Im Stil eines Kinostars präsentiert sich ein anderer Gotteskrieger im Internet: „Der Dschihad ist Reinigung - egal wer Du bist oder welche Sünden Du begangen hast. Es braucht keine guten Taten, um daran teilzunehmen. Lass’ Dich durch nichts zurückhalten“, radebrecht ein Dschihadist in schlechtem Englisch. Foto: Internet

Im weltweiten Netz sehen Terrorismusexperten die Schlacht um die Meinungshoheit für geschlagen. Die Gewinner sind nach ihrer Überzeugung die Terroristen des Islamischen Staates.

Im weltweiten Netz sehen Terrorismusexperten die Schlacht um die Meinungshoheit für geschlagen. Die Gewinner sind nach ihrer Überzeugung die Terroristen des Islamischen Staates.

Tel Aviv - Dieser Krieg ist ein Heidenspaß: Teure Geländewagen rasen durch die Wüste, der schwarz maskierte Kerl auf der Ladefläche ballert mit einem Maschinengewehr in die sandfarbene Unendlichkeit. Strapazen, von denen er sich Tage später in einer noblen Villa erholt: Palmen, Ballspiele im Swimmingpool. Danach ein Festessen mit Couscous, Hammelfleisch, Karotten und Schokoladencreme. Ein Katzenbaby sorgt für kuschelige Momente im Abendrot. Für Ismail Jabbar ist der Heilige Krieg ein Fünf-Sterne-Dschihad – zumindest im Internet.

In dem hat der 21-Jährige aus London viele Namen. Auf Facebook präsentiert er Bilder und Filmchen, die jeder Werbung zur Ehre gereicht, die Abenteuer und Wilden Westen verkaufen will. Die Botschaft: Kommt her nach Syrien, folgt mir in den Irak, werdet einer der Kämpfer des Islamischen Staates (IS), nehmt Euch die Frau, die ihr immer schon haben wolltet. Euer Leben ist Abenteuer. Irgendetwas zwischen „Bachelor“ und „Dschungelcamp“ – eben nur für den Allmächtigen und seinen Propheten.

Diesen „Heiligen Krieg im Internet haben die IS-Dschihadisten von langer Hand strategisch geplant“, ist sich Alexander Evans sicher. Er leitet bei den Vereinten Nationen die Arbeitsgruppe, die bis vor kurzem ausschließlich zur Terrorgruppe El-Kaida und den Taliban recherchierte. Inzwischen aber haben die internationalen Terrorismusexperten auch den Islamischen Staat ins Visier genommen. Und festgestellt, dass die „Zeit der Ruckelfilmchen vorbei ist. Der Dschihadist der Gegenwart, sagt Evans, „präsentiert mit hochmodernen Marketinginstrumenten seine Botschaften professionell und zielgruppenorientiert im Internet“.

Zielgruppe sind besonders junge Menschen zwischen 14 und 30 Jahren in Westeuropa. Stimmen die Zahlen, die europäischen Sicherheitsbehörden veröffentlichen, sind inzwischen 2600 Muslime aus der Europäischen Union zu den IS-Kämpfern gestoßen, 400 aus Deutschland. Kerle wie Ismail Jabbar. Der lässt seine Fans, die im Internet Follower heißen, über den Kurznachrichtendienst Twitter im Januar diesen Jahres an seinem Kampf in Syrien teilnehmen. Er veröffentlicht ein Bild von drei auf dem Fußboden kauernden Männern, denen die Augen verbunden und die Hände auf dem Rücken gefesselt sind. „Wir haben diese Kriminellen heute gefangen. So Gott will, werden sie morgen getötet. Ich kann dieses Gefühl kaum erwarten, wenn Du nur einen von ihnen tötest.“

Am nächsten Tag meldet „Sayyad al-Britani“, wie sich Jabbar zum Jahresbeginn nannte, Vollzug. Zu einer Zeit, als allenfalls ein Handvoll Journalisten und Experten den Islamischen Staat beobachteten, schrieb Jabbar zu einem Foto seiner blutverschmierten Hand: „Mein erstes Mal!“ Wenige Wochen später gab die Terrororganisation ein Poster heraus, auf dem die Rechte Jabbars zu sehen ist: „Der Weg ins Paradies!“

Den ebnen die Internetexperten des IS mit einer Professionalität, die Richter David Benichou überrascht. „Das sind keine Freizeit-Hacker mehr, keine Nerds, die ein wenig auf der Tastatur ihres Computers herumklimpern“, sagt der auf islamistisch motivierten Terrorismus spezialisierte Untersuchungsrichter aus Paris.

