Der spanische Meisterregisseur Pedro Almodóvar Foto: AFP

Früher war Party ohne Ende, heute geht es im Leben des spanischen Filmregisseurs Pedro Almodóvar ruhiger zu – sagt er. Endlich kommt sein neuer Film in die deutschen Kinos: „Leid und Herrlichkeit“. Und die Kritik ist sich weitgehend einig: ein neues Almodóvar-Meisterwerk!

Stuttgart - Kurz vor seinem 70. Geburtstag kommt Pedro Almodóvars neuer Film „Leid und Herrlichkeit“ („Dolor y gloria“) in die deutschen Kinos. Die Laune des Regisseurs, der seit bald 40 Jahren Filme dreht und für „Alles über meine Mutter“ sowie „Sprich mit ihr“ Oscars gewann, ist beim Interview blendend; die Presse ist von seiner jüngsten Arbeit begeistert. Wie so oft bei Almodóvar sind die Grenzen zwischen Leben und Film, Realität und Kunst fließend.

Señor Almodóvar, in Ihrem neuen Film geht es um einen nicht mehr ganz jungen, schwulen Regisseur, der auf sein Leben und Werk zurückblickt. Da liegt der Verdacht nahe, dass es sich hier um eine sehr autobiografische Geschichte handelt.

Natürlich hat der Film seinen Anfang damit genommen, dass ich über mich selbst nachgedacht und geschrieben habe. Aber der Protagonist ist kein exaktes Abbild von mir, sondern Fiktion. Fiktion, die von mir geschaffen und durch mich geprägt ist. Sobald Fiktion in eine Geschichte Einzug erhält, wird sie zur treibenden Kraft. Dann muss man sich von ihr leiten lassen und ihr treu bleiben, nicht der Realität. All die Wege, die dieser von Antonio Banderas gespielte Filmemacher einschlägt, bin ich auch irgendwie gegangen. Doch eben nicht zwingend in die gleiche Richtung.

Aber es gibt Szenen, die direkt Ihren eigenen Erfahrungen entsprechen?

Vielleicht 20 Prozent des Films, würde ich sagen. Natürlich werde ich ihnen nicht verraten, welche das sind.

Ist es Ihnen schwergefallen, eine derart persönliche Geschichte zu schreiben?

Im Gegenteil, ich war selten so schnell mit einem Drehbuch fertig wie in diesem Fall. Nur für „Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs“ habe ich wohl noch weniger Zeit gebraucht. Wobei sich das letztlich schwer berechnen lässt, denn nicht alle Ideen, die schließlich eingeflossen sind, habe ich am Stück aufgeschrieben.

Mit welcher Idee nahm „Leid und Herrlichkeit“ denn seinen Anfang?

Zunächst schrieb ich über meine Rückenschmerzen. Allerdings schlummerten auf meinem Computer allerlei Szenen und Geschichten, die ich nie verwendet hatte. Zum Beispiel die, in der ein Regisseur Jahre später seinen einstigen Hauptdarsteller konfrontiert. Oder auch der Text mit dem Titel „Erste Begierde“ über einen Jungen, der einen erwachsenen Mann begehrt; den hatte ich schon vor zwanzig Jahren geschrieben. Keine dieser Ideen hatte ich in der Vergangenheit in meine Filme einbauen können. Doch in der Geschichte des Filmemachers mit den Rückenschmerzen kamen sie jetzt plötzlich mit großer Selbstverständlichkeit und vor allem sehr schnell zusammen.

Mit Antonio Banderas arbeiten Sie seit Beginn Ihrer Karriere. Wäre ein anderer Darsteller überhaupt infrage gekommen?

Nein, ich hatte immer nur Antonio im Kopf. Und mir war es wichtig, dass wir uns vorher zusammensetzen und in Ruhe darüber sprechen, was ich im Sinn hatte. Denn was ich erwartete, war anders als alles, was wir früher zusammen gedreht hatten. Aber allein durch die Drehbuchlektüre schien er schon genau zu wissen, worauf es ankam. So wie in „Leid und Herrlichkeit“ hat man Antonio noch nie gesehen. Und gerade weil er mich mit vielem sehr überrascht hat, war diese Regie die vielleicht einfachste meines Lebens.

