Jürgen Kessing wurde schon mal als OB-Kandidat in Stuttgart gehandelt – will aber Bietigheimer OB bleiben. Foto: factum/Simon Granville

Er steht seit 15 Jahren als Sozialdemokrat im einst „schwarzen“ Rathaus Bietigheim-Bissingen vor: Jürgen Kessing will nächstes Jahr erneut als OB kandidieren – und droht Ludwigsburg wegen Breuninger mit Klage.

Ludwigsburg - Seit 2004 ist Jürgen Kessing Stadtoberhaupt in Bietigheim-Bissingen. Als erster Sozialdemokrat steht er der Kommune seit 16 Jahren vor und ist keineswegs amtsmüde. Er will kommendes Jahr erneut kandidieren – und sieht sein Amt als Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) als Gewinn auch für die Arbeit als Oberbürgermeister.

Herr Kessing, Sie sind seit November 2017 nicht nur Oberbürgermeister, sondern auch DLV-Präsident. Lassen sich diese beiden Ämter gut vereinbaren?

Sie lassen sich sehr gut miteinander vereinbaren. Mein Hauptberuf als Oberbürgermeister hat nicht darunter gelitten, das war auch mein Anspruch. Als Leichtathletik-Präsident arbeite ich ehrenamtlich. Trotzdem ist es gelungen, mit den Europameisterschaften in Berlin den Stellenwert dieser Sportart mit hohen Zuschauerzahlen weiter zu steigern.

Sie können sich aber nicht zweiteilen, wie lassen sich die Termine koordinieren?

Es ist eine gute Planung notwendig. Und ich kann nicht mehr so häufig zum VfB Stuttgart ins Stadion gehen wie früher (lacht). Die zentralen Aufgaben als Oberbürgermeister nehme ich selbstverständlich weiter wahr. Man muss nicht immer überall sein, aber mich erreichen nach wie vor alle wichtigen Probleme.

Im nächsten Jahr steht erneut eine Oberbürgermeisterwahl in der Stadt an, wollen Sie dann erneut kandidieren?

Ich habe auf Landesebene erfolgreich dafür gekämpft, dass man über das 68. Lebensjahr hinaus eine volle Legislaturperiode von acht Jahren im Amt bleiben kann. Sie können davon ausgehen, dass mein Name 2020 auf dem Stimmzettel steht. Ich fühle mich nicht amtsmüde, und es gibt noch genügend zu tun.

Vor acht Jahren wurden Sie auchin Stuttgart als OB-Kandidatgehandelt – das ist jetzt keine Option mehr für Sie?

Ich habe diese Idee damals schon verworfen, daher macht es jetzt acht Jahre später erst recht keinen Sinn mehr.

Hat es Sie nie gereizt, in einer anderen Stadtzu kandidieren?

So eine Entscheidung trifft man nicht alleine. Bei der Anfrage der SPD in Stuttgart haben meine Töchter mir gesagt: Wir bleiben in Bietigheim-Bissingen. Damit war die Frage dann auch entschieden.

Sie lehnen eine Erweiterung des Breuningerlandes in Ludwigsburg entschieden ab, warum ist das so wichtig für Sie?

Unser Einzelhandel wäre massiv betroffen. Wenige Fahrtminuten von unserer Innenstadt entfernt steht ein Einkaufszentrum, in dem es an nichts fehlt. In einer solchen Situation müssen wir uns als Kommune vor die Einzelhändler stellen.

Drohen Sie Ludwigsburg weiterhin mit einer Klage?

Das ist noch nicht vom Tisch, aber wir warten noch auf die Begründung der Stadt Ludwigsburg. Aber ein totes Pferd zu füttern, das macht keinen Sinn.

Wieso sehen Sie die mögliche Erweiterung des Logistikzentrums von Breuninger in Sachsenheim ebenfalls kritisch?

Grundsätzlich begrüße ich die Ansiedlung, weil sie Arbeitsplätze jenseits der Automobilbranche schafft. Das Warendienstleistungszentrum wird im nächsten Quartal erst in Betrieb gehen. Schon jetzt eine Option auf eine Erweiterung einzuräumen, das halte ich für verfrüht.

Sie streben eine Partnerschaft mit einer Stadt in Argentinien an – reicht Ihnen die Reise nach Kusatsu in Japan nicht? Lässt sich das überhaupt mit Leben füllen?

Wir haben auch Partnerschaften mit den USA, England, Frankreich und Ungarn, die hervorragend funktionieren. Das sind keine Vergnügungsreisen für kommunale Honoratioren. Mit Japan etwa pflegen wir einen sehr vitalen Schüleraustausch. Es gibt viele Reisen der Vereine und Institutionen. Das stellt einen wesentlichen Baustein für den Frieden in Europa dar.

Fliegen dann irgendwann tatsächlich große Gruppen nach Südamerika?

Gerade für die jungen Leute ist das Programm „Work and Travel“ sehr attraktiv, also arbeiten und reisen in einem fremden Land. Daher ist Argentinien interessant, es gibt umgekehrt auch eine große Nachfrage von jungen Menschen dort, nach Europa zu kommen. Ich habe keine Sorge, dass dies keine lebendige Partnerschaft wird.

Der Wohlstand Ihrer Stadt hängt stark von den Gewerbesteuern von Porsche ab – ist man nicht zu sehr abhängig von einer Firma?

