Niloofar, ihre Mutter Tayebeh und Nima (von links) sind in Göppingen in Sicherheit und feiern Weihnachten nun ohne Angst. Foto: Horst Rudel

Das Christentum hat das Leben von Niloofar Mahmoudi und ihrer Familie für immer verändert. Die iranischen Konvertiten lernten Vergebung und Todesgefahr kennen.

Göppingen - Das Telefon klingelt. Als ich abnehme, höre ich eine ganz leise Mädchenstimme: „Guten Tag hier ist Mahmoudi, ist da die Stuttgarter Zeitung?“ „Ja.“ „Können Sie bitte ein Interview mit mir machen? Ich würde Ihnen gerne meine Geschichte erzählen.“

Das ist auch in einer Zeitungsredaktion kein alltäglicher Anruf. Die junge Frau erzählt noch, sie heiße mit Vornamen Niloofar, sei 19 Jahre alt und mit ihrer Mutter und dem Bruder vor drei Jahren aus dem Iran geflohen. Die ganze Geschichte würde sie gerne jemandem von der Zeitung persönlich erzählen. „Warum ist dir das so wichtig“, frage ich. „Weil die Leute mich so oft fragen, warum ich hier bin. Ich will die ganze Geschichte erzählen.“ Ein paar Tage später treffen wir uns, und Niloofar erzählt.

Tayebeh wehrte sich vergeblich gegen die Verheiratung mit einem Fremden

„Meine Mutter Tayebeh kommt aus einer ganz streng islamischen Teheraner Familie. Eigentlich schon fanatisch. Mein Großvater hat alles bestimmt. Die Religion war für ihn wichtiger als alles andere. Wer gegen die Regeln verstieß, bekam Schläge.“ Niloofar erzählt von der lieblosen Kindheit ihrer Mutter, geprägt von religiösem Fundamentalismus und strengen Vorschriften. Fast unerträglich wurde die Situation für Tayebeh, als ihr Vater beschloss, sie mit einem fremden Mann zu verheiraten.

Tayebeh bettelte und flehte, um der Ehe zu entgehen. Doch ihr Vater ließ keinen Einwand gelten. Sie hörte auf zu essen und sprach nicht mehr. Ihr Vater blieb unbeeindruckt. Auch ein Selbstmordversuch seiner Tochter brachte ihn nicht von seinem Plan ab. Die 23-Jährige wurde gegen ihren Willen mit dem fremden Mann verheiratet. Dann geschah ein kleines Wunder. Es stellte sich heraus, dass auch der fremde Ehemann aus einer fundamentalistisch-islamischen Familie stammte. Wie seine Frau lehnte er die rigiden Moralvorstellungen ab. Das junge Paar verliebte sich, bekam zwei Kinder, Niloofar und den fünf Jahre jüngeren Nima. Beide sind an einem 30. Dezember geboren worden. Die junge Frau hätte glücklich sein können. „Aber die Vergangenheit und die schlimmen Erfahrungen aus ihrer Kindheit konnte meine Mutter einfach nicht loswerden“, sagt Niloofar.

Eine neue Freundin lehrt Tayebeh Vergebung

In einem Kalligrafie-Kurs freundete sich Tayebeh mit einer anderen jungen Frau an. Endlich hatte Tayebeh eine gleichaltrige Freundin, mit der sie über ihre Erfahrungen sprechen konnte. Doch die Freundin überraschte sie. „Sie hat zu meiner Mutter gesagt, was dein Vater mit dir gemacht hat, ist falsch und gemein. Aber du musst lernen, ihm zu vergeben“, erzählt Niloofar. Ihre heute 44-jährige Mutter sitzt neben ihr, lächelt und nickt.

„Für meine Mutter war das ein seltsamer Gedanke, deshalb hat sie gefragt, wie ihre Freundin das denn meint“, sagt Niloofar. So begann das erste Gespräch, dass Tayebeh mit ihrer neuen Freundin über den christlichen Glauben und das für sie neue Konzept der Vergebung führte. Es folgten noch viele weitere Gespräche. Heute zitiert Tayebeh auf persisch Matthäus 18,21-22. Niloofar übersetzt: „Da trat Petrus zu ihm und sprach: Herr, wie oft muss ich denn meinem Bruder, der an mir sündigt, vergeben? Ist’s genug siebenmal? Jesus sprach zu ihm: Ich sage dir: Nicht siebenmal, sondern siebzigmal siebenmal.“

Ein neuer Glaube bietet Halt und Geborgenheit

Irgendwann fing Tayebeh an, die Gottesdienste in der geheimen Hauskirche zu besuchen, in der ihre Freundin und andere heimliche Christen ihren Glauben praktizierten – jeder Gottesdienst fand in einem anderen Haus statt. Denn im Iran ist das Christentum zwar nicht verboten, doch wer aus einer islamischen Familie konvertiert, dem droht die Todesstrafe. Das gilt auch für die Kinder von Konvertiten.

