Bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus in Berlin mobilisierte die AfD viele Nichtwähler. Foto: dpa

Bei den Wahlen in Berlin bekam die rechtspopulistische AfD auch viele Stimmen von Nichtwählern. Sie gebe vor allem vielen Unzufriedenen eine Stimme, erklärt der Parteienforscher Carsten Koschmieder.

Berlin -

Herr Koschmieder, bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus in Berlin erhielt die AfD die Stimmen von 69 000 Nichtwählern. Ist die gestiegene Wahlbeteiligung tatsächlich ihr Verdienst?
Es gibt natürlich die Nichtwähler, die unzufrieden sind mit ihrer früheren Partei, mit allen Parteien oder mit dem ganzen System. Zum Beispiel mit der Flüchtlingspolitik der CDU oder mit dem Modernisierungskurs dieser Partei generell. Die AfD mit ihrem Versprechen, anders zu sein, gibt diesen Menschen das Gefühl, wieder eine Stimme zu haben – und sei es, um Protest auszudrücken.
Sind es nicht auch politische Inhalte, die die Menschen an die Wahlurnen bringen?
Auf einmal gibt es mit der Flüchtlingsthematik wieder ein sehr kontroverses Thema, eines, das die Gesellschaft spaltet. Die Politisierung hat also zugenommen – ebenfalls ein Grund, warum mehr Menschen wählen gehen. Auch die Gegner der Rechtspopulisten können so besser mobilisieren. Wir sehen aber, dass die Nichtwähler deutlich häufiger zur AfD gehen als zu anderen Parteien.
Die Partei bezeichnet sich als „größtes demokratisches Projekt“. Zu Recht?
Man kann natürlich sagen, dass es gut für die Demokratie ist, wenn Menschen wählen gehen. Der Demokratie ist allerdings nicht geholfen, wenn ich eine Partei wähle, die der Demokratie nichts Gutes will. Die AfD lehnt in ihrer Rhetorik Grundwerte der liberalen Demokratie ab.
Sie erachten die AfD also als undemokratisch?
Die AfD behauptet von sich, Politik für das „deutsche Volk“ zu machen. Nun sind die Menschen hier aber keine homogene Masse. Demokratie heißt, dass es unterschiedliche Meinungen gibt. Das stellt die AfD aber infrage, indem sie jene, die ein anderes Interesse vertreten als das ihre, als „Volksverräter“ bezeichnet. Kanzlerin Merkel zum Beispiel. Das ist genau das Gegenteil von Demokratie.
Nun gibt es immer wieder auch Politiker, die es ablehnen, mit der AfD zusammenzuarbeiten.
Ich kann verstehen, dass die Politiker es ablehnen, mit einer Partei zusammenzuarbeiten, die sie als Volksverräter bezeichnet. Zumindest auf Stadtrats-Ebene muss die Politik in Berlin aber mit der AfD sprechen - das ist auch ein Teil der Demokratie.
Warum schaffen die anderen Parteien es nicht mehr, Menschen zu mobilisieren?
Sie könnten sicherlich stärker mobilisieren, wenn es einen Lagerwahlkampf gäbe. Gerade bei den Wahlen 2009 wirkte die große Koalition sehr einschläfernd. Was sie nun aber nicht tun dürfen, ist, die AfD-Themen nachzuplappern. Wenn man bedenkt, dass die Unzufriedenheit der Leute oft auch in lokalen Problemen begründet liegt, dann sollten die Parteien diese Themen anpacken, ohne das auf die Flüchtlinge zu schieben – also beispielsweise das Thema Wohnungsbau.
Ist das neue Interesse für Politik – oder jedenfalls für Wahlen – in Ihren Augen nachhaltig?
Das glaube ich nicht. Es ist klar, dass die AfD das, was sie verspricht, nicht umsetzen kann – selbst wenn sie in der Regierung wäre –, weil es unrealistische oder verfassungswidrige Vorschläge sind. Sie kann also nicht halten, was sie verspricht, und das wird die Menschen am Ende enttäuschen. Die Rhetorik der AfD – zu sagen, die anderen Parteien machen alles schlecht und wir machen es besser – wird der Partei am Ende zum Verhängnis werden.