Martin Rücker ist Foodwatch-Geschäftsführer. Foto: picture alliance /

Der Foodwatch-Geschäftsführer Martin Rücker kritisiert Agrarministerin Julia Klöckner wegen eines gemeinsamen Videos mit einem Nestlé-Boss – sie werde ihrem Amt nicht gerecht und „kuschele“ mit Nestlé.

Berlin - Martin Rücker ist Geschäftsführer von Foodwatch, einer Verbraucherorganisation, die sich kritisch mit der Qualität von Nahrungsmitteln auseinandersetzt und auf die Einhaltung von Verbraucherrechten pocht. Foodwatch ist 2002 vom ehemaligen Greenpeace-Geschäftsführer Thilo Bode gegründet worden. Im Interview erklärt Martin Rücker, was vom gemeinsamen Video-Auftritt der Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner mit einem Nestlé-Boss zu halten ist.

Herr Rücker, ist die Empörung über Ministerin Klöckner nachvollziehbar?

Wir sollten froh sein, dass Frau Klöckner das Video gemacht hat: Es offenbart das verfehlte Amtsverständnis der Ministerin, das geprägt ist von grenzenloser Selbstvermarktung und schamloser Nähe zur Agrar- und Lebensmittelwirtschaft. Ganz offensichtlich versteht sich Frau Klöckner als bereitwillige Dienstleisterin der Branche, für deren Regulierung sie eigentlich verantwortlich ist. Im Landwirtschaftsministerium hat dies Tradition. Das Ressort ist eng verflochten mit der Branche – je höher man im Ministerium geht, umso mehr decken sich die Positionen mit denen von Bauernverband und Lebensmittellobby. Verbraucherinteressen haben da keinen Platz.

Dürfen Politiker nicht Nahrungsmittelkonzerne besuchen oder mit deren Vertreter gemeinsam auftreten?

Das Positive an den Auftritten von Frau Klöckner ist: Die fehlende Distanz zwischen Ministerium und Branche wird so erst richtig sichtbar. Sie ist Mitglied in einem landwirtschaftlichen Interessenverband – und richtet für diesen ein eigenes Referat ein. Sie lässt sich als „Bierbotschafterin“ zum Werbemaskottchen der Brauerlobby machen, ohne darin ein Problem zu erkennen. Sie hält öffentliche Werbeelogen für Unternehmen wie BASF. Ihrem Amt wird Frau Klöckner nicht gerecht, sie verwechselt Wirtschaftslobbyismus mit Allgemeinwohl.

Haben Sie aktuelle Erfahrungen mit Nestle – positiver oder negativer Art?

Auch zu Nestlé gäbe es einiges Kritisches zu sagen, denn der Konzern ist bei der verbreiteten Fehlernährung noch Teil des Problems. Noch immer vermarktet Nestlé stark überzuckerte Frühstücksflocken und andere unausgewogene Produkte aggressiv an Kinder. Mit zahlreichen Tricks sorgt das Unternehmen dafür, dass seine angebliche Selbstbeschränkung bei der Kinderwerbung nie ernsthaft griff. Das alles macht Frau Klöckner in dem Video nicht zum Thema. An anderer Stelle ist Nestlé längst weiter als die Ministerin: Der Konzern unterstützt die verbraucherfreundliche Nutriscore-Ampelkennzeichnung – an deren Verhinderung Frau Klöckner nach Kräften arbeitet.

Aber ist eine Selbstbeschränkung beim Zuckereinsatz nicht besser als nichts?

Ministerin Klöckner setzt bei der Zuckerreduktion allein auf freiwillige Lösungen – obwohl bestens belegt ist, dass solche freiwilligen Selbstverpflichtungen scheitern. Lebensmittelhersteller fahren mit unausgewogenen Produkten erwiesenermaßen höhere Umsatzrenditen ein – Frau Klöckner gaukelt also der Öffentlichkeit vor, sie könne die Industrie mit gutem Zureden dazu bringen, gegen die eigenen Interessen zu handeln. Das kann nicht funktionieren. Durch ihre Politikverweigerung nimmt Frau Klöckner grassierendes Übergewicht, Diabeteserkrankungen und frühzeitige Todesfälle billigend in Kauf.

Was fordert Ihr Verein

Nicht kuscheln mit Nestlé ist angesagt, sondern Durchgreifen: Wir brauchen eine Limo-Steuer für überzuckerte Getränke, eine Mehrwertsteuerreduktion bei Obst und Gemüse, ein Verbot der an Kinder gerichteten Werbung für unausgewogene Lebensmittel und eine verständliche Nährwertkennzeichnung wie die Nutriscore-Ampel. Das schafft den Anreiz, Rezepturen zu verbessern und ausgewogenere Lebensmittel anzubieten. Ärzte und Fachorganisationen fordern das seit langem. Andere Länder machen Ernst im Kampf gegen Fettleibigkeit: Frankreich, Belgien und Spanien führen eine Lebensmittelampel ein, Chile beschränkt die Werbung an Kinder und Großbritannien besteuert überzuckerte Limonaden. Deutschland, das Land der Zuckerrübenbauern, aber bleibt da hoffnungslos rückständig.