Die Rolle der Mutter spielt – in den Rückblenden – Penélope Cruz, eine weitere langjährige Wegbegleiterin.

Penélope in dieser Rolle zu sehen hat mich enorm bewegt. Nicht nur, weil sie natürlich meine eigene Mutter gut kannte, sondern weil sie selbst für mich wie ein Teil meiner Familie ist. Seit wir vor über 20 Jahren anfingen zusammen zu arbeiten, stehen wir uns sehr nahe und lieben uns sehr. Auch sie war für mich eigentlich die erste und einzige Wahl, denn gerade weil dieser Film diese starke persönliche und autobiografische Note hat, war es mir wichtig, von Menschen umgeben zu sein, mit denen ich vertraut bin und die auch mich sehr gut kennen.

In „Leid und Herrlichkeit“ geht es oft um konfliktreiche Beziehungen, mit denen der Regisseur nach langer Zeit seinen Frieden macht. Verspüren Sie selbst diesen Drang?

Den Drang vielleicht. Aber ich habe nicht den Mut meiner Filmfigur, mich all diesen klaffenden Beziehungswunden zu stellen. Im Film wird ja wirklich konsequent jeder Kreis geschlossen, selbst zu den Erinnerungen an die Begierden der Kindheit findet der Protagonist wieder zurück. Und es geht ihm damit besser, keine Frage. Aber ich glaube nicht, dass ich mich allem stellen kann und will. In meinem Leben ist noch vieles offen, und ich denke, das wird in vielen Fällen auch so bleiben.

Sind Sie mit sich im Reinen? Haben Sie sich mit dem Älterwerden arrangiert?

Sagen wir es mal so: Es hat schon seinen Grund, warum ich eigentlich nie in den Spiegel gucke. Und in der Folge auch nie Feuchtigkeitscreme benutze, obwohl ich weiß, dass sie mir guttun würde (lacht). Wirklich im Reinen und zufrieden mit mir und auch meinem Alter bin ich nur, wenn ich meiner Kunst nachgehe und schöpferisch tätig bin. Wenn ich keine Filme drehe, kann ich nicht immer unbedingt etwas mit mir selbst anfangen.

In „Leid und Herrlichkeit“ geht es auch um Drogensucht. Waren Sie dafür je anfällig?

Harte Drogen haben mich nie interessiert. Ich war früher umgeben von Menschen, die Heroin genommen haben. In den 1980er Jahren, als in Spanien endlich die Diktatur überwunden war, gehörten die Drogen in gewisser Weise zu dieser neuen Freiheit, in die wir alle uns stürzten. Viele unserer Helden waren Junkies, Lou Reed oder David Bowie. Trotzdem fiel es mir nie schwer, dem Heroin zu widerstehen. Ich wusste instinktiv, dass das nicht meine Droge ist, schon bevor es dann irgendwann losging und ich bei meinen Freunden natürlich doch die Konsequenzen sah.

„Leid und Herrlichkeit“ ist ein sehr melancholischer Film, überhaupt haben sich Ihre Arbeiten schon länger von der schrillen Heiterkeit entfernt, die Ihr frühes Werk ausgezeichnet hat. Warum eigentlich?

Meine Filme haben sich einfach meiner biologischen Entwicklung angepasst (lacht). Aber im Ernst: Mein Leben und mein Alltag waren in den 1980er Jahren vollkommen anders als heute – und das schlägt sich auch in meinen Geschichten nieder. Damals explodierten, wie gesagt, nach dem Ende der Diktatur die Freiheit und die Lebensfreude. Überall herrschte Aufbruchsstimmung, wir lebten und genossen jeden Moment, feierten in großen Gruppen, lautstark und öffentlich. Heute findet mein Leben eher hinter verschlossenen Türen statt, zu Hause und alleine.