Seit vier Spielen für Frisch Auf am Ball: Rückraum-Allrounder Pouya Norouzinezhad. Foto: Baumann

Es lief nicht alles glatt im Handballerleben von Pouya Norouzinezhad, dem iranischen Neuzugang von Frisch Auf Göppingen. Die Annäherung an einen weltoffener Menschen, der an seiner Familie in der Heimat hängt, aber für den es nichts besseres als die Bundesliga gibt.

Göppingen - Pouya Norouzinezhad kommt pünktlich zum Treffpunkt am Göppinger Marktplatz. Wie es der Zufall so will, Weltmeister Michael „Mimi“ Kraus ist in seiner Heimatstadt gerade auch auf dem Weg ins Café Tresor, begrüßt den iranischen Neuzugang von Bundesligist Frisch Auf Göppingen herzlich und gesellt sich auf einen schnellen Espresso hinzu. Man kennt sich in der Handballszene. Bei der Verabschiedung erwähnt Kraus noch die bisweilen zähe Fahrerei von Göppingen aus ins Training zu seinem Verein SG BBM Bietigheim.

Wie weit die beiden Städte entfernt sind, will Norouzinezhad wissen. Bei der Antwort 80 Kilometer blickt er seinen Gegenüber ungläubig an und beginnt herzhaft zu lachen. „Meine Heimat ist ein bisschen weiter weg“, sagt er. Genau genommen: 4500 Kilometer.

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Der 25-Jährige ist ein Weltenbummler in Sachen Handball. Mit elf Jahren wurde er in Teheran in seiner Schule für Handball entdeckt. Mit 14 ging es in den Verein. „Von da an war es mein Traum, Profihandballer zu werden. Nikola Karabatic war mein großes Vorbild“, sagt er, obwohl Fußball, Basketball, Volleyball und diverse Kampfsportarten im Iran viel populärer sind. Mit 15 spielte er in der Jugend-Nationalmannschaft, mit 18 im A-Nationalteam. 2015 schaffte der Iran erstmals den Sprung zu einer WM – mit Norouzinezhad im Rückraum.

Erste Liga Voraussetzung für Visum

Bei diesen Titelkämpfen in Katar fiel der schnelle und dynamische Rechtshänder mit dem knallharten Schlagwurf Markus Becker auf. Der Spielerberater, der auch schon beim HV Stuttgarter Kickers beim HBW Balingen-Weilstetten Handball spielte, knüpfte die Kontakte zu deutschen Clubs. Als Einstieg sollte es 2015 zum damaligen Drittligisten HSV Hamburg gehen. Doch schnell stellte sich heraus: ein gültiges Visum gibt es nur für einen Arbeitgeber aus der Bundesliga. Also ging es später zum Bergischen HC. Nach dem Abstieg des Clubs 2017 musste er zwangsläufig weiterziehen – für ein Jahr schloss er sich dem Schweizer Champions-League-Teilnehmer Kadetten Schaffhausen an.

Eigenes Haus in Gummersbach

Doch sein Ziel blieb die Bundesliga. Der VfL Gummersbach bot dem Rückraum-Allrounder einen Dreijahresvertrag an. Das war seine große Chance. Er hatte das Leben auf gepackten Koffern satt. Er unterschrieb, kaufte im Oberbergischen sogar ein Haus, das er immer noch besitzt. Doch das sportliche Schicksal meinte es wieder nicht gut mit ihm. Am Ende seines ersten Jahres beim VfL stand der genauso überraschende wie dramatische Abstieg des Traditionsclubs. Er wäre auch in Liga zwei geblieben, doch die Visa-Regularien ließen das nicht zu.

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Weiter ging die Odyssee nach Schweden. Nach fünf Monaten bei IK Sävehof klopfte das von Verletzungen gebeutelte Frisch Auf Göppingen an. Zwei Tage vor Ende der Wechselfrist war sie plötzlich wieder da: die Chance auf die Bundesliga. Er musste nicht lange überlegen. Eine Ausstiegsklausel machte den Wechsel gegen eine festgeschriebene Ablösesumme möglich.

Im März kommt die Ehefrau

Der Einstand des Rückraum-Allrounders war passabel: In der ersten vier Spielen gab’s zwei Siege, elf Tore erzielte er dabei selbst.

Im März kommt seine Ehefrau Sepide zu Besuch, die derzeit an der Uni in Teheran ihren Bachelor-Abschluss in Architektur macht. Sie pflegen eine Liebe auf Distanz. Täglich haben sie über Videocall Kontakt. „Unser Ziel ist es, gemeinsam in Deutschland zu leben“, stellt Norouzinezhad klar. Er ist ein Familienmensch, hängt auch an seiner Mutter und seinem 19-Jährigen Bruder, der in der Heimat ebenfalls Handball spielt. Doch nun muss das Talent erst einmal für zwei Jahre zur Armee. Davon blieb der Neu-Göppinger befreit, da sich seine Eltern getrennt hatten und er die Verantwortung für Mama und jüngeren Bruder übertragen bekam.

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Seine Familie lebt in der 8,7 Millionen-Einwohner-Metropole. Kein Wunder also, dass sich der Profisportler nicht äußern möchte, über das Regime in seiner Heimat, das für immer mehr Athleten unerträglich ist. Er kennt die Geschichte von Judoka Saeid Mollaei, der bei der WM 2019 das Halbfinale nicht gewinnen durfte, da er im Finale auf einen Israeli getroffen wäre. Er weiß von der Taekwondo-Kämpferin Kimia Alizadeh, die 2016 bei Olympia Bronze holte, sich später absetzte und das „Unterdrücken, Demütigen, Ausnutzen der Frauen scharf kritisierte.

Weltoffen und voller Respekt

Pouya Norouzinezhad sagt nur so viel: „Das sind traurige Nachrichten für mich.“ Für ihn seien alle Menschen gleich. Toleranz steht für ihn über allem. „Ich habe Respekt vor jeder Religion“, sagt der weltoffene Moslem, der kein religiöser Hardliner ist. „Ich habe einen Kopf und weiß, was im Leben und für mich wichtig ist.“ Schweinefleisch isst er vor allem deshalb nicht, weil es für Profisportler geeignetere Nahrungsmittel gibt. Das gleiche gilt für Alkohol.

Bleibt die Frage, wie es nach der Saison mit dem Weltenbummler in Sachen Handball weitergeht? Der Vertrag bei Frisch Auf läuft nur bis Rundenende. „Ich lebe im Hier und Jetzt. Alles ist offen“, sagt der Handballer. Der Vorteil zu seinen vorigen Stationen: Diesmal wäre er auf einen Wechsel vorbereitet.