte er beispielsweise seinerzeit an einem umstrittenen Gesetz der Clinton-Jahre mit, das die Kriminalität bekämpfen sollte, aber vor allem dazu führte, dass die Gefängnisse voll sind – vor allem mit Afroamerikanern. Und als der Justizausschuss 1992 die Juraprofessorin Anita Hill befragte, die dem Supreme-Court-Kandidaten Clarence Thomas sexuelle Belästigung vorwarf, machte Biden als Ausschussvorsitzender keine gute Figur. In Zeiten von #MeToo könnten das in den Händen seiner Gegner zur Waffe werden.

Und die Demokraten sortieren sich neu: Die Partei ist nach den Midterm-Wahlen nach links gerutscht. Junge, unverbrauchte Kandidaten drängen an die Macht. Biden bringt mehr Erfahrung als sie mit – vor allem in der Außen- und Sicherheitspolitik. Aber gelingt es ihm, sich neu zu erfinden? Zwei Mal, 1988 und 2008, bewarb er sich um das höchste Amt – und scheiterte. Mit 78 Jahren bei Amtsantritt wäre er der älteste US-Präsident aller Zeiten. Seinen Kritikern gilt er als Gesicht von gestern.

Biden spricht die Sprache der Trump-Wähler

Wählbar wäre er dagegen für eine breite Wählerschaft – auch für die, die Trump gerne los wären, aber mit der dezidiert linken Politik eines Bernie Sanders oder einer Elizabeth Warren nichts anfangen können. Bei ersten Umfragen liegt Biden mit großem Abstand vorn. Schilder mit „Run, Joe, run“, halten seine Unterstützer bei jedem seiner öffentlichen Auftritte hoch.

„Uncle Joe“ ist an Beliebtheit kaum einzuholen. Das liegt auch daran, dass er eine Sprache spricht, die die „white middle class“ versteht, die 2016 in Scharen Donald Trump wählte. Biden gibt sich gern hemdsärmlig und drohte Trump auch schon mal Prügel an: „Wären wir in der High School, würde ich ihn hinter der Turnhalle abpassen.“

Aber es ist sein Schmerz, der viele Amerikaner zu dem Demokraten hinzieht. Die Gewissheit, dass da einer ist, der jeden Morgen aufsteht und einen Fuß vor den anderen setzt – egal, wie schwer ihn das Schicksal beutelt. Es gibt Biden eine Empathie, die ihn zum krassen Gegenentwurf von Amtsinhaber Trump macht. Biden zieht aus seiner Lebensgeschichte seine Kraft. Er sagt, er stehe jeden Morgen auf und hoffe, dass Beau stolz auf ihn sei. „Ich musste ihm versprechen, niemals aufzugeben.“