Fahrverbote hält VDA-Präsident Matthias Wissmann für unsozial und sollten vermieden werden. Ende des Monats scheidet er beim VDA aus. Foto: dpa

Matthias Wissmann, Präsident des Verbands der Automobilindustrie (VDA), hört nach elf Jahren auf. Er hat für die Automobilindustrie die Abwrackprämie herausgeholt und Quoten aus Brüssel abgewehrt. Im Interview erzählt er, dass er auf manche Turbulenzen in den vergangenen zwei Jahren gern verzichtet hätte.

Berlin - Matthias Wissmann, scheidender Präsident des Verbands der Automobilindustrie (VDA), sieht mit Sorge, dass die Automobilindustrie an Unterstützung verloren hat.

Herr Wissmann, das Image der Automobilindustrie hat enorme Kratzer bekommen: Betrugssoftware, Fahrverbote, Tier- und Menschenversuche, bei denen Probanden Abgasen ausgesetzt wurden. Hat die Industrie das Maß verloren – wie seinerzeit die Finanzindustrie vor 2008?
Nicht die Industrie insgesamt hat einen Mangel an Urteilskraft bewiesen, sondern einige Unternehmen. Pauschalurteile sind nicht gerechtfertigt. Die Software-Manipulationen müssen nicht die mehr als 600 Hersteller und Zulieferer verantworten, die der VDA vertritt, sondern einige wenige. Klar ist, dass das Fehlverhalten weniger das Ansehen aller beschädigt. Deshalb ist es das gemeinsame Anliegen von Wolfsburg bis Stuttgart, dass alles darangesetzt wird, nötige Konsequenzen zu ziehen. In allen unseren Mitgliedsunternehmen herrscht der Geist der Null-Fehler-Toleranz.
Der Vertrauensschaden ist riesig. Lässt sich das überhaupt so schnell reparieren?
Jeder von uns leidet an den schweren Fehlern, die an einigen Stellen passiert sind. Jedes Unternehmen weiß, dass Regeltreue schon im Produktentstehungsprozess selbstverständlich sein muss. Mein Eindruck ist: Heute wird in jedem Betrieb ein Stein drei Mal umgedreht, um Fehler zu vermeiden.
Spüren Sie, dass in der Politik die Vorbehalte gegenüber der Industrie generell größer geworden sind?
Ja, zum Teil ist das so. Die letzten zweieinhalb Jahre haben alle Gegner des Automobils auf den Plan gerufen. Die Kritiker der Automobilindustrie finden in der Öffentlichkeit breite Resonanz. Dem halte ich entgegen: Die mehr als 800 000 Stammbeschäftigten in unserer Industrie sind zum allergrößten Teil hervorragende Leute, die sich nichts zuschulden kommen ließen. Unsere Marken genießen in der Welt einen hervorragenden Ruf. Außer dem deutschen Fußball gibt es nichts, wofür wir in Asien, Nord- und Südamerika und anderen Regionen so bewundert werden wie für unsere Autos.
Es drohen Fahrverbote. Das Bundesverwaltungsgericht macht sich eine Entscheidung aber nicht leicht. Wachsen die Bedenken gegen Fahrverbote?
Fahrverbote sind unsozial und sollten vermieden werden. Sie könnten Millionen Autofahrer treffen, die sich die Anschaffung eines neuen Dieselmodells nicht leisten können. Zudem wären viele Gewerbetreibende betroffen. Viele Unternehmer haben nicht den finanziellen Spielraum, von heute auf morgen ihren Fuhrpark zu erneuern. Die Frage dieser Verhältnismäßigkeit stellen auch die Richter in Leipzig. Es sollten Lösungen gefunden werden, die nicht zu Lasten der Autofahrer gehen, die sozial vertretbar sind und Planbarkeit sicherstellen.
Die Politik hat als Maßnahme zum Krisenmanagement die Dieselgipfel mit der Industrie einberufen. Hat sich das aus Ihrer Sicht bewährt?
Ob bei den vielen Gipfeln in Berlin jede Veranstaltung der Stein der Weisen ist, sei dahingestellt. Aber der Dieselgipfel im August hat klare Entscheidungen gebracht: Die deutschen Hersteller rüsten rund 5,3 Millionen Dieselfahrzeuge mit einem Software-Update aus. Der Mobilitätsfonds für die Städte, an denen sich die deutsche Industrie beteiligt, kommt. Es sind weitere Maßnahmen zur Verflüssigung und Digitalisierung des Verkehrs geplant. Insofern hat der Gipfel schon etwas gebracht.
Die Bundesregierung hat angekündigt, dass es weitere Dieselgipfel mit der Industrie geben soll. Was soll dabei herauskommen?
Damit rechne ich, wenn die neue Regierung steht. Dabei wird es wahrscheinlich um eine Fortschreibung der getroffenen Entscheidungen gehen. Die Politik steht unter doppeltem Druck: Einerseits muss sie auf die Vertragsverletzungsverfahren aus Brüssel reagieren, die ja nicht nur gegen Deutschland wegen der Überschreitung der Stickoxidwerte eingeleitet worden sind. Außerdem gibt es die Gerichtsverfahren in Deutschland. Mit der Beteiligung am Fonds, den Software-Updates und Umstiegsprämien sowie mit Projekten in besonders betroffenen Städten unterstützt die Automobilindustrie die Anstrengungen der Politik zur Verringerung der Stickoxidbelastung. Auch wenn manchmal ein anderer Eindruck vorherrscht. Insgesamt wird die Luft in den Städten nachweislich immer besser.
