In Neckarsulm betreibt Bechtle ein Logistikzentrum. Foto: Bechtle

Bechtle, der unterschätzte Riese: Mit seinem bodenständigen Image punktet der IT-Dienstleister aus Neckarsulm bei seinen Kunden im Mittelstand. Was hinter dem Erfolg steckt.

Neckarsulm - Ausgerechnet in der schnelllebigen IT-Industrie arbeitet Bechtle mit Zehnjahres-Plänen, doch die Firma mit dem Langweiler-Image wächst und wächst.

Die Krawatten-Visionen

Nach einem Visionär sieht er nicht aus, und doch hat Bechtle-Chef Thomas Olemotz – Anzug, Krawatte, streng gescheiteltes Haar – erst kürzlich seine jüngste Vision verkündet. „Bechtle: Der IT-Zukunftspartner“ ist sie überschrieben. „Profitables Wachstum macht uns stark“, heißt es darin oder: „Marktführerschaft ist unser Anspruch.“ Während T-Shirt-Träger Mark Zuckerberg die komplette Menschheit vernetzen und Google ihre kompletten Daten verwerten will, schält sich aus Olemotz‘ Zukunftsbild nur eine nüchterne Zahl: zehn Milliarden Euro. So viel Umsatz soll Bechtle bis 2030 erwirtschaften. Im abgelaufenen Jahr waren es gerade mal 4,3 Milliarden – ein Wachstum im Vorjahresvergleich von 21 Prozent.

Willkommen bei einem der vielleicht ungewöhnlichsten IT-Dienstleister im Land. Die Neckarsulmer Bechtle AG hatte lange das Image einer Sparkasse aus den 1980er Jahren, aber auch eine Wachstumsgeschichte, die andere Unternehmen in der deutschen IT-Branche neidisch macht. 1983 gegründet, betrug der Umsatz 1995 umgerechnet nur rund 50 Millionen Euro. Während andere nach ihrem Börsengang im überhitzten Börsenjahr 2000 scheiterten, hielt Bechtle die hauseigenen Zehnjahrespläne ein, die es seit 1988 gibt. 2018 ist das neunte Rekordjahr in Folge. Und Olemotz verkündet stolz: Die Mitarbeiterzahl von 10 000 aus der Vision 2020 habe man soeben erreicht.

Das hat bisher auch die Aktionäre überzeugt, sagt Mirko Maier, Analyst bei der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW). Obwohl die Anleger sonst eher von Quartal zu Quartal denken würden. „Der Markt mag es, wenn Prognosen übererfüllt werden.“ Neben den eigenen Mitarbeitern seien der wahre Adressat von Bechtles Zehnjahre-Visionen die eigenen Kunden, die meisten von ihnen kleine und mittelständische Unternehmen mit einem ausgeprägten Hang zur Bodenständigkeit. „Man signalisiert damit, dass es Bechtle auch noch in zehn Jahren gibt, dass man auch 2030 noch ein verlässlicher Partner ist“, so Maier. „Das sollte man nicht unterschätzen.“

Das Allzweckhaus

Das bodenständige, leicht verstaubte Image ist vielleicht Bechtles größtes Erfolgsgeheimnis. Neben dem umfangreichen Online-Handel mit Computern, Software und anderen IT-Produkten bietet Bechtle eine breite Palette von IT-Dienstleistungen an. Bechtle stattet die Firmenkunden mit neuen PCs und Software aus, hält die IT-Infrastruktur am Laufen und bietet Beratung an. Wer möchte, bekommt alles aus einer Hand. Mit diesem Prinzip hat Bechtle Systemhäuser geschaffen, die mit Netzen in Radien von 50 Kilometern Firmenkunden in Deutschland, Österreich und der Schweiz einfangen und es in ihrem Gebiet zur Marktführerschaft bringen sollen. Beim IT-Systemhaus Neckarsulm arbeiten 460 von potenziell 1454 Firmen mit Bechtle zusammen, sagt Geschäftsführer Oliver Hambrecht. Auch Kommunen zählen dazu.

