Pädophile lieben Kinder, aber längst nicht jeder lebt seine Neigung aus. Foto: dpa-Zentralbild

Missbrauch in Freiburg: Warum sind Menschen zu solchen Taten fähig? Welche Rolle spielen sexuelle Neigungen? Ein Gespräch mit der Psychologin und Sexualtherapeutin Elisabeth Quendler.

Stuttgart - Wenn einer Einblick hat in die Psyche eines Pädophilen, dann Elisabeth Quendler. Die 41-jährige Psychologin und Sexualtherapeutin leitet den Ulmer Therapiestandort des Präventionsnetzwerks „Kein Täter werden“ und begleitet Sexualstraftäter in einer Justizvollzugsanstalt. Im Interview warnt sie davor, Menschen mit pädophiler Neigung mit Straftätern gleichzusetzen.

Frau Quendler, Sie haben ständig zu tun mit Sexualstraftätern, die Kinder missbraucht haben. Was geht in diesen Leuten vor?
Das sind häufig Menschen, die unter einer schweren Persönlichkeitsstörung leiden, aber auch frustrierte oder enttäuschte Männer, die ihre Aggressionen nicht kontrollieren können. Oft stecken auch Beziehungskonflikte mit der Partnerin dahinter. Da gibt es viele Konstellationen. Fest steht aber, dass die meisten Täter eine gewöhnliche sexuelle Orientierung auf Erwachsene haben. Nur etwa ein Drittel aller verurteilten Straftäter hat eine pädophile Neigung.
In dem Freiburger Fall spielten offenbar auch Gewaltfantasien eine Rolle. Die Kinder wurden auf brutale Weise missbraucht.
Ich kenne den Fall nur aus den Medien und kann mich daher nicht konkret dazu äußern. Grundsätzlich kann man aber unterscheiden zwischen der sexuellen Neigung zu Kindern und der sexuellen Erregbarkeit durch Gewaltausübung. Die beiden Neigungen stehen jeweils für sich, sie können auch in Kombination auftreten, aber sie sind nicht zwingend ursächlich für derartige Verhaltensweisen.
In dem Fall wird auch eine Mutter beschuldigt, ihr Kind verkauft und selbst missbraucht zu haben. Können Sie mutmaßen, wie eine Mutter dazu fähig sein kann?
Das kann viele Ursachen haben. Möglich ist, dass sich die Mutter in einer Notlage befand – nicht selten fühlen sich Frauen emotional derart abhängig vom Partner, dass sie solche Dinge zulassen. Oder die Frau hat selbst eine schwere Persönlichkeitsstörung hat – Frauen können wie Männer sadistisch und auch pädophil sein.
Wie aussichtsreich sind Therapien für solche kranken Persönlichkeiten?
Zunächst einmal: Jeder Mensch, der einsichtsfähig und ausreichend intelligent ist, kann therapiert werden. Die Erfolgsquote bei Sexualstraftätern ohne schwere Persönlichkeitsstörung ist gar nicht mal gering: Ein Großteil schafft es zurück in die Gesellschaft und bleibt straffrei. Der Erfolg hängt aber davon ab, ob sich die Person überhaupt ihrer Schuld bewusst wird.
Ist die Gefahr nicht groß, dass sich eine „einsichtige Mutter“ das Leben nehmen will?
Einsicht in das eigene Fehlverhalten führt oft zu Schuldgefühlen. Diesen müssen sich die Täter stellen, um überhaupt bereit zu sein, sich therapieren zu lassen.
Wie gehen Sie konkret vor, wenn Sie einem seelisch kranken Täter gegenüber sitzen?
Zuerst muss man in Einzelgesprächen herausfinden, wie die Person die Realität erlebt und die Straftat einschätzt. Aufgrund der Diagnose muss dann die Form der Therapie festgelegt werden: Gibt man Medikamente? Ist eine Gruppentherapie sinnvoll?
Was empfanden Sie, als Sie von dem Freiburger Fall hörten?
Ich dachte natürlich auch an die Männer, die pädophil sind, aber weit davon entfernt, solche Handlungen zu begehen. Wieder wird Pädophilie in der öffentlichen Wahrnehmung direkt mit sexuellen Straftaten in Verbindung gebracht. Dabei ist nicht mal geklärt, ob die Täter pädophil sind. Wir wissen bisher nur von einer Verhaltenweise, die strafbar ist. Was dahinter steckt, können nur Gutachter ermitteln.
Wirkt sich der Fall auf Ihre Arbeit mit nichtstraffälligen Pädophilen aus?

Ja. Die Patienten werden durch die Berichterstattung stärker verunsichert und verängstigt. Jeder Fall verschärft die Stigmatisierung Pädophiler in der Gesellschaft.

Einer von hundert Männern fühlt sich zu Kindern hingezogen

In Fachkreisen geht man davon aus, dass sich mindestens einer von hundert Männern zu Kindern hingezogen fühlt. Das entspricht etwa 300 000 Betroffenen in Deutschland. Frauen sind eher selten pädophil veranlagt.

Pädophil ist, wer ein sexuelles Interesse an Kindern hat, die noch nicht die Pubertät erreicht haben. Einige finden nur Jungen oder Mädchen attraktiv, andere sind an beiden Geschlechtern interessiert. Pädophilie ist keine Krankheit, die heilbar wäre, sondern eine sexuelle Neigung. Ihre Ursache ist wie bei anderen sexuellen Neigungen unbekannt. Experten sprechen meist von einem „Ursachenbündel aus entwicklungsbiologischen, psychischen und sozialen Faktoren“.

Elisabeth Quendler, 41 Jahre, stammt aus Wien, wo sie auch Psychologie studiert hat. Zu ihrem Fachgebiet kam sie über einen befreundeten Theologen, der sie für das „Gute im Menschen“, auch in Straftätern, sensibilisiert hat.

Menschen, die sich sexuell zu Kindern hingezogen fühlen und deswegen therapeutische Hilfe suchen, können sich unter www.kein-taeter-werden.de an das Netzwerk „Kein Täter werden“ wenden.