Die Umweltbedingungen für Insekten sollen sich verbessern. Foto: Carmen Steiner/Adobe Stock

Wildbienenautobahnen, gedimmte Straßenlaternen, Buntstreifen statt Grünstreifen – es gibt viele Ansätze, Insekten auch in Städten zu schützen. Stuttgart steht bei seinen Bemühungen eher noch am Anfang

Stuttgart - Der Mann am anderen Ende der Leitung ist euphorisch. Eine Blaue Holzbiene hat sich in seinem Vorgarten angesiedelt, im alten Holunderbusch, gleich neben dem Fahrradschuppen. „Der Herr hat im Internet recherchiert, dass diese Insektenart auf der roten Liste steht. Jetzt will er wissen, was er tun kann, dass es der Biene dauerhaft gut bei ihm geht“, erklärt die Berliner Projektleiterin des Naturschutzbundes Deutschland, Melanie von Orlow, nach dem Telefonat und macht sich daran, die Reste einer Wabe aus einer Hummelkiste zu entfernen. Nachdem die Zahlen vom rasanten Insektensterben durch die Medien gingen, sind viele Bürger sensibilisiert. „Wenn man früher ein Wespen- oder Hornissennest auf dem Balkon hatte, hat man kurzen Prozess gemacht. Heute wenden sich viele Leute an das Umweltamt oder den Nabu“, erklärt die 49-Jährige. 4000 Anfragen aus Berlin liefen dort im vergangenen Jahr auf. Der Großteil wurde an Melanie von Orlow weitergeleitet, die ehrenamtlich berät und im Ernstfall Insekten umsiedelt. Ab August wird das Land die promovierte Biologin für ihre Dienste auch bezahlen.

Insekten rücken in den Fokus der Öffentlichkeit. 89 Prozent der Deutschen gaben bei einer repräsentativen Umfrage an, dass ihnen das Thema „sehr wichtig oder wichtig“ sei. Gerade in den Städten wächst das Bewusstsein, und auch die Politik hat das Thema entdeckt. Am Mittwoch diskutiert das Kabinett den Masterplan Stadtnatur der Bundesregierung. Der soll dazu beitragen, bessere Umweltbedingungen in der Stadt zu schaffen. „Ein Anfang“, sagt Magnus Wessel vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). „In erster Linie geht es um ökologisch sinnvollere Grünflächen. Der große Wurf ist das Papier aber nicht. Es gibt kein Pestizidverbot und keine sinnvolle Stadtplanung, bei der neuer Wohnraum geschaffen und die Grünentwicklung mitbedacht wird. Außerdem fehlt ein Zeitplan und ein Finanzbudget.“

Es gibt viele Ansätze, die unsere Städte für Biene, Hummel und Co. lebenswerter machen

Ein Masterplan also, der keiner ist? Das wird in den kommenden Tagen diskutiert werden. Fest steht, es gibt viele Ansätze, die unsere Städte für Biene, Hummel und Co. lebenswerter machen können. Viele Hundert Städte verzichten bereits freiwillig auf den Einsatz von chemisch-synthetischen Pestiziden wie Glyphosat. Stuttgart will bis 2022 komplett auf den Unkrautvernichter verzichten. „Obwohl wir grün regiert werden, können wir uns leider nicht als Vorreiter im Insektenschutz bezeichnen“, sagt Stefan Kress vom Stuttgarter Nabu. In Stuttgart lasse das Gartenbauamt beharrlich mähen und kümmere sich nicht darum, ob gerade Insekten ihre Larven im langen Gras abgelegt haben oder Blumen in Blüte stehen.

In Städten wie München, Hamburg und Düsseldorf ist man da schon weiter. Hier werden fleißig Blühstreifen und Wildwiesen angelegt. In Lünen gewinnen die Stadtwerke aus dem Gras später Strom und Biogas.

Auch Berlin will „bestäubend schön“ werden. Rund um den großen Stern im Tierpark wurde gerade eine Fläche neu eingesät, und auch der Rasen am Spreebogen, zwischen Hauptbahnhof und Abgeordnetenhaus, soll zu einer Blumenwiese werden: bunt statt grün. Doch es ist nicht damit getan, ein paar Samen auszustreuen. Der Boden ist oft steinhart, und der Rasen macht es mit seinen Wurzeln allem Neuen schwer, sich auszubreiten. Mit Fräsen sind Gartenbauer dabei, die Erde aufzulockern.

Die passende Wildblumenmischung gibt es nicht einfach im Baumarkt zu kaufen

Auch die passende Wildblumenmischung gibt es nicht einfach im Baumarkt zu kaufen. „Nicht alles, was bunt blüht, hilft unseren Insekten“, erklärt Christian Schmid-Egger von der deutschen Wildtierstiftung. „Hochgezüchtete Blumen sehen wunderbar aus, aber die Blüten sind so dicht, dass die Bienen nicht an den Nektar herankommen. Außerdem sind viele Tiere bei der Aufzucht ihrer Larven auf besondere Pollen angewiesen, die sie nur bei heimischen Pflanzenarten finden. Das heißt, die Insekten werden satt, können aber keinen Nachwuchs großziehen.“ Das Berliner Saatgut wurde aus 40 unterschiedlichen Samen zusammengestellt und bei einem Saatgut-Experten bestellt.

