Volles Haus auf der Königstraße – aus Sicht der Händler ein viel zu seltenes Bild. Foto: Lg/Willikonsky

„Bald wird sich niemand mehr die Mühe machen, wegen Gegenständen, die man ebenso gut im Netz bestellen kann, in die Stadt zu fahren“, sagt Handelsexperte Sven Köhler im Interview mit unserer Zeitung. Das Bild der Innenstadt wird sich dadurch extrem verändern.

Stuttgart - Ein Handelsexperte wagt einen Blick in die Zukunft des Einkaufens.

Herr Köhler, wie verändert das Internet unser Einkaufen und damit den Handel?

Viele traditionelle Geschäftsmodelle sind im Grunde nicht mehr überlebensfähig. Denn ich gehe davon aus, dass in naher Zukunft niemand mehr mit dem stationären Verkauf von standardisierter Massenware Geld verdienen wird.

Was meinen Sie mit standardisierter Ware?

T-Shirts, Sneakers, Haushaltswaren, Gartengeräte und nahezu alle Elektrogeräte. Bald wird sich niemand mehr die Mühe machen, wegen Gegenständen, die man ebenso gut im Netz bestellen kann, in die Stadt zu fahren und die Einkäufe dann auch noch durch die halbe City zu schleppen.

Bedeutet das, dass die Verkäufer im stationären Handel überflüssig werden?

Die Ressource Mensch ist extrem kostbar und für Tätigkeiten wie Lager einräumen oder kassieren im Grunde viel zu schade. Das können Maschinen viel effizienter bewerkstelligen. Wenn ein Roboter heute schon alte Menschen pflegen kann, dann kann er auch beim Einkaufen helfen.

Was können Menschen denn besser als Maschinen?

Der Verkäufer ist für emotionale Kontakte mit dem Kunden einzusetzen, denn hier haben Computer bislang noch wenig entgegen zu setzen. Es braucht bei preislich gehobenen Produkten Mitarbeiter, die in Sachen Verkaufspsychologie perfekt geschult sind und Kunden begeistern können. Alles andere kann die digitale Welt und der E-Commerce besser.

Verkäufer wird nur noch bei Luxusartikeln gebraucht

Aber der Verkäufer kennt seine Kunden doch besser als eine Maschine.

Eine moderne Software kennt die Kunden wesentlich besser als jeder Verkäufer, denn jeder Besuch einer Internetseite hinterlässt eine Fülle an Daten. Bei den erfolgreichen Internethändlern arbeiten Hunderte Computerexperten, die Programme auf Basis dieser Daten entwickeln, damit jedem Kunden individuelle Angebote gemacht werden können. Am Ende bedeutet das, dass Menschen allein noch im Handel von Premiumprodukten eine Rolle spielen werden, nicht im Verkauf von gewöhnlichen Alltagsartikeln.

Doch Einkaufsstraßen wie die Stuttgarter Königstraße sind voll von Geschäften, in denen alltägliche Produkte verkauft werden. Was wird mit diesen Ladenflächen geschehen?

Viele dieser Ladengeschäfte werden vermutlich nicht mehr benötigt und es wird sie auch nicht mehr lange geben. Mit Blick auf Stuttgart kommt hinzu, dass die Innenstadt die größte Fläche für Textilien im Handel unter allen deutschen Großstädten hat.

Das bedeutet, der Umbruch der Innenstadt wird in Stuttgart noch dramatischer ausfallen als anderswo. Was kann aus all der Ladenfläche werden, wenn dort keine T-Shirts oder Röcke mehr verkauft werden?

Da gibt es viele Möglichkeiten. An mancher Stelle ließe sich neuer Wohnraum schaffen, es könnten neue Arbeitsplätze und Büros entstehen, große Verkaufsflächen können in kleine Läden aufgeteilt werden. Zudem können Show-Rooms entstehen, also Schaufenster etwa für Autohersteller, Markenhersteller oder Internethändler, die einen ausgewählten Teil ihrer Ware in der Realität präsentieren wollen.

Tennisplätze in der Innenstadt

Wie geht man in anderen Ländern mit diesem Thema um?

In den USA oder in Asien, wo die Digitalisierung schneller abläuft als in Deutschland, werden ehemalige Ladenflächen schon heute kreativ genutzt, etwa mit Freizeit- oder Wellnessangeboten in zentraler Lage. Dort sind auch Fitnessstudios und Sporteinrichtungen wie Laufstrecken oder Tennisplätze in Innenstädten entstanden. Die Städte werden sich von einem Ort der Warenbeschaffung zu einem Ort wandeln, der mehr Aufenthaltsqualität bietet und Menschen gerne ihre Freizeit verbringen.

Das bedeutet, der Satz ,Der Kofferraum ist die größte Einkaufstüte‘ stimmt nicht mehr?

Nein, der Warenkorb von Amazon und der Transporter von UPS, Fed-EX oder DHL sind die größten Einkaufstüten.

Welche Lehren müssten gezogen werden?

Bei der Stadtplanung müssen diese Entwicklungen und Veränderungen berücksichtigt werden. Konkret bedeutet das: die Innenstädte der großen Metropolen werden in naher Zukunft vermutlich autofrei sein. Denn die Waren, für die man beim Einkaufen ein Auto braucht, werden bald ohnehin nur noch online bestellt und dann verschickt. Der Vorteil ist, dass weniger Autos in der Stadt die Option bieten, mehr Lebensqualität zu schaffen und wir nicht mehr hunderte Kilometer zur Erholung in die Berge oder ans Meer fahren müssen. Das ist wenig sinnvoll. Eine Stadt muss seinen Bürger die Möglichkeit bieten können, sich vor Ort entspannen und ausruhen zu können. Somit bietet der Wandel, der durch den Boom des Onlinehandels ausgelöst wird, eine enorme Chance für die Stadtentwicklung.

Reden Sie mit! Diskussionsrunde zum Einkaufen

Thema Der Boom im Onlinehandel, der Bau von Shopping-Centern, der Rückbau von Parkplätzen und drohende Fahrverbote sowie die Sorge um die Zukunft der Innenstädte – Einkaufen verändert sich schneller als je zuvor. Darüber wollen wir mit Händlern, Experten und Ihnen sprechen.

Veranstaltung Die Diskussionsrunde „StN-Mittendrin – Der Handel im Wandel“ findet am Mittwoch, 7. November, im Haus der katholischen Kirche, Königstraße 7, statt. Der Einlass beginnt um 18.30 Uhr, die Diskussionsrunde fängt um 19 Uhr an.

Eintritt und Anmeldung Die Teilnahme an der Veranstaltung. Wir bitten unsere Leser allerdings darum, sich unter folgendem Link anzumelden: www.stn.de/mittendrin

Experten Die Podiumsgäste des Abends sind: Christoph Achenbach, der Geschäftsführer von Lederwaren Acker am Schlossplatz und Vorstandsmitglied der Cityinitiative Stuttgart, Sabine Hagmann, die Hauptgeschäftsführerin Handelsverband Baden-Württemberg, Mattias Mußler, Global Retail Director bei Europas erfolgreichstem Onlinehändler Notino und Firmenchef des Stuttgarter Traditionsunternehmens Mußler Beauty und Sven Köhler, Professor an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg. (hah)