Gott sei dank haben wir einen wunderbaren Mix an Unternehmen in der Stadt. Etwa den Hemdenhersteller Olymp, der entgegen dem Trend der Branche wächst, dazu Dürr Dental und viele Mittelständler. Da hier eher Forschung und Entwicklung und weniger Produktion angesiedelt sind, macht mir auch der Wandel hin zur Elektromobilität keine große Sorge.

Überweist Porsche denn noch eine relevante Summe an die Stadt?

Seit das Geld von VW kommt, ist es auf ein Zwanzigstel der früheren Summe zurückgegangen. Aber es ist immer noch ein relevanter Betrag. Wir würden es schon spüren, wenn dieser ausbleiben würde.

Wie sind die Perspektiven für das ehemalige DLW-Gelände im Bogenviertel?

Der Verlust von 4000 Arbeitsplätzen ist ein Unglück für die Stadt, das war einmal der größte Arbeitgeber. Aber städtebaulich ist das eine große Chance, mitten im Zentrum einen neuen Stadtteil zu errichten. Spätestens 2021 werden die ersten Bauwerke neu entstehen. Die Hälfte sollen Wohngebäude werden und die Hälfte gewerbliche Nutzung, wobei der Trend eher zu 60 Prozent Wohnungen geht. Dort könnten in einigen Jahren 1500 bis 2000 Menschen wohnen und 1000 Arbeitsplätze entstehen.

Kann dort tatsächlich ein weitgehend autofreies Stadtviertel entstehen?

Noch sind solche Baugebiete in der Region Stuttgart ganz auf den Individualverkehr ausgerichtet. Die Menschen wollen noch so kleine Strecke mit dem Auto fahren. Natürlich müssen wir auch Stellplätze anbieten, aber die Zukunft sind Carsharing-Angebote oder Fahrradparkplätze, die Nahverkehrsanbindung ist optimal. Aber man kann nur die Pferde zur Tränke fahren – saufen müssen sie dann schon selbst.

Im Lothar-Späth-Carré sollen auch neue Wohnungen entstehen, doch ein Grundstückseigentümer legt sich quer. Muss man sich von einem Bauträger auf der Nase herumtanzen lassen?

Das tun wir ja nicht. Der Eigentümer bringt das schlechteste Grundstück ein und fordert das beste im Gegenzug. Deswegen bauen wir jetzt um ihn herum. Dann wird der Druck natürlich größer.

Herr Layher, um den es ja hier geht, ist dafür bekannt, dass er auch mal ein Grundstück zehn Jahre lang liegen lässt.

Wir auch (lacht). Ursprünglich sollten 350 Wohneinheiten entstehen. Jetzt bauen wir mal die Hälfte und warten ab.

Die Sportstadt muss ihre Sportstätten sanieren, wo sehen Sie die Prioritäten?

Den höchsten Bedarf haben wir beim Bissinger Hallenbad ausgemacht, das technisch einfach verschlissen ist. Abriss und Sanierung dauern zu lange, daher haben wir die Idee entwickelt, am Freibad anzubauen. So haben wir die komfortable Situation, dass wir nicht mehr diskutieren müssen, ob wir bauen, sondern wie. Die Schwimmbahn mit 50 Metern oder 25 Metern etwa.

Die Bundesliga-Handballer der SG BBM fordern dringend eine Trainingshalle.

Wir können uns vorstellen, dass wir sechs Millionen für eine dreiteilige Halle zur Verfügung stellen, die Trägervereine der Spielgemeinschaft müssen dann die restlichen Mittel aufbringen. Wir müssen das nicht übers Knie brechen, die Vereine sollen darüber in Ruhe beraten.

Fehlt es an Zuschüssen vom Land?

Fußball oder Pferdesport in Marbach werden immer gefördert, beim Handball bekommen wir ein paar Hunderttausend Euro bei einer Halle, die 15 bis 20 Millionen kosten kann. Da würde ich mir schon mehr Unterstützung vom Land wünschen.

Das Verhältnis des Ludwigsburger OB Werner Spec zu den Nachbarbürgermeistern ist nicht das beste – wie ist Ihres zu ihm?

Kollegial und freundschaftlich. Auch wenn es Konflikte wie den ums Breuningerland gibt. Das ist ein Streit in der Sache, wir tauschen uns ganz offen aus.

Und wer soll der neue Landrat werden? Sie sind ja SPD-Fraktionschef im Kreistag.

Da fühlen sich viele berufen, aber es ist noch keiner gerufen. Wir warten erst einmal ab, wie sich der neue Kreistag nach der Wahl am 26. Mai zusammensetzt.

Ein Leben für die Verwaltung

Biografie
Jürgen Kessing (62) stammt aus Rheinland-Pfalz und ist in Ludwigshafen aufgewachsen. Er ist Verwaltungs- und Betriebswirt, ist verheiratet und hat zwei Kinder. Seit Ende 2017 leitet er den Leichtathletikverband.

Karriere Er begann 1972 bei der Stadt Ludwigshafen, ging 1989 zum Bezirksverband Pfalz und wurde 1991 Kämmerer in Kaiserslautern. 1994 wechselte er in die Staatskanzlei nach Mainz, 2001 wurde er Bürgermeister in Dessau. 2004 setzte er sich in Bietigheim-Bissingen gegen Vize-Landrat Christoph Schnaudigel und den Holzgerlinger Bürgermeister Wilfried Dölker durch, 2012 wurde er wiedergewählt.