Leinen los Richtung Jamaika! Foto: dpa

Leinen los Richtung Jamaika: Fast vier Wochen hat sich die Kanzlerin Zeit gelassen. Für die Unterhändler von CDU, CSU, FDP und Grünen ging es am Freitag aber endlich los. Es dürfte auch knirschen in den nächsten Wochen.

Berlin - Ganz so viel Gemeinsamkeit mit den Grünen wollen Angela Merkel und Horst Seehofer zum Start in die Jamaika-Sondierungen dann doch nicht demonstrieren. Es ist 16.26 Uhr, als die Kanzlerin und der CSU-Chef am Freitag auf dem Weg zu den ersten Verhandlungen in großer Runde kurz abdrehen. Denn ein paar Meter weiter sprechen noch die Grünen-Chefunterhändler Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir ihre Mindestziele für Schwarz-Gelb-Grün in die Kameras. Da wollen die Unions-Granden doch lieber nicht mit ins Bild.

Als Merkel und Seehofer ein paar Minuten später ihre Statements vor den Journalisten sprechen, demonstrieren die lange tief zerstrittenen Vorsitzenden ziemlich viel Einigkeit - Unterschiede liegen in den Nuancen. Von einer „Vielzahl von Differenzen“ redet die Kanzlerin, um dann direkt grundsätzliche Kompromissbereitschaft zu signalisieren: „Es gibt auf meiner Seite durchaus die Bereitschaft, kreativ auch nachzudenken.“ Über allem müsse aber die Frage stehen: „Was erwarten die Menschen in diesem Land von uns.“ Sprich: Auch jene, die zu den Rechtspopulisten von der AfD abgewandert sind.

„Wir haben verstanden“ statt „Weiter so“

Seehofer hat da einen etwas anderen Zungenschlag: Man müsse antworten „auf die Fragen und Signale, die uns die Wähler am 24. September gegeben haben“. Genau das ist es, was er und seine CSU der Kanzlerin in den fast vier Wochen seit der Bundestagswahl vorgeworfen haben: Dass sie nicht klar genug „Wir haben verstanden“ in Richtung der Wähler signalisiert habe, sondern eher ein „Weiter so.“

Der CSU-Chef schiebt noch hinterher, für ihn sei eine Antwort vor allem bei der Frage von Migration und Sicherheit nötig, neben vielen sozialen Themen. Als Seehofer mit einem „Ich bin zuversichtlich“ schließt, mag Merkel ihm das letzte Wort doch nicht so ganz gönnen - und spricht rasch ein „Ich auch“ in die Kameras.

Was bedeutet diese „Kleeblattkonstellation“?

Ob die so unterschiedlichen Möchte-Gern-Jamaikaner im Kaisersaal der Parlamentarischen Gesellschaft dann hinter verschlossenen Türen im Kreis der mehr als 50 Unterhändler tatsächlich mehr Einendes als Trennendes finden? FDP-Chef Christian Lindner und die Grünen-Spitze aus der Fraktionsvorsitzenden Göring-Eckardt und Parteichef Özdemir betonen jedenfalls zum Start der Verhandlungen unisono, die Gespräche würden ergebnisoffen geführt.

Lindner spricht von einer „Kleeblattkonstellation“ und meint, ein „vierblättriges Kleeblatt könnte ein Glücksfall für Deutschland sein, ist ja allerdings sehr selten“. Özdemir sagt, man wolle den anderen zuhören, die eigene Linie aber selbstbewusst vertreten. Die Kunst bestehe darin, „zu schauen, ob am Ende alle drei den Tisch verlassen können mit dem Gefühl, dass es gemeinsam trägt für vier Jahre“.

Die Politik der abgewählten großen Koalition von Merkel wollen sie auf keinen Fall weiterführen, machen Gelbe und Grüne klar - wenn die AfD wieder klein gemacht werden solle, müsse es eine ganz andere Politik als die von Schwarz-Rot geben, argumentiert Lindner. Das geht unverblümt auch an die Adresse der Kanzlerin.

Currywurst zur Stärkung

Als Merkel und die anderen dann im Kaisersaal der Parlamentarischen Gesellschaft Platz nehmen, folgen sie einer fein austarierten Sitzordnung. Direkt gegenüber der Kanzlerin sitzt Lindner, gegenüber von Seehofer Katrin Göring-Eckardt - bisher eine Lieblings-Gegnerin der CSU, genauso wie von Teilen der FDP.

Was nach der Begrüßung durch die Kanzlerin folgt, beschreiben Insider als typisch Merkel’sches Verfahren für schwierige Fälle. Alle Seiten benennen nochmal ihre Hauptprobleme, nacheinander und in den zwölf zentralen Themenblöcken. Für jede Seite spricht ein Unterhändler 3, 4 Minuten lang. Nur insgesamt 20 Minuten sind für die einzelnen Ober-Themen eingeplant - ganz schön wenig angesichts der vielen Knackpunkte. Aber für die Generalaussprache soll das reichen.

Zur Stärkung steht ein Buffet bereit, es gibt Karotten-Ingwer-Suppe, Currywurst, kleine Schnitzel, Lachs mit Dillsoße, Nudeln mit mediterranem Gemüse und Rote Grütze - auch für Vegetarier wie Özdemir ist also gesorgt.

Jens Spahn der Merkel-Kritiker

Am Ende, spät in der Nacht, will die Runde festgelegt haben, welche Themen nächste Woche aufgetischt werden. Gut möglich, dass schon am Dienstag einer der dicksten Brocken aufgerufen wird: „Finanzen, Haushalt, Steuern“. Es sei sehr sinnvoll, dass sich die Jamaika-Runde gleich am Anfang über den Finanzrahmen verständige - und Fragen wie die nach der „Schwarzen Null“ im Haushalt kläre, sagt ein Unions-Mann - sprich: ob auch Jamaika keine neuen Schulden machen wolle.

Verhandlungsführer bei dem diffizilen Punkt könnte ein ausgewiesener Merkel-Kritiker sein: Jens Spahn, als Parlamentarischer Staatssekretär im Finanzministerium quasi amtierender Kassenwart. Sparkommissar Wolfgang Schäuble (CDU) wechselt nächste Woche auf den Posten des Bundestagspräsidenten. In der Runde der Jamaika-Verhandler ist er nicht mehr dabei.

Auf der Jamaika-Themen-Liste stehen echte Klopper auf den ersten Plätzen: Neben den Finanzen Europa, „Klima, Energie, Umwelt“ oder „Flucht, Asyl, Migration, Integration“. Überall könnte es ganz schön krachen. Auch für diesen Fall ist im Kaisersaal vorgesorgt: Direkt hinter dem Platz Spahns ist ein Notausgang.