Die Ökosysteme sind komplex. Warum tummeln sich an herrlich blühenden Fliederbüschen nicht mehr wie früher die Schmetterlinge? Nicht nur die vielen Giftstoffe, die der Mensch versprüht, sind schuld. Die Larven des Tagpfauenauges oder des Kleinen Fuchses ernähren sich fast ausschließlich von Brennnesseln. „Die aber werden in unseren aufgeräumten Städten fast nirgendwo mehr geduldet“, sagt Schmid-Egger. Immer noch sind Steingärten, in denen graue Platten und weiße Flusskiesel den Boden abdecken, beliebt. „Nicht nur, dass hier nichts wächst. Diese Steinwüsten sind schlecht für das Mikroklima und heizen unsere Städte auf.“

Das konsequente Umdenken fällt vielen Menschen schwer

Dortmund hat deswegen Steingärten in seinen neuen Bebauungsplänen verboten. In Herford sind wasserundurchlässige Schotterbeete untersagt. Der jetzt diskutierte Masterplan spart dieses Thema aus. Dabei sind sich Umweltschützer einig: Unsere Städte müssen wilder werden! „In einem verwahrlosten Blumenkasten ist viel mehr Leben als in einem Kübel mit Geranien“, erklärt der Experte Schmid-Egger. „In einem Haufen Totholz wimmelt es von Ohrenkneifern und Regenwürmern, hier überwintern seltene Wildbienenköniginnen, Igel und Frösche.“

Doch das konsequente Umdenken fällt vielen Menschen noch schwer. Dass in Karlsruhe mitten in einem Wohngebiet der Torso eines abgestorbenen Baums steht, und dass dieser sogar noch mit Eisenstangen gestützt wird, verstehen nicht alle Anwohner. In Hildesheim hat man bei einem ähnlichen Projekt grüne Plaketten an den Reststämmen angebracht und erklärt den Passanten darauf, warum dieses Totholz nicht beseitigt wird: Alte Baumstümpfe sind perfekt für Fledermäuse oder Spechte. Die finden hier reichlich Nahrung und benötigt das Holzsubstrat zum Nestbau.

Fulda stellt sein Beleuchtungskonzept um – auch dadurch sterben weniger Insekten

Braunschweig will als erste deutsche Großstadt seine Stadtgestaltung grundlegend ändern. In den kommenden Jahren werden hier sechs Millionen Euro investiert, um 16 Hektar im Stadtgebiet wildbienengerecht umzubauen. 14 000 Quadratmeter Fassaden und Dächer von städtischen Gebäuden sollen begrünt, mehr als 1000 Bäume gepflanzt werden. Dazu kommen Blühstreifen, die innerstädtische Biotope auch mit dem Umland verbinden sollen – eine Art Wildbienenautobahn.

Auch Fulda trägt auf eher ungewöhnliche Art zum Insektenschutz bei: Die Stadt stellt ihr Beleuchtungskonzept um, hat schon mehr als 500 Straßenlaternen mit LED-Lampen ausgerüstet. Zwischen 22.30 und 5.30 Uhr morgens wird das Licht um 50 Prozent gedimmt. Das spart nicht nur Strom, sondern rettet auch vielen Insekten das Leben. Forscher haben herausgefunden, dass in Deutschland in jeder Sommernacht rund eine Milliarde Nachtfalter, Käfer und Fliegen wegen der künstlichen Lichtquellen sterben. Sie verwechseln die Lampen mit dem Mond und sterben entweder vor Erschöpfung, werden gefressen oder verbrennen an den heißen Lampen.

Für Fulda zahlt sich das Umrüsten aus. Wenn die Stadt komplett auf die neue Technik umgestellt ist, wird sie jedes Jahr rund 770 000 Kilowattstunden und damit 220 000 Euro einsparen. Außerdem darf sie sich – so wie nur fünf weitere Städte in Europa – „Sternenstadt“ nennen und mit der Auszeichnung um Touristen werben.

Melanie von Orlow, die Insektenbeauftragte von Berlin, hat gerade eine seltene Langkopfwespe unter ihrer Hollywoodschaukel entdeckt. Sie eilt ins Wohnzimmer, um ihre Kamera zu holen. „Wir dürfen uns nicht der Illusion hingeben, dass wir in den Städten die Insekten retten können“, sagt sie. „Das große Sterben findet auf dem Land statt, wo Tausende Tonnen Gift auf riesige Monokulturen aufgebracht werden.“ Sinnlos findet die Biologin das persönliche Engagement des Einzelnen und die Begrünung der Städte dennoch nicht. „Man kann viel besser schützen, was man kennt – oder hatten Sie schon einmal von der Blauen Holzbiene gehört? Sie ist unsere größte heimische Bienenart und wird 28 Millimeter lang.“