Seinen Ruhestand hat sich der 70-jährige Joachim Beckmann sicherlich anders vorgestellt. Doch er sagt, es gebe jetzt kein Zurück mehr. Foto: Judith A. Sägesser

Joachim Beckmann ist als Vorsitzender des Sportvereins in Musberg die treibende Kraft, die die Ringer aus den Trainingshallen ausgesperrt hat. Ihm bläst deshalb viel Gegenwind ins Gesicht Wie geht es ihm damit?

Musberg - Die Beckmanns wohnen am Verdiweg in Musberg. Das Sträßchen, an dem zwei Autos kaum aneinander vorbei passen, zeigt sich an diesem Sommertag von seiner schönsten Seite. Malerisch schlängelt es sich den Berg hinauf, umwuchert von Grün. Die Cello-Klänge, die aus einem der Häuser herüberfliegen, machen die Idylle perfekt. Doch der Schein trügt. Ins Leben der Beckmanns haben sich längst Misstöne gemischt.

Silke Beckmann hängt im kleinen Gartenparadies hinter dem Haus Wäsche auf. Sie ist deutlich angegriffen. Der Streit zwischen dem TSV Musberg, dem ihr Mann seit einer Ewigkeit vorsteht, und den Ringern zermürbt sie. Ihre Einkäufe erledigt sie inzwischen lieber in Leinfelden. Das Geschwätz der Leute erträgt sie nicht mehr. Der Fußpflegerin, die sie neulich auf den Konflikt angesprochen hat, hat sie geantwortet: „Über Ringen rede ich nicht.“

Es geht um Geld und Unehrlichkeit

Bei ihrem Mann ist das anders. Joachim Beckmann sitzt oben im Büro mit Dachschräge, die Hitze des Juli drückt sich durchs Gebälk. Er hockt angespannt da, nach vorne gebeugt, sein Gesicht wirkt noch kantiger, er betet Jahreszahlen und wer wann was gesagt hat auswendig herunter. Es läuft immer aufs Gleiche raus: Die Sache zwischen dem TSV und den Ringern, die sich inzwischen in einem eigenen Verein organisieren, ist verfahren. Vielleicht zu verfahren. Es geht um Geld, es geht um Ehrlichkeit und Unehrlichkeit, und es geht um jede Menge Frust. Für Joachim Beckmann geht es vor allem ums Prinzip. Weil die Fronten nicht geklärt sind, hat der TSV die Ringer aus den Hallen ausgesperrt. Heißt, die Ringer haben keinen Trainingsraum in Musberg. Vergangene Woche haben die TSV-Mitglieder dies per Abstimmung zementiert.

Der TSV hat inklusive der Ringer 2200 Mitglieder, Musberg hat 5300 Einwohner. Unterm Strich hat rein rechnerisch gesehen mehr als jeder Dritte im Ort mit dem Streit, der ins Endlose driftet, zu tun. Und Beckmann ist für viele, die Ringer sind oder sich auf deren Seite geschlagen haben, der Oberaussperrer. Doch was macht das eigentlich mit einem Menschen, der Buhmann vom Dienst zu sein? Joachim Beckmann ist geübter darin, zu erklären, warum alles so weit gekommen ist, als diese Frage zu beantworten. Aber er sagt nach mehreren Anläufen auch: „Trifft mich das irgendwann gesundheitlich?“ Er ist 70. Gerade erst hat er sich durchchecken lassen. „Gesund!“, ruft er, als könnte er das selbst nicht glauben. Der Streit stresst ihn. Seit vier Wochen beschäftigt er sich mit fast nichts anderem. Der Zwist regiert seinen Alltag. Er deutet mit dem Kopf in die Ecke seines Büros, eine brüchige Wasserleitung verläuft als offene Baustelle von oben nach unten, und das Dachfenster über seinem Kopf hat schon bessere Zeiten gesehen. „Das liegt alles brach“, sagt er. Unter Ruhestand versteht man etwas anderes.

Der Zwist regiert seinen Alltag

Andererseits ist Joachim Beckmann nicht der Typ Mensch, der Schäfchen zählt und Blumen im Garten zurechtzupft. Er ist ein harter Hund. Darüber muss er kurz lachen, „will ich eigentlich gar nicht sein“. Wie auch immer, das war der Grund, den man seiner Frau damals genannt hat, der Grund dafür, dass der Verein Joachim Beckmann überredet hat, wieder zurückzukommen, nach vier Jahren Pause als Vorsitzender. Damals hatte er bereits 20 Jahre in diesem Amt hinter sich und noch viel mehr im Verein. „Keiner sei stark genug für diese Aufgabe“, gibt seine Frau Silke das Argument wieder, das ihr 2009 genannt wurden, als sie tief traurig war über die sich anbahnende Rückkehr ihres Mannes an die Vereinsspitze. Stark genug für den Streit mit den Ringern. „Das ist ein Stehringkampf“, sagt Joachim Beckmann. „Und die Kondition habe ich.“

Dann weicht die Körperspannung

Seine Körperspannung weicht sofort, wenn er das Thema wechselt. Wenn er erzählt, dass er in Pforzheim geboren worden ist und seine Kindheit und Jugend in Schleswig-Holstein verbracht hat, dass er schon als Bub Astronaut werden wollte. Es ist nichts daraus geworden. Er hatte bereits das Vordiplom in Luft- und Raumfahrttechnik an der Uni Stuttgart in der Tasche, als er im Radio hörte, dass sie für den ersten deutschen Astronauten einen Physiker suchten. Pech gehabt. Also hat er sich leidenschaftlich mit Antriebstechniken befasst, in der Forschung, in der freien Wirtschaft, aber auch als selbstständiger Ingenieur. Wenn Joachim Beckmann über solche Dinge spricht, sitzt er zurückgelehnt auf dem Stuhl, die Beine ausgestreckt. Mit diesem Bild harmonieren dann endlich die Cello-Klänge am Verdiweg.