Als IS-Chef Abu Bakr al-Baghdadi am 29. Juni in einer Moschee in Mosul sein Islamisches Kalifat ausrief, legten seine Computerfachleute mehr als die Hälfte des irakischen Internets lahm. Auf den 43 Minuten lang gesperrten Seiten übertrugen sie stattdessen die Predigt ihres Anführers live. Stunden später schon kursierten im Netz englische, französische, deutsche und russische Übersetzungen der auf Arabisch gehaltenen Ansprache des selbst ernannten Kalifen Ibrahim. Für Richter Benichou ein Zeichen dafür, „wie exzellent diese Gruppe organisiert und strukturiert ist“.

Dazu gehört inzwischen auch, dass die Medienexperten des IS regelmäßig einen Infobrief in Englisch versenden, Ansprechpartner für Journalisten benannt haben und ausgewählte Reporter ihre Truppen begleiten lassen. Derart eskortiert schneiden die Kämpfer keine Köpfe ab oder vergewaltigen und versklaven nicht-muslimische Frauen. Dafür werden die Berichterstatter Zeugen, wie die Kämpfer alte Menschen in der Quasi-Hauptstadt des Kalifats, dem nordsyrischen ar-Raqqa, pflegen. Oder die bärtigen Krieger in der 200 000-Einwohner-Stadt den Müll abtransportieren, Recht sprechen und Kinder sicher über die Straße geleiten. Reporter werden so zu Kronzeugen für eine heile Welt, die Abu Bakr al-Baghdadi über das Internet verbreiten lässt. Fast 18 Millionen mal sind alleine die durchgestylten Nachrichten Ismail Jabbars bis zum vergangenen Donnerstag angeklickt worden.

Ohne Risiko für seine Fans. Und erst recht nicht für den mordenden Gotteskrieger. Der platziert seine Nachrichten über ein Netzwerk von Tarncomputern, das seine Identität und vor allem seinen Aufenthaltsort verschleiert. Ein solches Knäuel sogenannter Proxyserver ist für Ermittler nur schwer zu entwirren. Einen Umstand, den sich auch deutsche Dschihadisten wie Denis Cuspert, Silvio Koblitz oder Mario Sciannimanica für ihre Botschaften aus den Kriegsgebieten des Mittleren Ostens zu eigen machen.

Zumal sich die IS-Anhänger in den sozialen Medien aufteilen. Von den etwa 700 Internetkonten, die Reporter unserer Zeitung regelmäßig beobachten, werden nur einige wenige tatsächlich von Syrien- und Irak-Kämpfern unterhalten. Die anderen gehören Sympathisanten, denen die Internetstrategen der IS feste Aufgaben zugeteilt haben. Sie sollen Videos im Internet hochladen, Nachrichten verbreiten, westliche Sicherheitsbehörden und Medien hacken, um sie so in ihrer Arbeit zumindest zu stören. Der IS, sagt Professor Michael Schmitt, „schlägt seine erbittertsten Schlachten nicht in der Wüste oder im Norden des Irak, sondern im weltweiten Netz“. Ein Krieg, den der Direktor des US-Marineakademie, zurzeit für entschieden hält: „Da liegen die Dschihadisten ganz klar vorn!“

Rasende Geländewagen, ballernde Maschinengewehrschützen, planschende Gotteskrieger und Katzenbabys kuschelnde Gläubige – im Internet bieten die Marketingexperten des Islamische Staates den heiligen Krieg nach dem Motto „Eben noch in Stuttgart, jetzt schon im Paradies“ an. Auch den Weg dahin verschweigen sie nicht: Im April erschien das Gesicht des 17-jährigen Hamza S. aus Kirchheim unter Teck auf einer Facebookseite: Wachsbleich. Lächelnd. Tot.