Jürgen Trittin dringt auf mehr Ruhe vor Beginn der Sondierungen. Foto: dpa

Der Grüne Jürgen Trittin hält die CSU für traumatisiert und rechnet mit langwierigem Klärungsbedarf bei der Union. Zudem sieht er dort Kräfte am Werk, die ein Jamaika-Bündnis scheitern lassen wollen.

Berlin - Vor der Jamaika-Sondierung preist Jürgen Trittin den Segen von Kompromissen in der Politik. Für die Grünen gibt er dabei keinen Boden preis.

Herr Trittin, die Gespräche über eine Jamaika-Koalition haben noch nicht begonnen, schon heißt es Grüne und FDP hätten bereits Ministerien besetzt. Ist das Fell des Bären schon verteilt?
Die in den Berichten Genannten dementieren das deutlich. Im Übrigen rate ich dazu, Ruhe zu bewahren. Die Probleme sind schon groß genug. Wir haben es mit einer traumatisierten CSU und einer CDU mit historischen Verlusten zu tun. Die wollen sich nun erst einmal selbst finden. Da nützt es nichts, Verhandlungen zu simulieren
Gibt es schon einen neuen Termin für den verschobenen Grünen-Parteitag?
Unser Parteitag kann erst stattfinden, wenn die Sondierungen stattgefunden haben. Ob es sie gibt, beraten CDU und CSU erst in den nächsten Wochen. Wir wissen nicht, mit wem wir verhandeln werden: Ist es Horst Seehofer oder Markus Söder? Da sieht es aus wie bei Hempels unterm Sofa.
Gehen wir für den Augenblick trotzdem davon aus, dass die Union die Verhältnisse soweit klären kann, dass es zu Gesprächen über Jamaika kommt…
… was noch lange dauern kann. Wir sind damit konfrontiert, dass die CSU erwägt, ihren Parteichef im November vielleicht abzuwählen. Das Wahlergebnis ist eine Zäsur. Frau Merkel ist in den Augen der Union künftig Kanzlerin mit kw-Vermerk - künftig wegfallend. Es gibt keine Klarheit, zu welchem Ergebnis die Verarbeitung einer solchen Niederlage in der Union kommt. Ich spekuliere da nicht rum.
Sie glauben, dass es gar nicht zu Sondierungsgesprächen kommt?
Ich gehe davon aus, dass es sie geben wird. Ich bin aber sehr im Zweifel, ob die Beteiligten auf allen Seiten sie mit der gleichen Haltung führen werden. Es gibt Kräfte, die Jamaika scheitern lassen wollen, um zur großen Koalition zurückzukehren. Die strategische Entscheidung über den Kurs der Union ist noch nicht gefallen. Wahrscheinlich geschieht das erst nach dem CSU-Parteitag im November.
Der bisherige SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann hat jetzt wieder eine große Koalition ohne Merkel ins Gespräch gebracht. Wie bewerten Sie das?
Neben der eigenen Trauerarbeit will Thomas Oppermann so Zwietracht in der Union säen. Er ermuntert diejenigen, die den Weg in die große Koalition zurückfinden wollen und Frau Merkel das Neun-Prozent-Minus bei der Wahl vorwerfen.
Merkel und Seehofer sind geschwächt, das macht es noch schwerer für Jamaika.
Meine Regierungserfahrung in Koalitionen sagt mir, dass es mit einem geschwächten Partner viel schwieriger ist, zu Vereinbarungen zu kommen, als mit einem starken.
Wo liegen die größten Schwierigkeiten?
Weil wir erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg eine Rechtsaußen-Partei mit völkischen Nationalisten und offenen Rassisten im Bundestag haben, darf es darauf nur eine Antwort geben: Eine Regierung, die sich den Themen Klima und Gerechtigkeit in einem weltoffenen Deutschland und einem starken Europa verpflichtet.
Oh, die Grünen müssen allein regieren?
Nein, dazu muss die CDU ökologischer, die FDP sozialer und die CSU liberaler werden. Das ist aber bei CDU und CSU umstritten. Sie überlegen, nach rechts zu rücken. Das wäre aber die Potenzierung des Fehlers von Horst Seehofer, der mit seinem Reden von der Herrschaft des Unrechts in der Flüchtlingskrise die AfD erst stark gemacht hat.
Was müssen die Grünen ändern?
Nachdem die SPD sich als Schutzmacht der kleinen Leute verabschiedet hat, müssten wir die soziale Verantwortung übernehmen und ein Stück linker werden.