Michael Collins, 1953 geboren in Dublin, ist seit gut vier Jahren Botschafter in Deutschland. Davor war er oberster irischer Diplomat in den USA. Foto: Botschaft

Die Iren sehen sich stark von den Brexit-Verhandlungen in Brüssel betroffen. Früh versuchen sie Einfluss darauf zu nehmen, um „schlimme Konsequenzen“ speziell für den nordirischen Friedensprozess zu verhindern, wie der Botschafter Michael Collins sagt.

Berlin - Die Brexit-Verhandlungen in Brüssel scheinen festgefahren zu sein – auch weil die EU nicht nachgibt. So wächst nicht nur in London die Sorge vor den drohenden Nachteilen, sondern auch in Nachbarstaaten. Der irische Botschafter Michael Collins warnt davor, den nordirischen Friedensprozess in Frage zu stellen.

Herr Botschafter, Ihr Land könnte vom Brexit mit am stärksten betroffen sein. Wie nervös verfolgen Sie die laufenden Verhandlungen, bei denen es nun schon wieder keinerlei Fortschritt gegeben hat?
Erst einmal sind wir sehr froh, dass die irische Frage ein zentraler Bestandteil des Verhandlungsmandates ist, dass Michel Barnier von den EU-Staaten bekommen hat. Er vertritt unsere Interessen, wir stehen in engem Kontakt mit ihm und finden, dass er seine Sache sehr gut macht. Wir verfolgen die Verhandlungen vielleicht so intensiv wie niemand sonst, weil wir in einzigartiger Weise betroffen sind. Der Brexit ist für uns eine Existenzfrage – vor allem natürlich wegen der gemeinsamen Landgrenze mit dem Vereinigten Königreich. Und natürlich hoffen wir inständig, dass wir möglichst bald in die nächste Verhandlungsphase einsteigen können, in der es um die zukünftigen Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU und darum geht, schlimme Konsequenzen für Irland zu verhindern – aber leider sind wir noch nicht so weit.
Haben Sie eine Idee, wie es funktionieren kann, dass Großbritannien den EU-Binnenmarkt und die Zollunion verlässt – zugleich aber die offene Grenze zwischen der Republik Irland und Nordirland nicht zur physisch geschützten EU-Außengrenze wird?
Das ist wirklich eine sehr schwierige Frage, vielleicht die schwierigste von allen. Die gute Nachricht ist, dass sich alle Beteiligten darin einig sind, dass es keine Rückkehr zu den Grenzen der Vergangenheit in Nordirland geben darf. Obwohl wir eine Insel mit zwei Staaten sind, gibt es keine Grenze, nicht aus Sicherheitsgründen, nicht für den Handel und auch nicht für die Menschen. So mögen wir das, und so soll es bleiben. Es braucht aber noch sehr viel guten Willen und politische Arbeit, um ein Ergebnis zu erzielen, das so eng wie überhaupt möglich am heutigen Zustand ist.
Sehen Sie auch die Gefahr, dass der nordirische Friedensprozess mit dem Brexit in Gefahr geraten könnte?
Dieser Friedensprozess ist enorm wertvoll und erfüllt uns mit Stolz. Wir dürfen also absolut nichts unternehmen, dass diesen Frieden in irgendeiner Weise behindert oder gar unterläuft. Nordirland bleibt auch 19 Jahre nach dem Karfreitagsabkommen ein politisch fragiler Ort, die Gesellschaft ist nach wie vor eine gespaltene. Wir wollen also ganz sicher keine Art von Brexit, die das Erreichte gefährdet. Aktuell ist für uns deshalb besonders wichtig, dass die nordirische Regionalregierung, die seit einem Jahr nicht mehr im Amt ist, bald wieder die Arbeit aufnimmt – damit auch die Stimme der Nordiren lauter als bisher in London gehört wird.
Welche wirtschaftlichen Konsequenzen befürchten Sie?
Unsere Handelsbeziehung mit dem Vereinigten Königreich ist für uns zentral. 14 Prozent unseres Handels gehen dorthin, in manchen Sektoren, vor allem dem Agrarbereich, sind es sogar 40 Prozent. Als direkte Konsequenz aus dem Referendum ist zudem das britische Pfund weniger wert, was unsere Exporte teurer gemacht hat – es ist also schon hart, bevor der Brexit überhaupt vollzogen worden ist. Ganz generell ist für uns natürlich die Frage, wie wir in Zukunft unsere Produkte nach Europa bekommen – 80 Prozent gehen über die Landbrücke durch Großbritannien nach Europa.