Der Ex-Präsident der EU-Handelskammer in Peking, Jörg Wuttke, erkennt keine systematische Öffnung des chinesischen Marktes. Foto: StZ

Die deutschen Unternehmen in China müssen mehr Hausaufgaben machen, sagt Jörg Wuttke, Ex-Präsident der EU-Handelskammer in Peking.

Herr Wuttke, die chinesische Wirtschaft ist so schwach gewachsen wie seit fast 30 Jahren nicht mehr. Muss man sich in Deutschland Sorgen machen?

China hat es geschafft, alle Gesetze der Wirtschaft außer Kraft zu setzen und hat seit 30 Jahren ein sehr starkes Wachstum hingelegt, ganz ohne Zyklus. Nun wird China normal wie andere Volkswirtschaften.

Die deutsche Wirtschaft hat in den vergangenen Jahren sehr auf China gesetzt . . .

Das wird auch so bleiben. Selbst wenn das Wachstum nur noch zwei bis drei Prozent betrüge, darf man nicht vergessen: es handelt sich um eine 10-Trillionen-US-Dollar Volkswirtschaft. China bleibt der Zukunftsmarkt, es gibt auch keinen anderen. Man muss nur mit der Delle leben.

Sind die deutschen Unternehmen darauf vorbereitet?

Im Automobilsektor sind die deutschen Firmen ganz gut aufgestellt. Vor allem wenn man sie mit chinesischen, koreanischen oder französischen Unternehmen vergleicht. Es wird schwieriger, aber man muss am Ball bleiben.

Es gibt keinen Grund, die Strategie zu überdenken?

Die Unternehmen müssen mehr Hausaufgaben machen als bisher. Das gilt für Lagerhaltung wie für Personal. Und man muss zwei wichtige Punkte im Auge behalten. Da ist zum einen die Überalterung der chinesischen Gesellschaft. In 30 Jahren wird es 200 Millionen Menschen weniger geben, die arbeiten. Zum anderen nimmt die Verschuldung zu. Nicht nur beim Staat, auch bei den Privathaushalten.

BMW, Allianz oder BASF dürfen sich nun von ihren chinesischen Partnern emanzipieren und zum Teil bis zu 100 Prozent Anteile an Unternehmen vor Ort haben. Hat Peking seine Strategie geändert?

Das ist die berühmte eine Schwalbe, aber man weiß nicht, ob der Sommer danach kommt. Wir sehen neue Ansätze, die noch vor einem Jahr undenkbar waren. Aber das sind Einzelfälle, eine systematische Öffnung des Marktes erkennt man nicht. Zu beobachten ist jedoch, dass chinesische Staatsunternehmen mächtiger sind als je zu vor. Chinesische Privatunternehmen haben es schwerer denn je.

Vergangene Woche hat der Bundesfinanzminister Olaf Scholz eine Öffnung im Finanzsektor erwirkt. Auch ein Einzelfall?

Es war gut, einfach nachzufragen. Wir sind alle frustriert von einem Jahrzehnt voller Rhetorik aber ohne Öffnung des Marktes. Im Chinesischen sagt man: ‚Viel Donner, aber kein Regen’. Viele Kollegen haben daher aufgegeben, überhaupt nachzufragen. Das ist ein Fehler. Wir sehen eine neue Entwicklung, wir wissen nur noch nicht, wo sie hinführt.

Öffnet sich China nur dort, wo es nicht weh tut – und hält die Schotten an anderer Stelle dicht?

Bisher war das so. Der Markt wurde da geöffnet, wo man Ausländer nicht braucht. Zum Beispiel bei den Raffinerien. Die waren vor 20 Jahren super interessant für Investoren. Vor ein paar Jahren hat man diesen Markt geöffnet. Allerdings hat sich herausgestellt, dass es enorme Überkapazitäten gibt. Zudem gibt es nur zwei staatliche Tankstellenketten als Abnehmer. Das ist nicht interessant.

Ist diese Denkstruktur in Peking noch vorhanden?

Ja. Nach 30 Jahren Erfolg ist es schwer, das System zu reformieren. Es gibt mit Liu He im Augenblick einen extrem guten Vizepremier. Der versucht Reformen und mahnt, dass keine Schulden mehr gemacht werden. Aber das System ist durch seine bisherigen Erfolgen sehr träge geworden.

Ist Ihr Ausblick positiv oder eher nicht?

Nach meinen Erfahrungen aus den 1990er Jahren habe ich Hoffnung. Die Chinesen haben bewiesen, dass sie sich öffnen und Reformen umsetzen, wenn ihnen das Wasser bis zur Halskrause steht. Wenn es eng wird, dann wird die Ideologie weniger gewichtet, und Technokraten schieben Politiker beiseite.

Stuttgart - Chinas Wirtschaft schwächelt. „Doch selbst wenn das Wachstum nur noch zwei bis drei Prozent betrüge, darf man nicht vergessen: es handelt sich um eine 10-Trillionen-US-Dollar Volkswirtschaft“, betont Jörg Wuttke, der jahrelang Chef der Europäischen Handelskammer in Peking war. „China bleibt der Zukunftsmarkt, es gibt auch keinen anderen“, sagt er. „Man muss nur mit der Delle leben.“