Tayebeh machte sich über die Gefahr keine Gedanken. Ihr Mann akzeptierte ihre Besuche in der christlichen Hauskirche, wollte aber selbst nichts mehr von Religion wissen. Ihre Kinder begannen sich ebenfalls für den neuen Glauben zu interessieren. Tayebeh fühlte sich in der neuen Religion geborgen und konnte die Verletzungen ihrer Kindheit endlich loslassen.

Die geheime Hauskirche wird verraten

Die junge Frau hatte ihren Frieden gefunden. Doch dann wurde die Hauskirche der Konvertiten verraten. Die Polizei stürmte die Wohnungen der Gläubigen, es gab Hausdurchsuchungen und Verhaftungen. Auch das Haus von Tayebeh und ihrer Familie wurde durchsucht. „Aber wir hatten Glück. Wir waren an dem Tag bei einer Hochzeit. Mein Onkel rief auf dem Handy an und warnte uns“, erzählt Niloofar.

Mutter, Vater und Kinder flüchteten von der Hochzeit und versteckten sich bei Freunden. „Wir konnten nicht mehr nach Hause. Aber wir konnten uns ja auch nicht ewig verstecken“, sagt Niloofar. Am Ende entschieden die Eltern sich vorerst zu trennen. Der Vater blieb im Iran. Ihm drohte als Muslim keine Gefahr. Die Mutter und die Kinder aber ließen sich von Schmugglern über die Grenze und dann nach Deutschland bringen und beantragten Asyl. „Wir sind froh, dass wir jetzt hier sein dürfen und eine Chance bekommen“, sagt Niloofar. Ihre Mutter und ihr Bruder nicken.

Die Familie ist jetzt in Sicherheit

Tayebeh hat sich nach der Ankunft so schnell wie möglich taufen lassen. Im Iran ist das nicht möglich. Ihre Kinder lassen sich im April taufen. In der persisch-christlichen Gemeinde in Esslingen engagieren sie sich schon längst. Außerdem besuchen sie regelmäßig eine deutsche Freikirche.

Niloofar will nach dem Abitur studieren. Sie ist erst drei Jahre hier und spricht längst gut deutsch. Ihr Bruder ebenso. Ihre Mutter versteht zwar alles, aber mit dem Sprechen tut sich die scheue Frau noch schwer. Sie hat ein Praktikum bei der Wilhelmshilfe gemacht. Wenn sie Asyl bekommt, will sie sich dort um eine Ausbildung zur Altenpflegerin bewerben.

Auf dem Rückweg zur Redaktion gehe ich über den Weihnachtsmarkt. Dort sind Deutsche, Türken, Italiener, Afrikaner – die Menschen sind in Weihnachtsstimmung. Niloofars Schlusssatz kommt mir in den Sinn. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, hat sie zum Abschied gesagt. „Aber manche Menschen lässt man in ihrer Heimat nicht am Leben – nur wegen ihrer Religion. Es wäre schön, wenn die Menschen, die in so einem schönen und freien Land wie Deutschland aufgewachsen sind, das verstehen könnten.“

Missionieren wird mit dem Tod bestraft

Iran:
Die christlichen Gemeinden des Iran gehören zu den ältesten weltweit. Heute sind nur noch etwa 0,4 bis 0,8 Prozent der Menschen dort Christen, die meisten davon Armenier und Assyrer. Es gibt etwa 600 Kirchen. Neben den historisch verwurzelten Gemeinden, die vom Staat geduldet werden, gibt es zunehmend geheime Gemeinden iranischer Konvertiten.

Lebensgefahr:
Seit der islamischen Revolution ist das Missionieren bei Todesstrafe verboten. Muslime, die zum Christentum übertreten, können hingerichtet werden. Dazu reicht schon der Besuch einer Hauskirche. Deshalb sind in den vergangenen Jahren immer wieder Konvertiten geflohen. Weil sie aufgrund ihrer Religion verfolgt werden, haben sie ein Recht auf Asyl.

Flüchtlinge
: Das Bundesamt für Migration und die Landeskirche haben keine Statistiken über die Zahl der iranischen Christen im Land. Klar ist nur, dass die Zahl dieser meist tiefgläubigen Christen gestiegen ist. Im Vergleich zu den muslimischen Flüchtlingen ist sie freilich klein. In Esslingen gibt es eine persisch-christliche Gemeinde, die auch Iraner aus dem Umland besuchen.