„Fast alle Interessenten wissen nicht, wie sie den ersten Schritt in die Digitalisierung gehen. Sie hoffen, dass ihnen ein externer Berater den Weg aufzeigen kann“, sagt Hambrecht. Die Bandbreite der möglichen Aufgaben sei dabei enorm. Jüngst habe ein Unternehmenschef auf eine Wand voller Ordner gezeigt, die digitalisiert werden sollten. Andere wiederum suchten nach der zündenden Idee für die in der Firma generierten Daten. So betreibt der Kirchberger Briefkastenhersteller Renz inzwischen mit der Hilfe von Bechtle digital aufgerüstete Paketboxen, die in Mehrfamilienhäusern als Paketübergabestelle dienen. Dabei stelle Bechtle den Kunden jahrelang oft denselben Betreuer zur Seite, betont Hambrecht. Das schätzten jene Unternehmer besonders, die von Digitalisierung noch nichts oder nicht viel verstünden, aber dennoch ihre Firmen fit für zukünftige Aufgaben machen wollten.

Die Einkaufsmacht

Auch Olemotz weiß um das Image, das Bechtle dabei bedient. „Wir reiten auf der Innovationskurve nicht die erste Welle, das erwarten unsere Kunden auch nicht. Sie schätzen uns für unsere Bodenhaftung und unseren Einsatzwillen.“ Die rund 300 Hersteller, mit denen Bechtle zusammenarbeitet, wiederum schätzen das überdurchschnittliche Wachstum der Neckarsulmer. Auch Unternehmensriesen wie Microsoft, HP, Lenovo, Cisco oder Dell sind auf Bechtle angewiesen, um ihre Produkte zu verkaufen. Insgesamt 13 000 Produkte fasst das Bechtle-Lager. All das führt auch zu Bechtles „Einkaufsmacht“, wie LBBW-Analyst Maier es nennt. „Wenn es Lieferengpässe gibt, wird Bechtle bevorzugt bedient.“

Der Mitarbeiter-Typ

Gang über das Bechtle-Gelände: Der Kantinenbereich ist hell und transparent, doch an einer Seite des Bürotrakts wird wieder gebaut. Ein neues Bürogebäude soll bis 2020 Platz für 600 zusätzliche Arbeitsplätze schaffen, auch das ist Teil von Bechtles neuer Vision. Derzeit arbeiten 1800 der Mitarbeiter in der Zentrale in Neckarsulm. 2004 waren es noch 450 Mitarbeiter. Aber wie motiviert man überhaupt Mitarbeiter, die – von kleinen Dellen abgesehen – nur Wachstum kennen?

Man müsse den Erfolgshunger aufrechterhalten, sagt Olemotz, das sei eine der höchsten Anforderungen des Managements. Und man schaue genau hin, wen man brauche. Regional verwurzelt, bodenständig, professionell, „mit Herzblut und dem Willen zum Erfolg“ sollten die Mitarbeiter sein. Auch die Ausbildungsplätze bekomme man mit diesem Mitarbeiter-Typ besetzt und könne somit den Fachkräftemangel abfedern. Nur in Teilbereichen wie bei Netzwerktechnikern habe man Probleme. „Bislang bremst das unser Wachstum nicht. Aber nach der Konjunktur ist der Fachkräftemangel das zweitgrößte Risiko.“

Der Betriebsratsmangel

Und sieht er auch Betriebsräte als Risiko? Bisher wurde in einem Bechtle-Unternehmen keiner gegründet, bestätigt Olemotz – die wenigen, die es gibt, wurden bei Firmenkäufen praktisch mit eingekauft. Die Bechtle-Kultur mache das wohl nicht nötig. Es gebe „flache Hierarchien und kurze Wege“, viele Mitarbeiter agierten selbst wie Unternehmer. „Viele Mitarbeiter glauben offensichtlich, dass es keinen Betriebsrat braucht.“

Die Gewerkschaften sehen das prinzipiell anders, aber sie tun sich schwer, bei Bechtle Kontakte zu Betriebsräten oder Mitarbeitern aufzubauen. Wie überhaupt in der IT-Branche. Und die Beschäftigten wiederum kämen nicht auf die Gewerkschaft zu, heißt es zum Beispiel bei Verdi. Von dort erhalte man oft die Antwort, die Mitarbeiter kämen selbst klar. „Die IT-Unternehmen fühlen sich eingeengt, Betriebsräte werden als Behinderung empfunden.“

Und wie empfindet Olemotz sich selbst, wie würde er sich charakterisieren? Olemotz gibt die Frage an die Pressesprecherin weiter, die ihn begleitet. „Sachlich, verlässlich, schnell“, sagt diese. „Das kann man so stehen lassen“, sagt Olemotz.