Das Kinderzimmer von Max ist seit viereinhalb Jahren verwaist Foto:  

Ein Ehepaar kämpft um die Rückkehr seines Kindes, nachdem ihm vor gut viereinhalb Jahren wegen eines Vorfalls das Sorgerecht entzogen worden war. Das Gericht gibt ihnen recht, doch der Weg nach Hause ist nicht einfach.

Rems-Murr-Kreis - Der Beschluss des Oberlandesgerichts liest sich wie ein Happy-end für Gisela und Werner Schmidt: Nach einem fast fünfjährigen Kampf um das Sorgerecht für ihren Sohn Max wird dieses an die Eltern zurückübertragen. Doch der schier endlose juristische Streit dürfte bei allen Beteiligten Wunden geschlagen haben. Und: Die vom 16. Familiensenat verfügte stufenweise „Kindesherausgabe“ zum 20. März 2020 gestaltet sich offenbar alles andere als reibungslos.

Klinikärzte äußern Verdacht auf Schütteltrauma

Max, dessen richtiger Name ebenso wie der von Gisela und Werner Schmidt von der Redaktion geändert wurde, hat seine Eltern die meiste Zeit seines Lebens nur als Besucher kennengelernt. Seit einem Klinikaufenthalt im Alter von zwei Monaten wurde er ihnen vom Jugendamt des Rems-Murr-Kreises entzogen – zu seinem eigenen Schutz. Die Ärzte in der Klinik, in die sich Gisela Schmidt mit ihrem Sohn begeben hatte, stellten Netzhautaufblutungen und subdurale Hämatome im Gehirn des Säuglings fest – und äußerten den Verdacht auf ein Schütteltrauma.

Werner Schmidt erklärt die Verletzungen als einen Unfall: Er habe seinem Sohn damals, wie er es oft getan habe, das Fläschchen gegeben und ihn danach auf seinem Schoß herumturnen lassen, plötzlich sei ihm ein heftiger Schmerz in den Rücken gefahren. Reflexartig sei er zusammengezuckt und habe zugepackt – sicherlich deutlich fester als üblich, wie der kräftige Mann einräumt, aber keinesfalls in der Absicht, den Jungen zu verletzen.

Jugendamt vermutet eine Kindesmisshandlung

Das Jugendamt hingegen glaubt an eine Kindesmisshandlung. Sechs Tage nach diesem Vorfall wurde Max in Obhut genommen und zunächst in einer Bereitschaftspflegefamilie untergebracht. Aufgewachsen ist er dann bei einem kinderlosen Ehepaar, wo er auch heute noch lebt.

Max ist jetzt vier Jahre und neun Monate alt, seit vier Jahren und sieben Monaten kämpfen die Eltern um seine Rückkehr. Mehrere Verhandlungen vor den Familiengerichten in Waiblingen und Backnang sind in dieser Zeit absolviert, medizinische Gutachten erstellt worden. Eine Psychologin beurteilte die Schmidts hinsichtlich ihrer Belastungsfähigkeit, dem Umgang mit ihrem Kind und dessen Reaktionen auf sie, eine neutrale Clearingstelle wurde eingeschaltet.

Auch wenn die Gutachten mit Ausnahme der medizinischen Expertise zumindest nach Ansicht der Eltern für sie durchaus positiv ausgefallen seien, wurde ihnen vom Amtsgericht das sogenannte Aufenthaltsbestimmungsrecht entzogen. Eine Folge war, dass sich auch die Besuche und der zugebilligte Umgang mit ihrem Kind äußerst schwierig gestaltet hätten, so die Schmidts.

Oberlandesgericht verfügt Rückführung

Sie aber kämpften weiter um ihren Sohn, schrieben Briefe an den Bürgermeister ihrer Heimatgemeinde und an die Bundeskanzlerin und stießen jetzt – nach mehr als viereinhalb Jahren – vor dem Oberlandesgericht auf Verständnis. Die Richter verfügten nicht nur, dass Max, der unterdessen einen drei Jahre jüngeren Bruder bekommen hat, wieder zurück zu seinen leiblichen Eltern kehren solle. Um dem Jungen eine Abnabelung von der Pflege- und eine Eingewöhnung in die angestammte Familie zu ermöglichen, wurde auch eine Frist von fast einem Jahr gesetzt und der Umgang mit Besuchs- und Übernachtungszeiten dezidiert geregelt.

Doch dieser „weiche Übergang“ läuft nach Aussage der Schmidts alles andere als gut. Zu geplanten Unternehmungen mit dem Sohn bekomme man bisweilen kurzfristige Absagen per Handy-Nachricht mit der Begründung, dass Max keinen Besuch von ihnen wünsche – und erlebe bei passenden Gelegenheiten genau das Gegenteil. Immer wieder äußere der Bub zaghaft, dass er gerne mal bei den Schmidts und seinem Bruder übernachten würde, dass dies seine Pflegeeltern, die er auch Mama und Papa nennt, nicht wünschten. „Sie sagen ihm, dass wir Taugenichtse seien und ihn ihnen wegnehmen wollten“, sagt Werner Schmidt, „und das in Formulierungen, die sich kein Viereinhalbjähriger aus den Fingern saugt.“ Die Pflegeeltern, die in ihrer Heimatgemeinde gut angesehen und bestens vernetzt seien, sähen Max längst als ihren eigenen Sohn an und unternähmen alles, um eine Beziehung zu den leiblichen Eltern zu unterbinden, so Gisela und Werner Schmidts Einschätzung. Sie beide hätten auch gedacht, dass ein behutsames Abschiednehmen und neu Fußfassen die beste Lösung für ihren Sohn wäre – aber jetzt seien sie da nicht mehr so sicher.

Ordnungsgeld bis zu 25 000 Euro möglich

Notfalls müsse man seine Rechte erneut einklagen. Das Oberlandesgericht hat alle Beteiligten darauf hingewiesen, dass bei „schuldhafter Zuwiderhandlung gegen die sich aus dem Beschluss ergebenden Verpflichtungen“ ein Ordnungsgeld bis zu einer Höhe von 25 000 Euro verhängt werden könne.

Die Pflegefamilie möchte nicht zu den Vorwürfen Stellung beziehen. Dass die leiblichen Eltern mit der Privatangelegenheit an die Öffentlichkeit gingen, sei ihre Entscheidung. „Wir wollen uns dazu nicht äußern – und dürfen das auch gar nicht“, so die Pflegemutter.