Bettina Weidenbach im Invitare-Laden in der Leonberger Straße. Angefangen hat das Geschäft mit Babykleidung, heute können sich auch Erwachsene einkleiden. Foto: factum/Granville

Schwanger, keine Unterstützer, kein Geld: Für Mädchen in scheinbar ausweglosen Situationen ist in Ludwigsburg vor 20 Jahren Invitare gegründet worden. Das Angebot der Stiftung ist sehr gefragt, trotzdem sieht die Zukunft nicht gerade rosig aus.

Ludwigsburg - Der erste Fall war gleich ein richtiger Katastrophenfall: Das Krankenhaus rief an. Es ging um eine junge Frau. Sie war mit heftigen Rückenschmerzen eingeliefert worden – doch wie sich herausstellte, hatte die Frau keinen Bandscheibenvorfall, sondern war schwanger. Bis zur Geburt ihres Sohnes im Krankenhaus hatte die junge Mutter komplett verdrängt, dass in ihr ein neues Leben heranwächst. Sie hatte niemanden, zu dem sie konnte. Sie hatte kein Geld, keine Babykleidung und keine Ahnung, was mit dem Winzling zu tun ist. Das Krankenhaus wickelte das Baby in ein Handtuch, und schickte die Mutter zu Bettina Weidenbach. Etwas viel Besseres hätte der jungen Frau nicht passieren können.

Bettina Weidenbach ist Spezialistin für Katastrophenfälle. Sie war selber mal einer. Deshalb hat sie Invitare gegründet. Bettina Weidenbach hätte Invitare Hoffnungsspender-Stelle nennen können oder Lebensretter-Station. Offiziell ist Invitare schlicht eine Beratungsstelle für schwangere Mädchen und Frauen. Wobei inzwischen sehr viel mehr Menschen dort Rat und Hilfe finden. An diesem Wochenende feiert Invitare 20. Geburtstag. Doch so sehr alles bei der Stiftung nach Erfolgsgeschichte klingt, so ungewiss ist, wie viele Geburtstage es noch geben wird.

Schwanger mit 14

Bettina Weidenbach ist 14, als sie das erste Mal schwanger ist und sich schrecklich allein fühlt. Der Kindsvater hat sich aus dem Staub gemacht, die Eltern sind keine Hilfe, der Rektor empfiehlt, die Schule zu verlassen, die Beratungsstelle rät zur Abtreibung. „In deinem Zustand gibt es doch nur einen Weg“, meint die Beraterin und drückt der 14-Jährigen den Schein in die Hand, mit dem sie zum Arzt hätte gehen dürfen. Bettina Weidenbach zerreißt den Zettel und verlässt das Büro.

Noch heute weiß sie genau, wie sie sich damals, als sie die Straße entlanglief, fühlte. Allein gelassen von der ganzen Welt. Kein Geld, keine Ahnung, keine Hilfe. „Das war ganz schlimm“, sagt Bettina Weidenbach, der bei den Gedanken daran noch heute, 37 Jahre später, ein Kloß im Hals wächst.

Nun, Bettina Weidenbach hat es trotzdem geschafft. Sie hat ihren Sohn zu Welt gebracht, die Schule geschafft und eine Ausbildung zur Fernemeldetechnikerin gemacht. Und sie hat, als sie 18 und im ersten Lehrjahr war, ihre Tochter geboren. Bei ihrem dritten Kind war sie 24 und noch immer alleinerziehend. Das Geld war immer knapp, die Arbeit immer viel, die Blicke der Leute häufig schräg – aber alles ging gut irgendwie. So beeindruckend gut, dass die Ludwigsburger Charlottenkrippe, die alle Weidenbach-Kinder betreute, immer wieder Mütter zu Bettina Weidenbach schickte, die ein Problem hatten. Die allzeit alles-stemmende Katastrophenmanagerin hatte viel gelernt und gab ihr Wissen gerne weiter. Das war der Beginn von Invitare.

Die Nachfrage ist riesig, das Angebot auch

Wer das Erdgeschoss in der Leonberger Straße 20 in Ludwigsburg betritt, steht in einem hervorragend sortierten Secondhandladen. Strampelanzüge gibt es dort, Plüschtiere, Babybadewannen, Bücher, Schuhe. Sogar Erwachsene können sich hier einkleiden, Männer wie Frauen. Für die allermeisten ist der Invitare-Laden schlicht ein Geschäft, in dem man sehr preiswert einkaufen kann. Für Invitare-Kenner ist er ein Symbol für die Entwicklung der Beratungsstelle. Früher bewahrte Bettina Weidenbach ausgetragene Kinderkleidung in einem Schrank auf. Wer etwas brauchte, konnte sich bedienen, wer etwas übrig hatte, schenkte es her. Im Laufe der Jahre, in denen Invitare immer bekannter wurde, gaben immer mehr Spender immer mehr Waren ab. Inzwischen gibt es eigens eine Annahmestelle in der Mörikestraße 118 – wo auch das Beratungsangebot immer größer wurde.

Der Beratung für werdende Mütter folgte die Beratung für frischgebackene Mütter. Weil sich in den Gesprächen zeigte, dass die Mütter bisweilen heftige Konflikte mit dem Partner haben, gibt es bei Invitare inzwischen auch Paarberatung, des weiteren Familienberatung und Erziehungsberatung, Außerdem gibt es Frühstückstreffs, bei denen junge Eltern ohne Familien in der Nähe soziale Anschlussmöglichkeiten finden können. Und für Senioren, die sich einsam fühlen, gibt es das Caféstüble. Pro Jahr finden rund 500 Einzelberatungen statt, die öffentlichen Veranstaltungen besuchen an die 1000 Gäste. „Der Bedarf ist groß“, sagt Bettina Weidenbach, die ihren Job als Fernemeldetechnikerin längst aufgegeben hat und hauptamtlich die Geschäfte von Invitare führt, die außer 120 ehrenamtlichen Mitarbeitern inzwischen zehn festangestellte beschäftigt.

Doch wie lange noch? „Uns geht es finanziell nicht gut“, sagt Bettina Weidenbach. Das Vermögen der Stiftung – gegeben von einer Mäzenin, die nicht genannt werden möchte – bringt kaum noch Zinsen. Die Spenden würden auch weniger, und öffentliche Zuschüsse hat Invitare bis jetzt nur einmal bekommen. In den vergangenen Jahren hat Weidenbach drei Stellen gestrichen, die Rabatte im Laden reduziert, den Stromanbieter gewechselt. Ob es hilft? „Es kann schon sein, dass die Geschichte von Invitare irgendwann rum ist“, sagt die Geschäftsführerin. Aber wer die Geschichte von Invitare kennt, hält es für mindestens ebenso wahrscheinlich, dass sie nicht so schnell auserzählt ist. Bettina Weidenbach immerhin sagt von sich, dass sie ein hoffnungsvoller Mensch ist. Sie hat gelernt, dass es immer weiter geht.

Rote Spur durch die Stadt

Die Parade
Den 20. Geburtstag feiert die Stiftung Invitare von kommendem Freitag bis Sonntag. Der Höhepunkt ist die Schuhparade, die am Samstag, 29. September, von der Charlottenkrippe, Wilhelmstraße 46, bis zur Mörikestraße 118 führt. Die Idee: Bürger, die Schuhe spenden möchten, können diese zwischen 11 und 13 Uhr entlang einer ausgelegten roten Schnur aufstellen. Für die rund zwei Kilometer lange Strecke sind 4000 Paar nötig. Am Ziel gibt es alles, was zu einer Party gehört.