Trainingspause für ein Kind des Dschihad: Szene aus dem Dokumentarfilm „Fathers an d Sons“ Foto: Verleih

Der Dokumentarfilmer Talal Derki zeigt, wie in seiner Heimat Syrien Dschihadisten ihre Kinder zu fanatischen Halsabschneidern erziehen. Sein aufwühlendes Werk „Of Fathers and Sons“ kommt an diesem Freitag in die Kinos.

Stuttgart - Der Syrer Talal Derki war in der Höhle des Löwen. Im Gespräch erzählt er, wie wie ins sogenannte Kalifat kam wie der Film sein Leben verändert hat. Nun wird er im Netz bedroht und hat deshalb die meisten Termine seiner Kinotour abgesagt, auch den in Stuttgart.

Herr Derki, wer bedroht Sie?

Zum einen syrische Salafisten, von denen es einige gibt in Deutschland. Die haben Plattformen, Kanäle, Webseiten. Zum anderen Salafisten von überall. Ich muss sehr vorsichtig sein.

Ist Ihre Situation vergleichbar mit der des Autoren Salman Rushdie, gegen den der Iran eine Fatwa verhängt hat?

So etwas machen die nicht. Wenn sie jemanden umbringen, tun sie es heimlich.

Haben Sie dieses Risiko einkalkuliert, als Sie den Film gedreht haben?

Nein, und ich würde den Film so nicht wieder machen. Weil das, was da jetzt passiert, nicht vorübergeht, sondern mich bis ans Ende meiner Tage begleiten wird. Die entscheidenden Leute bei den Salafisten können das nicht vergessen.

Was war Ihr Impuls für diesen Film?

Ich wollte in einer Filmtrilogie den Albtraum der Flucht einfangen, wie es sich anfühlt, alles zu verlieren, die Heimat, die Menschen. Im ersten Teil „Return to Homs“ habe ich gezeigt, wie brutal das Assad-Regime die Stadt Homs zerstört hat und gegen die eigene Bevölkerung vorgegangen ist. Im zweiten Film nun wollte ich die salafistischen Dschihadisten zeigen und speziell, wie es um die Zukunft der Kinder dort bestellt ist. Wie werden aus Kindern Dschihadisten? Welcher Gehirnwäsche werden sie unterzogen? Ich wollte vordringen zu den Wurzeln dieses Krieges, in die psychologischen Tiefen der Fundamentalisten und Extremisten. Und es sind die Väter, von denen die Gewalt ausgeht.

Ihr Protagonist Abu Osama unterzieht seine deutlich minderjährigen Söhne einer beinharten paramilitärischen Ausbildung. Wie sind Sie an ihn herangekommen?

Beim vorigen Film habe ich viele Oppositionelle kennengelernt. Einer von ihnen ist zur salafistischen Al-Nusra-Front gegangen, er hat mir den Zugang zu Abu Osama verschafft. Der war ganz scharf darauf, im Film zu sein. Er dachte wohl, ich wollte den Ruhm der Dschihadisten zeigen. In Kriegszeiten will jeder einen Film über seine Sicht der Dinge, niemand respektiert Kunst und individuelle Blickwinkel.

Wie war Ihr Ansatz?

Ich springe hin und her zwischen der Perspektive des Vaters und der des Kindes sowie zwischen Situationen, in denen Abu Osama den liebenden Vater gibt und dann wieder den strengen Zuchtmeister. Mein Ziel war es, durch die Augen eines Kindes zu schauen, das seine Unschuld verliert und einer Gehirnwäsche unterzogen wird durch seinen Vater und die Gemeinschaft.

Hatten Sie je das Gefühl, in Gefahr zu sein?

An vielen der rund 300 Tage Drehtage zwischen April 2014 und Oktober 2016. Ich habe die Situation von Moment zu Moment gehandhabt. Leute wollten mich treffen und sehen, was ich gefilmt habe. Ich hatte große Angst und habe versucht, entspannt zu wirken. Als ich 2016 nach Berlin zurückgekommen bin, wollte mich ein Al-Nusra-Mann treffen, von dem ich wusste, dass er ein übler Kerl ist. Da war mir klar: Wenn ich dorthin zurückkehre, ist mein Leben in Gefahr.

Können Sie überhaupt noch nach Syrien reisen?

Nur noch zu den Kurden. Im Assad-Territorium wäre ich nach „Return to Homs“ auch nicht sicher.

Haben Sie Ihre Heimat verloren?

Berlin ist jetzt meine Heimat. Ich lebe im Exil, aber auch da ist es gefährlich. Ich habe Polizeischutz beantragt.

US-Präsident Trump hat mehrfach angekündigt, die US-Truppen aus Syrien abzuziehen . . .

Das ist ein großer Fehler. Die Dschihadisten sind immer noch stark und ihre Motivation ist es auch. Sie halten sich für Opfer und ziehen als kleine Gangster-Zellen umher. Sie können nach wie vor viel Unheil anrichten, auch ohne eigenes Territorium. Moderate, friedliche, säkular eingestellte Menschen werden ihre Opfer sein.

Sie haben sich bei den Vereinten Nationen dafür stark gemacht, Religion aus den Schulen zu verbannen.

In meinem Land haben sogar die säkularen Kräfte einen religiösen Hintergrund. Meiner Ansicht nach ist Glauben aber eine persönliche Entscheidung, Religion sollte deshalb kein verpflichtender Lernstoff sein. Ich bin außerdem der Ansicht, dass es höchste Zeit ist für die hohen islamischen Religionsführer, sich eindeutig gegen den Dschihad zu wenden.

Sie waren für den Oscar nominiert und bei vielen Festivals, in Stuttgart haben Sie 2018 den Deutschen Dokumentarfilmpreis bekommen. Was bedeutet Ihnen der Zuspruch?

Ich bin unwahrscheinlich glücklich darüber, wie viele Menschen weltweit meine Arbeit respektieren. Ich habe diesen Film als Spiegel fürs Publikum gedreht. Wenn man in den Gewaltkreislauf eintaucht, macht das etwas mit einem, jeder reagiert darauf in seinem kulturellen Kontext. Es gibt ja außer dem Salafismus viele andere Formen von nationalistischem Radikalismus, in den USA, der Türkei, Russland. Allerdings ist die Kampagne, die gegen mich läuft, eine Folge der Aufmerksamkeit durch die Oscars. Alles hat seinen Preis.

Nun startet der Film in Deutschland. Wo sehen Sie hier Anknüpfungspunkte?

Derzeit wird darüber diskutiert wird, wie man mit den Kindern des Dschihad umgehen soll, wenn sie zurückkehren. Das hat es in Deutschland noch nicht gegeben, deshalb herrscht eine gewisse Verwirrung. Psychotherapie für die Kinder kann helfen, aber sie hängen natürlich an ihren Eltern, die vielleicht ins Gefängnis müssen. Das kann eine große gesellschaftliche Anstrengung bedeuten.