Gesangsworkshop mit Laien und Profis: Nach dem Publikum leitet Bobby McFerrin die Stuttgarter Kantorei an am Samstagabend im Alten Schloss Foto: Opus

Denkwürdige Abende hat das Festival Jazz Open schon veranstaltet im Alten Schloss. Das war zum Auftakt in diesem Jahr nicht anders – mit Mnozil Brass und Bobby McFerrin aber ganz anders.

Stuttgart - Der Innenhof des Alten Schlosses ist ein phänomenaler Ort an einem Sommerabend: Spätes Sonnenlicht illuminiert die ehrwürdige Szenerie und die dicken Mauern bieten schattig Kühle. Das Festival Jazz Open hat diesen Ort für sich erobert, nachdem der Sponsor Mercedes ausstieg und sein Amphitheater am Museum wegfiel - im Nachhinein ein Glücksfall, denn nun ist das Festival komplett in der Innenstadt verortet. Das Alte Schloss zu bespielen, gelang bisher meist gut: Herbie Hancock 2017 und Pat Metheny 2018 boten hier starke Konzerte und klare Bekenntnisse zum Jazz als Kunstform auch für ein größeres Publikum.

Nicht an jedem Abend kann ein Festival solche Namen aufbieten – aber eine gewisse Erwartung darf ein Publikum schon haben, zumal die Tickets für die exklusiven Shows nicht ganz billig sind. In diesem Jahr nun gestaltet sich das Programm bislang etwas anders – positiv gewendet könnte man fragen: Wieso nicht auch der Kleinkunst einmal eine Chance auf eine große Bühne geben?

Hape Kerkeling lässt grüßen

Den Schloss-Auftakt am Freitag bestreiten die österreichischen Blechblas-Musik-Comedians Mnozil Brass, die lange auf die Ludwigsburger Schlossfestspiele abonniert waren. Sie bieten feinste Satire, mäandern vom Oldtime-Jazz zum Easy Listening, nehmen Flamenco und schneidiges russisches Liedgut auf die Schippe, James Taylor und in einer kleinen Hommage den gerade verstorbenen Costa Cordalis („Anita“). Das funktioniert, weil alle sieben Blechbläser – von der Trompete über die Posaune bis zur Tuba – ihre Instrumente virtuos beherrschen.

Dazu inszenieren sie eine komödiantische Show, die ohne Worte auskommt. Mal geht auf der Bühne ein Flachmann herum, aus dem Achseln, Schritte, Augen und schließlich Kehlen benetzt werden, mal spielt einer einen Offizier, der die anderen mit pseudorussischem Gebell antreten lässt, ehe ihm einer ein Tutu aus der Hose zieht und er seine feminine Seite entdeckt. Dann wieder mutiert einer zum Dirigenten, ruft „Uraufführung“ und gestikuliert zu einem atonalen Durcheinander, das den Höreindruck persifliert, den viele Menschen haben, wenn Neue Musik erklingt – Hape Kerkelings „Hurz“ lässt grüßen.

Durch die Nase gespielte Blockflöten

Singen können Mnozil Brass auch: Den Jazz-Standard „I can’t give you anything but Love“ intonieren sie, als wären sie die Comedian Harmonists und flanieren über die Bühne, ergriffen von ihrer eigenen Darbietung. Wenn sie dann mit durch die Nase gespielten Blockflöten das Klanginferno einer Grundschulaufführung anzetteln, bleibt kein Auge mehr trocken. Diese Österreicher haben Vorbilder wie Laurel und Hardy studiert, ihr komödiantisches Timing ist brillant, wenn sie „Mr. Sandmann“ zerrocken, Goran Bregovics Balkan-Swing auseinandernehmen oder eine Szene in Zeitlupe spielen, um als Standbild zu verharren – wie einst die Kleine Tierschau auf dem Höhepunkt ihres Könnens.

Solche kleinkünstlerische Qualität verträgt ein Musik-Festival. Was dann am Samstag der Stimmartist Bobby McFerrin (69) aufführt, geht anders an die Grenze. Unterstützt von vier weiteren Vokalistinnen und Vokalisten – die zwei Männer imitieren Bass und Schlagzeug – inszeniert er das für ihn typische, lautmalerische melodische Hüpfen zwischen knarzigem Brustton und säuselndem Falsett. Dabei sind Worte rar und für simple Botschaften reserviert: „Let’s dream about something“, singt zum Beispiel die etwas schrille Rhiannon in ihrer Soloeinlage und gelangt schließlich zu „peace“.

Das Publikum macht eifrig mit

Bald wird das Konzert zum Mitmachabend. Zunächst darf das Publikum kleine Melodien nachsingen oder als Untermalung Lautschöpfungen wie „Kilalalalala“, dann nehmen 26 Mitglieder der Stuttgarter Kantorei auf der Bühne Platz und bekommen ebenfalls Grundmuster für Stücke nahegebracht. Das Publikum macht eifrig mit, die Profis wirken mitunter wie im kalten Wasser – aber alle schlagen sich tapfer, während McFerrin hupt, kiekst und scattet und auch mal klingt wie ein Didgeridoo.

Für Momente stellt sich tatsächlich Frieden ein im Innenhof des Alten Schlosses, und an einer Stelle winkt McFerrin einem kleinen Mädchen im Publikum und singt „Hello!“. Das Gefühl, einer qualifizierten Konzertdarbietung beizuwohnen, schwindet dagegen zunehmend, während der Meister und seine Zuarbeiter sich in immer neuen Wiederholungsschleifen verlieren. Ein arrangiertes Stück immerhin singen sie noch, ein Cover des Rolling Stones-Klassikers „Jumping Jack Flash“.

„Singen mit Bobby“ hätte dieser Abend überschrieben sein können, und dem donnernden Applaus nach zu urteilen, sind große Teile des Publikums ganz zufrieden mit McFerrins Mischung aus Gesangsworkshop und Selbsterfahrungsgruppe. Fragezeichen stehen dagegen in den Gesichtern all jener, die ein Konzert im eigentlichen Sinne erwartet haben. Eine Hoffnung bleibt ihnen: An diesem Montag kommt der große Pianist Chick Corea ins Alte Schloss – mit einem Jazz-Programm.