In der Industrie gibt es auch Unzufriedenheit mit den Gipfeln. So werden allein die deutschen Autohersteller 250 Millionen Euro in den Mobilitätsfonds einzahlen. Ist es in Ordnung, dass sich die ausländischen Dieselimporteure, die ja ebenfalls zur Luftverschmutzung beitragen, aus der Verantwortung stehlen?
Aus meiner Sicht wäre es angebracht, dass sich auch die ausländischen Marken beteiligen. Momentan bin ich da aber nicht optimistisch. Deshalb haben BMW, Daimler und der VW-Konzern entschieden, den Industrieanteil am Fonds von 250 Millionen Euro allein zu schultern. Mit den Mitteln werden Umweltmaßnahmen in den Städten finanziert. Damit übernehmen die deutschen Hersteller zusätzliche Verantwortung. Wenn jeder bremst, führt das nicht weiter. Wenn man die Statistiken zu den Fahrzeugen mit den niedrigsten Stickoxidwerten sieht, sind stets deutsche Autobauer auf Spitzenplätzen. Bei den schlechtesten sind kaum deutschen Marken darunter.
Erwarten Sie, dass sich weitere Hersteller am Mobilitätsfonds beteiligen?
Ein Engagement der Importeure wäre wünschenswert. Hier sollte die Politik in ihren Anstrengungen nicht nachlassen.
Wenn es zur großen Koalition kommt, wird das für die Arbeitgeber vor allem wegen der sozialpolitischen Pläne von Union und SPD teuer. Ist das ein Handicap für die Zeiten, in denen die Konjunktur nicht mehr so gut läuft?
Meine Sorge ist, dass in einer großen Koalition immer die Tendenz zum Verteilen vorherrscht. Um bessere Rahmenbedingungen für die Wirtschaft geht es dann nur in zweiter Linie. Es kommt nun darauf an, dass der künftige CDU-Wirtschaftsminister marktwirtschaftlichen Ordnungssinn besitzt und industriepolitische Dynamik entfacht. Was die Verkehrspolitik betrifft hat die große Koalition oftmals vernünftige Weichen gestellt.
Die Autoindustrie ist in der Vergangenheit mit großen Koalitionen gut gefahren: Ziehen Sie dieses Bündnis einer Beteiligung der Grünen vor?
Wir haben auch einen guten Gesprächsfaden zu den Grünen. Richtig ist, dass die großen Koalition seit 2005 in der Industriepolitik vernünftige Entscheidungen getroffen. Das gilt zum Beispiel für die Reaktion auf die Weltfinanzkrise oder bei für den Standort Deutschland strategisch wichtigen Fragen wie der Entwicklung der Plattform Elektromobilität. Unter demokratischen Aspekten sehe ich dauerhafte große Koalitionen problematisch. Denn dadurch werden die Flügel gestärkt.
In Kürze findet der Technische Kongress des VDA in Berlin statt. Dort geht es auch um die E-Mobilität. Die Zukunft gehört der Elektromobilität – sagt die Industrie. Trotz Rekordinvestitionen in die neue Antriebstechnik verkaufen sich E-Autos schlecht. Bisher wurden nur zehn Prozent als Kaufprämie aus dem staatlichen Fördertopf abgerufen. Was soll nun passieren?
Die Nachfrage nach Elektromobilen und damit auch das Interesse am Umweltbonus steigen spürbar. Im Jahr 2017 haben sich die Neuzulassungen von E-Fahrzeugen in Deutschland mehr als verdoppelt Wir gehen daher für 2018 und 2019 von einer Produktionsbeschleunigung aus. Nach 2019 werden die deutschen Hersteller mehr als 100 E-Modelle auf dem Markt haben, etwa dreimal so viel wie heute. Die deutsche Automobilindustrie ist Treiber der Elektromobilität in Europa.
Sie sind seit elf Jahren VDA-Präsident. In Ihre Amtszeit fiel die Einführung der erweiterten Kurzarbeitsregelung in der Finanzkrise, die Abwrackprämie, die Kaufprämie für E-Autos und schwierige Verhandlungen mit der EU über Klimaziele. Was hätten Sie noch gern angepackt?
Ich sage es umgekehrt: Ich hätte auf manche Turbulenzen in den vergangenen zwei Jahren gern verzichtet. Aber Freude macht mir, dass die deutsche Automobilindustrie heute viel besser für die Zukunft aufgestellt ist als zu Beginn meiner Amtszeit. Das belegen zwei Zahlen: Die deutschen Hersteller besitzen 52 Prozent aller weltweiten Patente zum automatisierten Fahren. Auf uns entfallen 35 Prozent aller Patente zur Elektromobilität.
Ein Wermutstropfen bleibt: Sie gehen in stürmischen Zeiten von Bord.
Ich habe bei der letzten Vertragsverlängerung vor zwei Jahren gewusst, dass ich stürmischen Zeiten entgegen gehe. Aber insgesamt blicke ich dankbar auf elf spannende Jahre zurück, in denen ich diese hochinnovative Industrie vertreten durfte. Jetzt wünsche ich unseren Unternehmen, dass auch wieder ruhigere Zeiten anbrechen, damit sie sich voll und ganz auf ihre Zukunftsaufgaben konzentrieren können.
Sie werden bald 69 Jahre alt. Was haben Sie jetzt vor?
Ich habe mir in der Politik und der Verbandstätigkeit meine Unabhängigkeit bewahrt, indem ich meine Niederlassung als Anwalt nicht nur formal behalten habe. Ich werde mich jetzt wieder stärker auf meine Partnerschaft in einer großen internationalen Anwaltskanzlei konzentrieren. Im Übrigen bin ich froh, wenn ich von Tempo 200 auf 120 zurückgehen kann.