Kunstaktion 1: das Neckargold wird gehoben. Foto: Pressefoto Kraufmann&Kraufmann

Die Lage am Neckar wird in der Stadt und der Region Stuttgart viel zu wenig genutzt. Damit beschäftigte sich auch das fünfte Plenum der Internationalen Bauausstellung IBA 2027. Doch nicht alles lief glatt, manches fiel ins Wasser.

Stuttgart - Die Künstlerinnen Ute Beck und Karin Sauerbier vom Kunstverein Wagenhalle haben es vorgemacht: Sie hoben am Donnerstagabend ihr Neckargold – eine 49 Quadratmeter große goldene Folie, die sie aus dem Fluss auf den Berger Steg zogen. Die Botschaft ist klar: Auch die Politik müsse endlich den Schatz heben, den der Neckar bietet. Die Kunstaktion war Teil des fünften Plenums der Internationalen Bauausstellung (IBA) 2027 Stadt-Region Stuttgart, das Corona-bedingt vom Veranstaltungsschiff Fridas Pier per Livestream übertragen wurde und unter dem Motto stand: „Der Fluss gehört allen.“

Weder identitätsstiftend noch blau

Zwar gab und gibt es bedeutsame Projekte, um den Neckar für die Bevölkerung erlebbarer zu machen – vom Masterplan und dem Landschaftsparkprojekt der Region bis hin zu Aktivitäten der Stadt Stuttgart und anderer Kommunen. Aber noch immer ist der Neckar nicht das „identitätsstiftende blaue Band“, von dem OB Fritz Kuhn (Grüne) in seinem Grußwort sprach: Weder ist der Fluss im Bewusstsein der Bevölkerung fest verankert, noch lässt seine braun-grünliche Färbung auch nur leichte Spuren von Blau erkennen. Der Neckar war und ist ein Problemkind der Politik in Stadt und Region, und passend zu dieser Einschätzung bestimmten dann auch technische Pannen das virtuelle IBA-Plenum, dem in Spitzenzeiten bis zu 200, zum Schluss noch rund 90 Interessierte im Netz folgten.

Virtuelles Plenum mit Pannen

„Es könnte schon ein bisschen besser funktionieren“, musste auch IBA-Intendant Andreas Hofer im Lauf des Abends einräumen, als eine Rednerin mal wieder zu sehen, aber nicht zu hören war. Manchmal war es auch umgekehrt, was die Sache nicht viel besser machte. „Wir probieren ein völlig neues digitales Veranstaltungsformat“, sagte Moderatorin Hannah Pinell, die mit Kapitänsmütze auf der Brücke von Fridas Pier stand: „Ein Experiment im Großexperiment IBA.“

Dass Ersteres geglückt wäre, lässt sich nicht sagen, der Lerneffekt dürfte aber groß sein, zumal die IBA in Corona-Zeiten vermehrt auf digitale Formate setzen werde, so Hofer, auch wenn einige Projektpartner wie Kommunen und Investoren in letzter Zeit „etwas abgetaucht“ seien: „Wir warten nicht, bis die Krise vorüber ist, sondern suchen neue Wege“, sagte er.

Industrie soll am Fluss bleiben

In den Workshops und den Aussagen von Experten zum Neckar stand immer wieder ganz oben, dass das Baden im Neckar wieder möglich gemacht werde müsse. Doch es gab eine Vielzahl anderer Ideen: mehr Kunst und Aktionen am Fluss, einen autofreien Sonntag auf den Uferstraßen, die Aufwertung des Hafens als urbaner Raum bis hin zu einer im Neckar schwimmenden Badeanstalt, deren Becken mit Mineralwasser gefüllt sind, oder Gemüse- und Trödelmärkte auf dem Fluss. Liveschaltungen nach Kiew, Madrid, Warschau und Breslau zeigten, wie weit andere Städte gekommen sind, wobei Hofer auf einen wichtigen Unterschied hinwies: „Das sind Beispiele, wie nach einer Deindustrialisierung eine Freizeitnutzung kam. In Stuttgart und der Region wollen wir das Gewerbe am Fluss nicht verdrängen.“ Aber warum müsse Daimler ein Parkhaus direkt ans Ufer stellen, fragte Hofer; wäre eine Kantine dort nicht besser platziert? Deshalb ist seine Vision auch, dass der Neckar ein produktiver Raum bleibt: „Ich will 2050 an einer Fabrik vorbeischwimmen.“ An Zukunftsplänen mangelt es also nicht – wie aber sie realisieren? Man müsse Räume für die Bürger zugänglich machen, daraus entstehe dann schon etwas, sagte Ute Meyer, Städtebau-Professorin an der Hochschule Biberach. Für Hofer könnte der Neckar, um den sich zahlreiche Behörden kümmern – was leicht zu gegenseitigen Blockaden führe – ein gutes Beispiel für eine neue Planungskultur sein – mit der IBA als Antreiber? „Ich will 2027 schon etwas Gebautes sehen“, sagte Hofer. Groß war auch der Wunsch in den Workshops, rasch etwas zu tun. „Wir wollen zum Machen kommen“, fasste Moderatorin Nina Riewe die Stimmung der Teilnehmer zusammen.

Wird die IBA zum Antreiber

Da hatte Iradj Esmailpour vom Kunstverein Wagenhalle seine Flaschenpost mit dem Hölderlin-Zitat „Glückliches Stuttgart, nimm freundlich den Fremdling mir auf“ schon in den Fluss geworfen. Auch eine Botschaft für die Vielfalt als Identität der Region, aber auch ein Symbol dafür, dass der Neckarschatz bisher, wenn überhaupt, langsam gehoben wird, zu langsam. Ob die IBA das Tempo erhöht?