Eine Lennart-Graf-Bernadotte-Orchidee auf der Insel Mainau Foto: dpa

Höhepunkt im Gartenjahr: Auf der Insel Mainau haben die Orchideen das Palmenhaus erobert.

Stuttgart - Am 25. März öffnet auf der Insel Mainau die jährliche Orchideenschau. Sie ist der Höhepunkt im Gartenjahr von Stefan Reisch. Der Gärtner ist nicht nur für die blühenden, sondern auch die fliegenden Edelsteine zuständig.

Sie leuchten in wärmstem Purpur und prunken in goldenem Gelb. Sie scheinen weich wie Samt zu sein und so zerbrechlich wie feinstes Porzellan. Sie öffnen Schnäbel, stecken rosa Sterne auf und fallen in leuchtenden Kaskaden: Die Orchideen haben das Palmenhaus der Insel Mainau wieder erobert. "Auf der Mauer, auf der Lauer" lautet das diesjährige Motto, und die gefurchten braunen Tuffwände und Steingrotten bilden den idealen Hintergrund für die zart erröteten, bunt geflügelten und leidenschaftlich geflammten Kunstwerke der Natur.

Für Stefan Reisch ist die Orchideenschau der Höhepunkt seines Gartenjahres. Darauf hat er ein Jahr lang hingearbeitet, hat versucht, seine 7000 Pflanzen durch den gezielten Einsatz von Licht, Temperatur und Feuchtigkeit dahin zu trimmen, dass wenigstens 2000 bis 3000 von ihnen ausgerechnet jetzt ihre Blüten öffnen - denn das ist die Aufgabe und die große Kunst des Orchideengärtners. "Ansonsten topfen wir eigentlich das ganze Jahr nur um", sagt der blonde Mann mit den freundlichen, grünen Augen und dem Ring im Ohr. Nur wenn die Pflanze einen Jungtrieb bildet, ist sie bereit, auch neu zu wurzeln. Diesen Zeitpunkt heißt es abzupassen - rund 7000-mal.

Orchideen sind die größte Pflanzenfamilie überhaupt

65 Gärtner und Gärtnerinnen halten in den Glashäusern, Parks und Beeten der Mainau alles am Laufen. Sie gießen, beschneiden, pflanzen, graben um. Ohne sie blühte hier nichts, zumindest nicht in dieser kultivierten Form. Sie sorgen dafür, dass im Frühling Tulpen, Narzissen und Hyazinthen die Insel wie ein Teppich überziehen und im Sommer 20.000 Rosenstöcke duften. Sie verwandeln die Italienische Treppe mit Zinnien, Tagetes und Ageratum in einen blühenden Fluss und entzünden im Herbst die Farbenfeuer von 12.000 Dahlien.

Einige von ihnen haben sich mit ganzem Herzen ihrem speziellen Fachgebiet verschrieben, so wie Stefan Reisch: "Orchideen mit ihren 20.000 bis 25.000 Arten sind die größte Pflanzenfamilie überhaupt. Es gibt, mal abgesehen von der Arktis, keinen Ort, an dem sie nicht vorkommen, sie blühen in allen Farben und sind enorm unterschiedlich in ihren Ansprüchen."

Nach seiner Gärtnerlehre auf der Mainau bat man den jungen Mann 2002, die damalige Orchideengärtnerin zu unterstützen. Es war Learning by Doing. Er fragte sie aus, las Fachbücher, versah die Pflanzen, die wenig Wasser brauchten, mit roten, die eher durstigen mit blauen Fäden - ein ordentliches Stück Arbeit bei rund 7000 Exemplaren aus 600 Arten. Und auch wenn sie die meiste Zeit des Jahres nur ganz unscheinbar grün in den beiden Gewächshäusern herumstehen und -hängen, sind sie seine Lieblinge geworden: all die Phalaenopsis, Cattleya, Cymbidium, Dendobrium ...

Schon bald wurden ihm neben den blühenden auch die fliegenden Edelsteine zugeteilt. Nach der Kühle des Orchideenhauses schlagen die 26 Grad Celsius des Schmetterlingshauses wie ein feuchtwarmes Laken über den Besuchern zusammen. Ein Bach rauscht, Schildkröten dösen am Rand, Hibiskus, Palmen, Feigenwürger, Bromelien und Farne sind zu einem dichten Dschungel zusammengewachsen. Und dazwischen taumeln königlich blaue Morphos aus Südamerika, flattern schwarz getupfte afrikanische Perlmuttfalter, verharren orange-schwarze Monarchen auf einem Blatt, vor dem sich ihre Flügel abzeichnen wie winzige Tiffany-Lampen. Und handtellergroße Eulenfalter stecken ihre Rüssel in gärende Bananenscheiben, wie durstige Kneipengänger beim ersten Bier.

1000 Falter flattern im Schmetterlingshaus




Die tropische Fülle erneuert sich nicht von selbst, sondern will regelmäßig bestückt werden. Deshalb trifft jede Woche aus einer Zuchtfarm ein Paket mit neuen Schmetterlingspuppen ein: Asien-Mischung, Afrika oder gar World-de-Luxe. An einem Bambusstab baumeln sie, mit Fäden festgebunden: Die gelbgoldenen Spindeln der Baumnymphen und die grünen und braunen künftiger Schwalbenschwänze. 30 bis 40 Arten, so an die 1000 Tiere, flattern bei Sonne im Glashaus herum. Bei bedecktem Himmel ziehen viele es vor, zu ruhen. 100 bis 120 Arten lassen sich, übers Jahr gesehen, entdecken. Einige pflanzen sich auch hier fort, abhängig von den Futterpflanzen, die vorhanden sind. Maracujafalter-Raupen brauchen Passionsblumen, Glasflügler einen Hammerstrauch, Morphos Prunkbohnen. Finden sie die vor, wie auf der Mainau, legen sie Eier ab. Und des Gärtners Aufgabe ist hinterher, die von Raupen zerfledderte Wirtspflanze auszuwechseln. Angeblich stirbt eine Raupe eher als nichtvertrautes Grün zu fressen. In der Regel zumindest. Denn es kommt durchaus vor, dass ein bunter Exot mit einem Besucher ins Freie oder in andere Glashäuser gelangt. Wenn in der Zitrussammlung des Kollegen dann plötzlich Schwalbenschwanzraupen wildern, hängt der Mainau-Segen vorübergehend schief.

Leider schlüpfen die meisten Puppen in den Morgenstunden, bevor die Besucher eintreffen. "Schade", sagt Reisch. "Denn das Unglaubliche an den Schmetterlingen ist ja gerade diese Verwandlung. Wie aus einer Raupe ein komplett anderes Tier wird und außer ein bisschen Flüssigkeit nichts von ihr zurückbleibt - das ist eigentlich unfassbar."

Zu Hause aber, abends nach der Arbeit, wird sich ein junger Mann, der den Tag in der Gesellschaft von Frauenschuh-Blüten und Oleanderschwärmern zugebracht hat, sicher ein Kontrastprogramm gönnen: An Automotoren basteln, zum Fußball gehen? Stefan Reisch grinst wie ein großer Junge: "Zu Hause habe ich 200 Kübelpflanzen stehen und ein Riesenbeet mit Schnittblumen."